Jahrelange Kämpfe
22. März 2021
Erinnern, LGBTIQ, Neuerscheinung
Ein neues Buch erinnert an die von den Nazis verfolgten sexuellen Minderheiten
„Ein aufrichtiges und umfassendes Erinnern an die homosexuellen Frauen und Männer, die damals litten und starben, fehlt noch immer und ist dringend nötig – sowohl im Deutschen Bundestag am Holocaust-Gedenktag als auch in der Gedenkstätte Auschwitz.“ Dieses Geleitwort gibt die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano dem kürzlich erschienenen Buch „Erinnern in Auschwitz – auch an sexuelle Minderheiten“ mit und ruft damit eingangs die enorme politische Dimension dieses Buches auf.
Die unsägliche Kontinuitätsgeschichte der Verfolgung homosexueller Männer in der Bundesrepublik – so galt der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches in seiner 1935 von den Nazis verschärften Fassung bis 1969 fort –, das Verhindern ihrer Anerkennung als Opfer des Faschismus in der DDR
mögen Geschichte sein, Feindlichkeit gegenüber LGBTIQ* (engl. Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Intersexual, Queer, dt. lesbisch, schwul, bisexuell,
trans, inter, queer) ist es mitnichten.
In Polen ist sie aktuell gar staatstragend. So bezeichnete der polnische Außenminister Zbigniew Rau in einem Facebook-Post die „LGBT-Ideologie“ als „eine Zivilisation des Todes“. Hinzu kommen Schiefagen in der Forschung, die der Band antritt auszuräumen: „Mit dieser Publikation können bestimmte historische Fakten nicht mehr ignoriert oder gar geleugnet werden“, schreiben die Herausgeberinnen einleitend.
Während in den meisten KZ-Gedenkstätten in Deutschland und Österreich zum Teil erst nach jahrelangen Kämpfen begonnen wurde, auch an das Leid homosexueller Opfer zu erinnern, „gibt es dazu im Staatlichen Museum Auschwitz noch immer, zumindest öffentlich zugänglich, nichts“. Homosexuelle Menschen waren in den KZ nicht nur mit einer krassen Homophobie seitens der SS, sondern auch von ihren Mithäftlingen konfrontiert.
Mehrere Beiträge gehen auf die extrem negative Darstellung von weiblicher Homosexualität in der Erinnerungsliteratur ehemaliger Häftlinge ein und zeigen, dass die von der SS vorgenommene Gleichsetzung von Lesbisch-Sein mit vermeintlicher „Asozialität“ von vielen Häftlingen geteilt wurde. Die langen, zum Teil regelrecht literarischen Darstellungen, in denen lesbische Frauen als „Bestien“ gezeichnet werden, weibliche Homosexualität als „Seuche“ verteufelt wird, sind bestürzend.
In polnischen Berichten bekommt diese vermeintliche Krankheit zudem einen nationalen Charakter, wie Joanna Ostrowska in ihrem Beitrag zeigt: Häufg werde behauptet, es seien die deutschen Funktionshäftlinge gewesen, die diese ›eingeschleppt‹ hätten, um die ›reinen‹ Polinnen damit anzustecken. Die vorgenommene Gleichsetzung ›des brutalen deutschen Funktionshäftlings‹ mit ›der lesbischen Frau‹ lässt keinen Raum für gewaltlose, freiwillige Beziehungen.
Einige wenige Häftlingsberichte zeigen jedoch, dass es durchaus auch möglich war, anders, empathisch, gar liebevoll über lesbische Beziehungen zu schreiben. Am Ende des Buchs werden erstmals biographische Informationen zu 137 Rosa-Winkel-Häftlingen in Auschwitz zusammengetragen. Im Buchteil Einzelschicksale bekommen die Opfer noch mehr Kontur, beispielsweise Fredy Hirsch, der sich für seine jugendlichen Mithäftlinge im Ghetto Theresienstadt und später im »Theresienstädter Familienlager« in Auschwitz einsetzte.
Dass Fredy Hirsch einen Mann liebte, wurde lange Zeit in der offziellen Erinnerung verschwiegen und erst von Anna Hájková wieder sichtbar gemacht (Tagesspiegel, 30.8.2018). Den unterschiedlichen Logiken zur Verfolgung homosexueller Männer und Frauen, Transsexueller und weiterer sexueller und geschlechtlicher Minderheiten setzen die Herausgeberinnen die Selbstdefnition der Betroffenen entgegen. Wenngleich weibliche Homosexualität kein Inhaftierungsgrund war, so mussten Frauen
für ihr Begehren doch in den Lagern leiden.
Insa Eschebach, bis vor kurzem Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück, problematisiert in ihrem Beitrag über die seit Jahren andauernde Debatte um eine »Gedenkkugel« für die lesbischen Frauen im KZ Ravensbrück, den »im Grunde demütigenden Begründungszwang«, dass dieser Frauen gedacht werden darf.
Der aktivistische Hintergrund der Autor*innen wird in vielen der 20 Beiträge sichtbar, etwa jenem von Mariusz Kurc. Ihm geht es bei der Auseinandersetzung mit der Verfolgung von queeren Menschen im Nationalsozialismus „immer auch um heute“. Das gegenwärtige homophobe Klima in Polen mache es, Lutz van Dijk zufolge, jedoch nicht attraktiv, sich mit diesen Menschen zu beschäftigen: „So entstand die Idee, zu diesem Buch“, das im kommenden Jahr auch auf Polnisch erscheinen wird. Dann jährt sich die Einführung des Paragraphen 175 zum 150. Mal: ein passender Anlass, die homosexuellen Opfer des NS endlich auch am 27. Januar im Bundestag zu würdigen.
Nils Weigt