Ausgegrenzt und verfolgt

3. Juli 2021

Ralf Bogen vom Geschichtsprojekt der-liebe-wegen.org im antifa-Interview

antifa: Du bist seit Jahren am Projekt der-liebe–wegen.org beteiligt. Was ist die Idee dahinter?

Ralf: Lange Zeit galt: Es gibt nur Mann und Frau, zwei Geschlechter, und alle Menschen sind heterosexuell. Menschen, die nicht in diese Norm passen, galten als krank und pervers. Insbesondere in der NS-Zeit wurden sie unterdrückt und entwürdigt. Zusammen mit einem Exkurs über Minderheiten mit geschlechtlicher Thematik haben wir erstmals für Baden-Württemberg die Ausgrenzungs- und Verfolgungsgeschichte von gleichgeschlechtlich begehrenden Menschen detailliert sichtbar gemacht. Die Idee dahinter ist, dass wir damit zur nachhaltigen Stärkung der Akzeptanz menschlicher Liebes- und Lebensvielfalt beitragen. Ausgrenzende Sexualitäts-, Geschlechts- und Familienbilder sollen nicht noch einmal von rechtspopulistischen und neonazistischen Kräften für demokratiefeindliche Ziele instrumentalisiert werden können.

antifa: Wie habt ihr das umgesetzt?

Ralf: Im Fokus stehen die in einer digitalen Gedenkkarte dargestellten 254 Einzelschicksale von Opfern der NS-Diktatur. Mit der erstmaligen Veröffentlichung zahlreicher Scans von Originaldokumenten der Verfolgung, beispielsweise der Einweisung in ein Konzentrationslager, werden die Verbrechen der NS-Diktatur sichtbar gemacht. Insgesamt haben von den 251 Männern mit Bezug zu Baden und Württemberg 75 ihre KZ-Haft nicht überlebt.

antifa: Wie seid ihr auf den Namen des Projekts »Der Liebe wegen« gekommen?

Screenshot Internetseite der-liebe-wegen.orgRalf: Wir haben nach einem Titel gesucht, der gegen noch immer weit verbreitete Vorurteile wirkt, die mann-männliche Beziehungen auf promisken Sex reduzieren sowie frauenliebenden Frauen autonome sexuelle Bedürfnisse nicht zugestehen. In der AIDS-Krise in den 80er Jahren waren wir auf Beerdigungen, wo schwule Freunde verleugnet und Paare nicht anerkannt wurden. Der Titel drückt für uns aus, dass nicht nur Ausgrenzung und Verfolgung der Liebe wegen stattfanden, sondern auch unsere Aufarbeitung und Sichtbarmachung dieses Unrechts.

antifa: Die Ausgrenzung sowie Verfolgung von -LSBTTIQ hat in Deutschland eine Kontinuität, die 1945 keinesfalls endete. Welche Unterschiede lassen sich zwischen der DDR und der BRD ausmachen?

Ralf: Unser Internetprojekt zeigt erstmals die »Spitzenreiterrolle« von Baden-Württemberg bei der Verfolgung homosexueller Männer. Zwischen 1953 und 1969 sorgten hier annähernd 20.000 von der Kriminalpolizei erfasste Paragraf-175-Vergehen und 5.200 Verurteilungen für ein Klima von Angst, Denunziantentum, Demütigungen und für gebrochene Biografien. Auch in der DDR wurden homosexuelle Handlungen weiter verfolgt und homosexuelle Männer nicht als NS-Opfer anerkannt. Allerdings war in der BRD die Verfolgungsintensität deutlich höher. Im Gegensatz zur DDR hielt diese zwei Jahrzehnte lang an der von den Nazis 1934 verschärften Fassung des Paragrafen 175 fest. In beiden Staaten wurde das durch die NS-Diktatur verursachte Leid lesbischer Frauen und von Menschen mit geschlechtlicher Thematik weitgehend totgeschwiegen. Es gab aber auch drastische staatliche Repressionen in der DDR, beispielsweise 1985, als die Staatssicherheit elf Mitglieder von »Lesben in der Kirche« mit Gewalt von der Teilnahme an der Feier zum 40. Jahrestag der Befreiung des KZ Ravensbrück abgehalten hat.

antifa: Gibt es Wünsche von deiner Seite an die VVN-BdA?

Ralf: Dem Anspruch, eine Vereinigung aller Verfolgten des Naziregimes zu sein, ist unsere VVN meines Erachtens in der Geschichte leider nicht immer gerecht geworden. Hier wünsche ich mir, dass dieses Defizit bewusst aufgearbeitet und eine Vernetzung von Aktiven für LSBTTIQ-Anliegen innerhalb der VVN gefördert wird. Da die miteinander verknüpfte Bekämpfung von Homosexualität und Abtreibungen ein zentraler Bestandteil der Politik von (Neo-)Nazis ist, würde ich es begrüßen, wenn die Themen Geschlechter- und Familienpolitik in der VVN mehr Beachtung fänden. Das AfD-Motto zur Bundestagswahl 2021 »Deutschland, aber normal«, fordert uns alle heraus klarzustellen, dass normal nicht unsere Einfalt, sondern unsere Unterschiedlichkeit und Vielfalt ist! Immer wieder diffamieren rechtspopulistische Kräfte in enger Zusammenarbeit mit christlich-fundamentalistischen Kreisen Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt an den Schulen als »Frühsexualisierung« und bringen diese in Verbindung mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Dass wir noch stärker als bisher dieser Demagogie entgegentreten, ist mein Wunsch an die VVN sowie an alle demokratischen Kräfte.

Ralf Bogen ist Leiter des Internetprojekts »Der Liebe wegen – von Menschen im deutschen Südwesten, die wegen ihrer Liebe und Sexualität ausgegrenzt und verfolgt wurden« und aktiv in der Stuttgarter VVN-BdA. Daran wirken die Vereine Rosa Hilfe Freiburg und Weissenburg-Zentrum LSBTTIQ Stuttgart mit. Kontakt zum Projekt: kontakt@der-liebe-wegen.org

Bei der Abkürzung LSBTTIQ stehen die ersten drei Buchstaben LSB für sexuelle Minderheiten: lesbische, schwule und bisexuelle Menschen. Die folgenden drei Buchstaben TTI stehen für geschlechtliche Minderheiten: Transgender-Personen, trans- und intersexuelle Menschen. Der siebte Buchstabe Q steht für queere Menschen, die sich nicht angemessen in den ersten sechs Bezeichnungen wiederfinden.