Und die Räder standen still: Der Februarstreik vom 25.2.1941

25. Februar 2021

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»STREIKT! STREIKT! STREIKT!« So lautete die Parole, die sich am frühen Morgen des 25. Februars 1941 wie ein Lauffeuer durch viele Amsterdamer Betriebe verbreitete. Die lohnarbeitende Bevölkerung folgte einem Aufruf zum Generalstreik, um gegen den wachsenden antisemitischen Terror in der Stadt zu protestieren.

Am 10. Mai 1940 hatten Hitlers Truppen die Niederlande überfallen und ab dem Sommer erste anti-jüdische Maßnahmen verkündet: Zutrittsverbote für jüdische Menschen zu Kinos und auf Märkten, Entlassung von jüdischen Beamten und Professoren, Registrierung von jüdischen Unternehmen bei der Wirtschaftsprüfstelle, Verbot des rituellen Schächtens.

Durch diese Maßnahmen fühlten sich die niederländischen Nazis der NSB (Nationalsozialistische Bewegung), insbesondere die uniformierte Wehrabteilung (WA), gestärkt. Sie erschienen nun immer öfter nahe des jüdischen Viertels in der Amsterdamer Innenstadt, um die jüdischen Mitbürgerinnen zu provozieren und einzuschüchtern.

Anfang Februar 1941 kam es zu den ersten Schlägereien zwischen den niederländischen Nazis und jüdischen Männern, die diese Provokationen nicht hinnahmen. Bei großen Teilen der lohnarbeitenden Amsterdamer Bevölkerung lösten die Schikanen Wut und Empörung aus. Betraf es doch ihre jüdische Kolleginnen, mit denen sie in Parteien, Vereinen organisiert und freundschaftlich verbunden waren. Es brodelte in der Stadt.

Bereit, weiter zu provozieren, tauchte die uniformierte Wehrabteilung am 9. und 11. Februar 1941 auf dem Waterloo-Platz auf, einem jüdischen Markt, mitten im jüdischen Viertel. Sie wurden durch jüdische Standinhaber und Hafenarbeiter aus den umliegenden Arbeiterkiezen überwältigt und mussten eine ordentliche Tracht Prügel einstecken. Dabei erlitt ein Hauptmann der WA schwere Verletzungen und verstarb einige Tage später an den Folgen.

Anfangs hielt sich die deutsche Führung zurück. Doch dann überfiel deren Ordnungspolizei eine Eisdiele, die von deutsch-jüdischen Migrant*innen betrieben wurde. Diese wehrten sich mit Ammoniakgas und besprühten die Deutschen mit dem Kältemittel. Nach dem Angriff tobte der Polizeikommandeur und ranghöchste SS-Führer im Land, Hanns Rauter, vor Wut. Darauf ordnete Himmler in einem Telefonat mit ihm eine Bestrafung der niederländischen Juden an.

Am Nachmittag des 22. Februars fuhren SS-Überfallkommandos in das jüdische Viertel und trieben Männer auf äußerst brutale Weise zusammen. Die Nazischergen hatten ein leichtes Spiel, denn am Schabbat waren immer viele Menschen im Kiez unterwegs. Am 23. Februar folgte eine weitere Razzia auf dem Waterloo-Platz.

Viele nicht-jüdische Amsterdamerinnen wurden Zeugen dieser abscheulichen Treibjagd. Die damals illegale Amsterdamer Führung der KP der Niederlande ergriff die Initiative und schickte ihre Kader in die Betriebe. Sie sollten in Erfahrung bringen, ob eine Bereitschaft für einen Streik vorhanden war.

Am Abend des 24. Februars versammelten sich mehrere hundert Aktivistinnen, die hauptsächlich bei den Behörden und der Stadtreinigung beschäftigt waren, auf dem Noordermarkt. Sie wurden aufgefordert, am nächsten Morgen in ihre Betriebe zu gehen, um ihre Kolleginnen zu einem Generalstreik zu motivieren. Noch am gleichen Abend wurde ein Manifest in der ganzen Stadt verteilt.

Dieses Manifest beinhaltete die Forderungen, alle jüdischen Gefangenen freizulassen und die WA aufzulösen. Weiter hieß es: »Zeigt Euch solidarisch mit dem jüdischen Teil der arbeitenden Bevölkerung. Streikt, streikt, streikt«. Am nächsten Morgen standen die Räder in der Stadt fast komplett still. Trams, die noch fuhren, wurden durch Blockaden gestoppt. Im Hafen, auf den Werften, in den Stahlfabriken, im Einzelhandel und bei den Behörden, überall wurde die Arbeit niedergelegt.

Die Menschen machten sich auf den Weg zur Innenstadt, um dort zu demonstrieren. Am nächsten Tag weitete sich der Streik in andere Landesteile aus. Anfänglich zeigten sich die Deutschen völlig überrascht. Einen solchen Widerstand hatte es bisher in keinem besetzten Land gegeben. Doch die Deutschen reagierten schnell. Schon am zweiten Tag schlugen sie mit erbarmungsloser Härte zurück.

Die Ordnungspolizei schoss wahllos in die Menge der Streikenden, um sie auseinander zu treiben. Es gab neun Tote und 24 Verwundete. Die Gestapo startete eine Welle von Verhaftungen. Beamtinnen, die an dem Streik teilnahmen, wurden entlassen. Am 13. März 1941 wurden drei Organisatoren des Streiks und 15 andere Widerstandskämpferinnen exekutiert.

Zahlreiche Verhaftete wurden in Konzentrationslager oder Gefängnisse verschleppt. Die aufgegriffenen jüdischen Männer wurden in das KZ Mauthausen deportiert. Der Streik hat die Vernichtung der niederländischen Juden nicht verhindern können. Von den schätzungsweise 140.000 Menschen jüdischer Herkunft im Land haben nur etwa 38.000 den Krieg überlebt.

Dennoch: Der Februarstreik, ausgerufen von niederländischen Arbeiterinnen, war für die jüdische Bevölkerung ein Zeichen der Solidarität. Sie spürte die Unterstützung ihrer Mitbürger*innen, die sich den deutschen Faschisten entgegenstellten und dies mit dem eigenen Leben bezahlten. Der Mut der Streikenden bleibt unvergessen.

Daran erinnert das Denkmal des aufrechten Werftarbeiters, das im ehemaligen jüdischen Viertel steht. Jedes Jahr am 25. Februar kommen dort viele Menschen zusammen, um an diesen Aufstand vor 80 Jahren zu erinnern.

Autor: Arnold Vinkeles