Herausforderungen in der Pandemie
31. Mai 2021
Antifaschist:innen stehen seit einem Jahr vor einem Dilemma
Die gesellschaftlichen und strukturellen Bedingungen, die dem Virus zur weltweiten Verbreitung verholfen haben, beginnen bei der Art der Nahrungsmittelproduktion und Ernährungswirtschaft sowie der Zerstörung von Ökosystemen. Sie reichen vom Leugnen und Ignorieren durch überwiegend rechte Kräfte, dem herbeigesparten Pflegenotstand und den grenzübergreifenden ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen bis hin zu »Maßnahmenpaketen«, die Empfehlungen der Wissenschaft regelmäßig in den Wind schlagen und große Teile der Wirtschaft von der Pflicht der Pandemiebekämpfung entbinden. Mit dem Ergebnis, dass diese vor allem dem privaten und zivilgesellschaftlichen Bereich aufgebürdet wird. Die Analyse und Kritik dieser pandemietreibenden Verhältnisse wäre einen eigenen Artikel wert. Hier soll sich aber auf eine konkrete Frage konzentriert werden: Welche Konsequenzen hat die Pandemie auf unser Handeln als Antifaschist:innen?
Geeignete Alternativen
Für die Bereiche Gedenken sowie Information und Aufklärung durch Präsenzveranstaltungen sind Videokonferenzen eine geeignete Alternative. Sie ersetzen zwar keine sozialen Begegnungen und Gespräche am Rande, bieten aber auch Vorteile: So können leichter auch international Referent:innen eingeladen werden und, ob der überregionalen und bei Aufnahmen auch zeitlichen Ungebundenheit, wesentlich mehr Menschen teilnehmen – auch jene, die wenig mobil sind oder ungünstig wohnen. Diese Vorteile können wir auch nach der Eindämmung der Pandemie nutzen und bleiben wohl als Ergänzung zu Präsenzveranstaltungen erhalten.
Der Bereich des Protests auf der Straße ist komplizierter. Versammlungen und das gegenseitige Wahrnehmen und Bestätigen der eigenen Forderungen sind wichtig. Doch kann digital nicht der gleiche gesellschaftliche Druck aufgebaut werden, und steigert die Präsenz auf der Straße wirklich die öffentliche Wahrnehmung des Protestes? Um der Opfer von Hanau oder Halle zu gedenken bzw. auf die Situation von Geflüchteten aufmerksam zu machen, ist keine Versammlung auf einem Platz zwingend notwendig. Online-Demonstrationen sind eine Alternative, wie beispielsweise das Bündnis »Seebrücke« oder »Fridays for Future« gezeigt haben. Und die Frage zu der wichtigen Überlegung, ob wir Nazis und »Querdenker« einfach laufen lassen können, lautet: Können wir es verantworten, gegen solche Superspreaderevents (nicht nur des Hasses, sondern auch im Ursprungssinn der Viren) Menschen zu Gegenaktivitäten – quasi direkt in den Hotspot – zu mobilisieren? Reicht da ein Hinweis auf Maskenpflicht und Abstand aus – was vor Ort nicht immer einhaltbar ist?
Diese Frage scheint oft gar nicht erst gestellt zu werden, sondern es werden reflexhaft Gegenproteste organisiert, denn »unsere Sache ist gerecht«. Das ist sie tatsächlich. Doch das kümmert das Virus nicht. Es ist unabhängig von der Richtigkeit des Protests hochgradig ansteckend und gefährlich. Weltweit kostet es unzählige Leben, und viele der »Genesenen« kämpfen mit noch unerforschten und unbekannten Langzeitfolgen. Wesentliches Ziel muss sein, privat wie politisch alles zu tun, um seine Verbreitung einzudämmen. Wenn Unternehmen ihre Angestellten in Büros zwingen oder sich Schüler:innen in überfüllten Bussen drängeln, muss versucht werden, Druck zu entwickeln, das zu ändern. Es kann aber keine Begründung sein, an anderen Stellen selbst unvernünftig zu handeln.
Der (vermeintliche) politische Schaden eines fehlenden physischen Gegenprotestes muss gegen den schwer einzuschätzenden epidemiologischen (was übersetzt Menschenleben bedeuten kann) sehr gut abgewogen werden. Schon in »normalen« Zeiten sollten wir prüfen, ob oder wann wir uns unsere (Re-)Aktionen zu sehr von der Gegenseite diktieren lassen. Aber sollen wir uns von Nazis nun auch noch zwingen lassen, uns und andere zu gefährden und gegen jede Vernunft – bezogen auf die akute Pandemiesituation – zu handeln?
Kein Patentrezept
Sinnvoller wäre es, noch stärker kreative und kontaktfreie oder mindestens wesentlich kontaktärmere Protestformen zu finden. Mehr Kraft könnte in intensivierte Pressearbeit fließen, in die bessere Nutzung der Webseiten und sozialer Medien, so zur Organisierung von »Proteststorms«; in Plakat-, Banner-, Transparentaktionen oder künstlerische Installationen in der Stadt (oder dem Dorf), die im Netz dokumentiert und verbreitet werden können; in die Erstellung und breite Verteilung von Infomaterialien an Haushalte, Aufrufe an Anwohner:innen, aus den Fenstern Lärm zu machen etc. Es gibt kein Patentrezept.
Aber so können wir als Antifaschist:innen ein doppeltes Zeichen setzen: Den Corona-Leugner:innen nicht »nur« inhaltlich, sondern auch in der Form widersprechen. Zeigen, dass unser konkretes Handeln mit unserer Forderung nach Solidarität zur Eindämmung der Pandemie übereinstimmt. Das verlangt neben der eingangs erwähnten Gesellschaftskritik leider auch dem eigenen, auch dem politischen Handeln Einschränkungen und Umdenken ab.
Gedenken: Zu den Jahrestagen der Befreiung der Konzentrationslager organisierten einige Gedenkstätten und Gruppen virtuelles Gedenken (Beispiele auf unserem Youtube-Kanal). Zum 75. Jahrestag der Selbstbefreiung von Buchenwald begaben sich Mitglieder der VVN-BdA mit Transparenten zum Buchenwald-Schwur, mit Blumen und Fahnen an die historischen Orte oder Erinnerungstafeln (z. B. zu Todesmärschen) und dokumentierten ihr Gedenken
Video zur Ausstellung »Trotz alledem« (mit Besichtigungsmöglichkeit von außen im Freien)
Die VVN-BdA Frankfurt meldet sich auf ihrer Homepage mit kleinen Videobotschaften zu Ereignissen wie dem 1. Mai oder dem 9. November zu Wort. In Erinnerung an die Bücherverbrennung stellten 26 Menschen Textausschnitte von verfolgten Autor:innen als virtuelle Lesung auf frankfurtmain.vvn-bda.de/10-mai-1933
Online-Demo: Die »Seebrücke« spielte Videobeiträgen gegen die unhaltbaren Zustände in den Flüchtlingslagern und für kommunale und landesweite Aufnahmeprogramme ein
»Fridays for Future« führte einen virtuellen Klimastreik durch und machte u. a. mit der massenhaften Niederlegung von Plakaten vor dem Reichstag darauf aufmerksam