Lebendig und offen
26. März 2021
Antifaschistische Kultur als Anspruch und Aufgabe
Der Kern antifaschistischer Kultur liegt in Werten wie Frieden, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit begründet. Sie lebt im Einsatz für Demokratie, Partizipation und gleiche Rechte für alle Menschen. Das gilt, solange es Antifaschismus gibt, also schon seit rund einhundert Jahren. Allerdings sind diese Werte nicht exklusiv bei Antifaschistinnen und Antifaschisten zu finden, sie werden von vielen Menschen geteilt, die sich in verschiedenen Bereichen für ein friedliches und soziales Miteinander engagieren. Auf der Grundlage dieser gemeinsamen Werte sind Bündnisse möglich, deren Mitglieder sich in weltanschaulicher, politischer und kultureller Hinsicht deutlich unterscheiden, letztlich ist ja die VVN-BdA selbst ein solches Bündnis. Das Spezifische am Antifaschismus besteht dabei vor allem in der Konsequenz, mit der der Bedrohung und Zerstörung menschlicher Werte entgegengetreten wird, sie schließt das Zurückstellen persönlicher Interessen dahinter ein. Diese Haltung haben uns Antifaschistinnen und Antifaschisten der vorhergehenden Generationen vorgelebt, wir haben sie übernommen und tragen sie weiter.
Wenn Kultur die Art und Weise ist, in der Gemeinschaften ihre Lebensbedingungen reproduzieren, heißt das, dass die Kultur selbstverständlich der Veränderung gesellschaftlicher Bedingungen folgt, aber ebenso auf diese zurückwirkt. Wir befinden uns im Augenblick an einem Punkt deutlich sichtbarer gesellschaftlicher Veränderungen. Die Werte, die den Kern antifaschistischer Kultur bilden, gelten unverändert, doch wir müssen neue, dem aktuellen Entwicklungsstand angepasste Formen kultureller Praxis entwickeln. Der politische Rechtsruck und die damit notwendig werdende offensive Verteidigung humanistischer Werte erfordern und ermöglichen heute breitere Bündnisse als früher. In den letzten Jahren sind mit »Aufstehen gegen Rassismus« oder »Unteilbar« bereits neue bundesweite Bündnisstrukturen entstanden. Sie haben eindrucksvoll bewiesen, dass sie viele Menschen erreichen und für gemeinsame Aktionen mobilisieren können.
Doch neben der Organisierung großer, bundesweiter Aktionen, bieten solche Bündnisse auch neue Möglichkeiten, gemeinsam in regionalen und lokalen Zusammenhängen aktiv zu werden. Neue Formen kultureller Praxis zu entwickeln kann heißen, vor Ort neue Beziehungen zu knüpfen oder sich gemeinsam mit vorhandenen Partnern neue Bereiche zu erschließen, dabei die eigenen Erfahrungen einzubringen und sich zu öffnen für die Erfahrungen anderer.
Es geht heute aber auch um langfristige Entwicklungen und Zukunftsperspektiven der VVN-BdA selbst. Verstärkt durch die Coronapandemie erleben wir zum Beispiel gerade einen gesamtgesellschaftlichen Digitalisierungsschub. Die Bundesorganisation der VVN ist, wie etliche Kreis- und Landesorganisationen, unterdessen auf Social-Media-Plattformen aktiv. Doch das ist erst der Anfang. Wie wäre es zum Beispiel mit Podcasts zu antifaschistischer Geschichte oder Videoclips zu aktuellen Themen? So etwas lag, abgesehen von wenigen bescheidenen Anfängen, bisher außerhalb unserer Möglichkeiten – und unserer Vorstellungen. Doch mit dem Eintritt von rund 2.000 neuen Mitgliedern in die VVN-BdA ist das anders geworden – denn von den »Neuen«, unter denen viele Jüngere sind, bringen viele Erfahrungen und Kompetenzen mit, die uns bisher fehlen. Vielleicht beschäftigen diese neuen Mitglieder aber auch noch andere Fragen? Dann könnten sie damit z.B. auch Aktivitäten der VVN-BdA in sozialer, menschenrechtlicher oder antirassistischer Richtung inspirieren und so unsere Bündnismöglichkeiten erweitern.
Vor uns steht die Aufgabe, den Schatz zu heben, der in den Erfahrungen und Kompetenzen der neuen Mitglieder liegt. Das dafür notwendige Werkzeug haben wir in jahrzehntelanger Bündnisarbeit bereits entwickelt. Es besteht vor allem in unserer eigenen Haltung: der Bereitschaft zu Begegnungen auf Augenhöhe, der Offenheit für neue Ideen und Sichtweisen, der Fähigkeit, eigene Positionen nachvollziehbar zu vermitteln und konstruktive Lösungen zu finden. Wenn wir diesen anstehenden Entwicklungsschub meistern wollen, müssen wir uns öffnen – nicht nur nach außen, sondern auch nach innen.
Es geht um das Weiterleben unserer antifaschistischen Werte, um Teilhabe, Gemeinschaft und Solidarität. Nach der Öffnung der westdeutschen VVN für nachfolgende Generationen in den siebziger Jahren und der Vereinigung der Verbände aus Ost und West zur gesamtdeutschen VVN-BdA im Jahr 2002 stehen wir jetzt vor dem 3. Generationswechsel in der Verbandsgeschichte. Er wird, wie die früheren auch, nicht ohne kulturellen Wandel vor sich gehen. Nehmen wir die Herausforderung an.
Engere Bündnispartner könnten z.B. »Die Vielen« werden, ein Kampagnennetzwerk von Kulturschaffenden und Künstler*innen, das in etlichen Städten der Bundesrepublik existiert. Bekannt als »die mit den goldenen Rettungsdecken«, waren sie u.a. an den Aktionen von »Unteilbar« beteiligt. Ihr Anliegen besteht in der Verteidigung von Kunst und Kultur als demokratische Institutionen gegen rechte Angriffe und Versuche rechter Vereinnahmung. Warum sollte man »Die Vielen« nicht einmal kennenlernen und ausloten, ob es nicht noch andere Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt, als gemeinsame Demonstrationen?