Legende vom Genozid an Weißen
17. Mai 2021
Südafrikas Rechte instrumentalisiert »Farmmorde«, um gegen geplante Landreform Stimmung zu machen
Bis zum Oktober vergangenen Jahres war Senekal selbst den meisten Südafrikanern wohl eher unbekannt. Der kleine Ort in der Provinz Freistaat, der Kornkammer des Landes, zählte bei der letzten Volkszählung 2011 gerade einmal 3.466 Einwohner. Im benachbarten Township Matwabeng leben demnach auf einer etwa gleich großen Fläche 22.076 Menschen. Senekal ist eines dieser von der Landwirtschaft geprägten, verschlafen wirkenden Städtchen, wie sie allerorten im ländlichen Südafrika zu finden sind. Die Geschäfte dort werden von den weißen Farmeignern dominiert. In Matwabeng dagegen leben die Schwarzen, die Farmarbeiter und Arbeitslosen. An diesen Verhältnissen hat sich – ein paar wenige schwarze Farmer bilden die Ausnahme von der Regel – wenig geändert im Post-Apartheid-Staat, in den nunmehr 27 Jahren nach den ersten freien Wahlen.
Rechter Mob vor Gerichtsgebäude
Und dennoch geriet der kleine Ort im vergangenen Oktober plötzlich ins Schlaglicht der Öffentlichkeit. Anlass war die brutale Ermordung eines 21jährigen weißen Farmmanagers. Schnell machte die Polizei zwei Tatverdächtige dingfest, die schon wenige Tage später vor Gericht standen. Vor dem Gerichtsgebäude der Kleinstadt versammelten sich zahlreiche weiße Farmer und Angehörige rechter Gruppierungen, die gegen eine mögliche Freilassung der Angeklagten auf Kaution protestierten. Die Situation eskalierte, aus dem Aufmarsch heraus stürmte eine Gruppe das Gerichtsgebäude und versuchte, sich Zugang zum Zellentrakt zu verschaffen, in dem die Verdächtigen warteten. Ein Polizeifahrzeug wurde umgestoßen und in Brand gesetzt, auch im Zellentrakt sollen die Angreifer Medienberichten zufolge versucht haben, Feuer zu legen.
Hinter den Protesten steckte nicht nur die Empörung über den grausamen Mord, sondern eine Kampagne, die Südafrikas weiße Rechte seit Jahren betreibt: die Legende von einem angeblich geplanten Genozid an der weißen Bevölkerung des Landes. Als Beleg für diese Verschwörungstheorie dienen als »Farmmorde« bezeichnete Gewaltverbrechen im ländlichen Raum. Die rechtskonservative Organisation AfriForum, deren Chef Kallie Kriel noch 2018 erklärt hatte, er »denke nicht, dass die Apartheid ein Verbrechen gegen die Menschheit war«, zählte im vergangenen Jahr 63 solcher Morde. Gegenüber 45 vergleichbaren Taten 2019 ist dies ein deutlicher Anstieg, 2018 hatte die Zahl jedoch bei 62 gelegen, 2002 sogar noch bei 140.
Südafrikas offizielle Polizeistatistik erfasst »Farmmorde« nicht getrennt von anderen solchen Gewaltverbrechen. Sie benennt aber sehr wohl die Gesamtzahl der Morde im Lande, die diejenigen, die vom Völkermord an Weißen fabulieren, gern unterschlagen. 21.325 Tötungsdelikte standen 2020 in der Statistik. Pro Tag sind dies durchschnittlich 58 Morde, also fast genauso viele wie »Farmmorde« pro Jahr. Die allermeisten Opfer sterben in den Townships der Schwarzen, am stärksten gefährdet sind in Armut lebende Frauen und Kinder.
Dass die Legende von den angeblich immer häufigeren »Farmmorden« trotz Statistiken, die das Gegenteil belegen, auch international immer noch verfängt, liegt an der medialen Wirkungsmacht der deutlich wohlhabenderen Weißen – und am unterstellten politischen Motiv eines geplanten Genozids, für das Institutionen wie der liberal-konservative Thinktank Institute for Security Studies jedoch keinerlei Belege finden konnten. Organisationen wie AfriForum hält das jedoch nicht davon ab, auch international Stimmung zu machen.
Kampagne mit Kalkül
Die Kampagne dient offensichtlich dazu, gegen eine seit Jahren geplante Landreform Stimmung zu machen, in deren Zuge in Einzelfällen auch entschädigungslose Enteignungen möglich sein sollen. Südafrikas Regierung will so Ländereien an Schwarze umverteilen, deren Vorfahren während der Kolonialzeit und später unter dem Apartheidregime um ihr Land gebracht worden waren. Der Landreformprozess ist seit dem Ende der Apartheid nur äußerst schleppend angelaufen – und die weißen Lobbygruppen scheuen sich nicht, Morde auf Farmen zu instrumentalisieren, damit dies so bleibt.
Die Polarisierungsstrategie der weißen Rechten geht so auf, ihre Anliegen bekommen gesteigerte Aufmerksamkeit. Dem sozialen Frieden in Südafrika ist damit nicht gedient, was sich im vergangenen Oktober auch in Senekal zeigte. Nach den Übergriffen der weißen Protestierenden versammelten sich in dem Ort auch Anhänger der vor allem von Schwarzen unterstützten, linken Oppositionspartei Economic Freedom Fighters, die sich für eine radikale Landreform einsetzt. Tagelang kam es in dem kleinen Ort zu Auseinandersetzungen.
2018 trat eine Delegation der Weißen-Lobbygruppe beim rechten US-Sender Fox News auf, was Donald Trump dazu veranlasste, seinen damaligen Außenminister Michael Pompeo per Twitter anzuweisen, sich doch bitte umgehend mit »den Land- und Farmbesetzungen und Enteignungen und den großangelegten Morden an Farmern in Südafrika« zu beschäftigen (siehe Screenshot). Australiens Regierung bot weißen südafrikanischen Farmern seinerzeit gar Asyl an.
Gern verbreiten Rechte die Mär, die »Farmmorde« würden medial »totgeschwiegen«, was sich allerdings mit einer kurzen Google-Recherche widerlegen lässt. Auch deutsche Medien haben in den vergangenen Jahren immer wieder darüber berichtet, teils mit reißerischen Formulierungen wie »massenhafte Morde« (Zeit, 2012) oder unbelegten Behauptungen wie der, dass Farmer »mittlerweile einer der gefährlichsten Berufe in Südafrika« sei (Stern, 2017). Ein ARD-Team begleitete 2018 gar eine Bürgerwehr-Einheit von AfriForum bei einer Nachtpatrouille.