Giftschränke von Frauenhassern/

geschrieben von Tanja Berger

21. Januar 2021

Incels – Geschichte, Sprache und Ideologie eines Kults

Antifaschist*innen sind ja häufiger mit Themen befasst, die nicht gerade die Laune heben. Wer sich jedoch das Buch von Veronika Kracher auf die Leseliste setzt, sollte wissen, worauf er oder sie sich einlässt. Die Autorin warnt schon zu Beginn: »Es gibt so viel schönere Dinge, als sich durch die frauenfeindlichen Hasstiraden frustrierter junger Männer zu lesen.«

Sie hat Recht: Wer nicht zu konkreten Zwecken diesen Teil der Online-Rechten bearbeiten muss, sollte sich schöneren Dinge zuwenden. Das heißt nicht, dass das Buch nicht wichtig wäre. Schließlich beschreibt es einen aktuellen Kult, dem im Internet Männer in beeindruckender Zahl frönen. Was in unregelmäßigen Abständen zu realen Terrorakten führt, manifestiert sich in den Weiten des Netzes anhand ausgetauschter Hasstiraden und Gewaltphantasien. Diese reichen von der Vergewaltigung von Kindern über Terrorakte bis hin zu Konzentrationslagern, in denen alle Frauen ermordet werden sollen.

Um das Phänomen zu begreifen, reicht es nicht, die großteils pathologischen Grundzüge dieser Selbst- und Fremdhasser zur Kenntnis zu nehmen. Herauszuarbeiten ist, wie diese deformierten, zugerichteten Persönlichkeiten mit den konkurrenzbasierten, patriarchalen und destruktiven Strukturen der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft verwoben sind und durch diese Bedingungen verstärkt werden. Wie bei anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bildet der oft und falsch als »Mitte« bezeichnete Teil der Gesellschaft den Ausgangspunkt für Diskriminierung von Frauen und ist Rückzugsgebiet für Frauenhass.

Veronika Kracher: Incels – Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults, Ventil-Verlag, 2020, 276 Seiten, 16 Euro

Veronika Kracher: Incels – Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults, Ventil-Verlag, 2020, 276 Seiten, 16 Euro

Die vier Kapitel, die dies herausarbeiten, gehören meines Erachtens zu den Gewinnbringendsten. Kracher nimmt darin gesellschaftliche Rollenbilder, ihre zum Teil pathologisch werdenden Probleme sowie autoritäre Persönlichkeiten unter die Lupe, denen Gewalt als Mittel zur »Mannwerdung« dient. Sie zeigt auch Parallelen zum Antisemitismus auf (Hedwig Dohm prägte 1903 den Begriff Antifeminismus als Analogie zu dem des Antisemitismus): »Innere Neurosen, Kränkungen und Affekte werden also an ein äußeres und in der Regel bereits durch gesellschaftliche Ressentiments prädisponiertes Feindbild geheftet, welches anschließend zu einer Projektionsfläche für den Täter wird. Er fühlt sich von dem Objekt, auf das sein Hass gerichtet ist, so bedroht, dass er dieser Bedrohung nur durch die Vernichtung begegnen kann, wobei diese Vernichtung am besten in der aller Juden, aller Frauen etc. münden soll.« (S.162)

Davor muss man aber durch Kapitel durch, die aus einer Vielzahl von Beispielen und Zitaten bestehen, die die schlichte Grundstruktur der unfreiwillig im Zölibat lebenden Männer, der sogenannten Incels (involontary celibat) herausarbeiten: Sie finden sich hässlich und daher unliebenswert, sind überzeugt, dass keine Frau jemals mit ihnen Sex haben wird, obwohl sie darauf Anspruch haben und Sex der einzige Weg zum Glück wäre. Schuld ist die Emanzipation, da sich Frauen nun ihren Partner selbst aussuchen und nur noch mit gutaussehenden, sogenannten »Chads« ins Bett gehen. Also hassen Incels alle Frauen. Außerdem hassen sie gutaussehende Männer und »Normies«, die schon einmal Sex hatten. Sie alle müssen für ihr Glück bestraft werden, ihr Leid ist das Einzige, das einem Incel ansatzweise Befriedigung verschaffen kann.

Dies wird in der sogenannte Red-Pill- oder Black-Pill-Ideologie verpackt (wobei Ideologie hier eher einer Form verquasten Wahns entspricht). Die Begriffe sind dem Film »Matrix« entlehnt, in dem der Held Neo eine rote und eine blaue Pille angeboten bekommt. Schluckt er die Blaue, bleibt er in der oberflächlich glänzenden, aber nicht realen Matrix verhaftet. Schluckt er die Rote, wird er erleuchtet und kann hinter den Kulissen der Matrix die wirkliche Welt des Elends und der Ausbeutung sehen. Die Red-Piller blicken also als Ausgestoßene wie als Erleuchtete auf ihr Elend in der von den Sexhabenden beherrschten Welt und pendeln zwischen Selbsterniedrigung und Größenwahn. Den Black-Pillern bleibt nur noch die Erniedrigung. Nichts kann sie aus dem Elend holen, erst recht nicht sie selbst.

Kindliche Kränkungen reihen sich an narzisstische Störungen und pathologische Anspruchshaltungen, weinerliches Selbstmitleid an sadistische Beschimpfungen. Das mag notwendig sein, um den Gegenstand auszuleuchten, wirkt aber wie ein Gruselkabinett, das neben Entsetzen und Kopfschütteln auch gewisse Ermüdungserscheinungen hervorruft (abgesehen von den vielen Codewörtern, die in diesen Foren verwendet werden).

Interessant wäre noch die Frage, ob oder wie weit das Internet den Umschlag von Selbstmitleid und Hassphantasien in reale Taten beschleunigen kann? Schließlich handelt es sich um Menschen, die aufgrund schwerwiegender sozialer Probleme nicht in der Lage sind, sich mit anderen auszutauschen. Fakt ist jedoch, eines der Attentate, bei dem ein Incel in Montreal 14 Studentinnen ermordete, fand 1989 statt. Also vor Filterbubbles, Plattformen, Imageboards und Foren im Internet.