Eine aktuelle Aufgabe

geschrieben von Ulrich Schneider

17. Mai 2021

80 Jahre nach dem Naziüberfall auf UdSSR: Erinnern an den Vernichtungskrieg lebendig halten

Wenn wir als deutsche Antifaschisten am 22. Juni an den 80. Jahrestag des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion erinnern, dann müssen wir uns klarmachen, was das Besondere an diesem Krieg gewesen ist. Natürlich ordnete sich der »Russlandfeldzug«, wie er in der nazistischen Selbstdarstellung hieß, in die expansionistischen Weltherrschaftspläne des deutschen Faschismus im Interesse der ihn tragenden ökonomischen Kräfte ein. Es ging – wie in der Kriegsplanung und bereits in Hitlers »Mein Kampf« ganz offen ausgesprochen – um die Rohstoffreserven der UdSSR, um die Weizenfelder und Agrarprodukte der ukrainischen Schwarzerde-Region, um die Öl- und Gasvorkommen im Kaukasus, um Eisenerz und die industriellen Kapazitäten in den westlichen Republiken der Sowjetunion. All das wurde in der Planung zum »Fall Barbarossa« bereits als Ressource eingeplant, um den Krieg gegen die UdSSR überhaupt führen zu können. Das nach Osten vorrückende Millionenheer sollte sich aus den Vorräten der örtlichen Bevölkerung versorgen und damit den dort lebenden Menschen die Lebensgrundlage nehmen. Schon dies zeigt, in welchem Umfang dieser militärische Einsatz von Anfang an ein Vernichtungskrieg gegen die »slawischen Untermenschen« sein sollte. Zudem war es ein ideologisch motivierter Vernichtungskrieg gegen den »jüdisch-bolschewistischen« Hauptfeind. Das wird in der Kriegsplanung der Wehrmacht deutlich. Speziell für diesen Feldzug wurden »Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Russland« verfasst, mit denen die einzelnen Soldaten und örtlichen Kommandeure nicht nur Handlungsfreiheit erhielten, sondern aktiv zu Kriegsverbrechen aufgefordert waren. »Dieser Kampf verlangt rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden und restlose Beseitigung jeden aktiven und passiven Widerstandes (…). Gegenüber allen Angehörigen der Roten Armee – auch den Gefangenen – ist äußerste Zurückhaltung und schärfste Achtsamkeit geboten, da mit heimtückischer Kampfweise zu rechnen ist. Besonders die asiatischen Soldaten der Roten Armee sind undurchsichtig, unberechenbar, hinterhältig und gefühllos.« Diese rassistische Orientierung stammte aus der Feder der Wehrmachtsführung.

Eine wichtige Rolle spielte der von General Wilhelm Keitel unterzeichnete »Kommissarbefehl«. Angehörige der sowjetischen Streitkräfte, die politischen Kommissare, sollten nicht als Kriegsgefangene behandelt werden. Sie waren bereits an der Front zu töten; wenn sie erst später entdeckt wurden, verbrachte man sie zur Liquidierung in die Konzentrationslager. Allein in Buchenwald ermordete die SS in der Exekutionsanlage im »Pferdestall« mehr als 8.000 sowjetische Häftlinge auf Grundlage des »Kommissarbefehls«.

Zu den Kriegsverbrechen beim Überfall auf die Sowjetunion gehören auch die Massenmorde an jüdischen Menschen in den überfallenen Gebieten. Noch hatte die Wannsee-Konferenz, auf der die industrielle Massenvernichtung besprochen wurde, nicht stattgefunden, aber das politische Ziel der Vernichtung jüdischer Menschen war in den Köpfen aller Verantwortlichen präsent. So waren die ersten Wochen und Monate des Überfalls auf die Sowjetunion begleitet von zahlreichen Massenmorden, die teilweise in Abstimmung mit örtlichen Kollaborateuren durchgeführt wurden. Im Wald von Rumbula ermordeten lettische Hilfspolizei und Einsatzgruppen-Einheiten 1941 mehr als 15.000 jüdische Menschen.

Das wohl bekannteste Massaker ereignete sich Ende September 1941, als die Wehrmacht zusammen mit den Einsatzgruppen, unterstützt von ­ukrainischen Hilfspolizisten etwa 33.000 Kiewer Jüdinnen und Juden zusammentrieben und in der Schlucht von Babyn Jar erschossen. Das sind nur einige der Massaker gegen jüdische Menschen in den ersten Wochen des Krieges.

Die deutsche Wehrmacht stützte sich nicht nur auf örtliche Kollaborateure. Auch militärische Einheiten aus den mit dem deutschen Faschismus verbündeten Staaten Ungarn, Rumänien, Italien, Bulgarien, selbst aus dem faschistischen Spanien (»Blaue Division«) waren an dem Überfall beteiligt. Legitimiert wurde dies mit dem Kampf gegen den Bolschewismus, der als gemeinsamer Feind der Achsenmächte ausgemacht wurde. Natürlich ging es auch um die Beute, von der alle beteiligten Staaten nach dem »Endsieg« ein Stück abhaben wollten, wie beispielsweise Rumänien, das die Moldawische Sowjetrepublik in ihr »Großrumänien« eingliedern wollte. Einzig Japan, das in der Zeit mit seinen pazifischen Expansionsinteressen beschäftigt war, beteiligte sich noch nicht an diesem Feldzug gegen den Bolschewismus.

Vor mehr als 25 Jahren bewegte die Ausstellung »Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht« die bundesdeutsche Gesellschaft. Neofaschisten und Apologeten der Wehrmacht hetzten dagegen. Antifaschisten nutzten diese öffentliche Aufarbeitung der faschistischen Verbrechen für ihre Arbeit gegen historisches Verdrängen und Geschichtsrevision. Anlässlich des 80. Jahrestages des Überfalls auf die Sowjetunion bleibt es aktuelle geschichtspolitische Aufgabe, die Erinnerung an diesen Vernichtungskrieg lebendig zu halten.