Krieg gegen Kurd*innen
3. Juli 2021
Eine Friedensdelegation aus 14 europäischen Ländern bereist Südkurdistan
Im Juni war eine Friedensdelegation aus 14 europäischen Ländern in Südkurdistan, einem autonomen Gebiet im Süden des Iraks. Darunter waren auch Mitglieder der Regensburger und Landshuter VVN-BdA. Eingeladen wurden die Politiker*innen und Aktivist*innen von aktiven Kurd*innen aus Erbil, der Hauptstadt Südkurdistans. Ziel der Aktion »#Delegation4Peace« ist es, den Teilnehmer*innen Hintergründe über die Situation vor Ort zu vermitteln und Solidarität zu üben. Aber wie sieht die aktuelle Situation überhaupt aus?
Die Vertreibung und der damit einhergehende Befreiungskampf der kurdischen Bevölkerung ist schon mehrere Jahrhunderte alt. Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts spitzt sich der Konflikt allerdings zu. Die Region, die durch Kurd*innen geprägt wird, verteilt sich auf vier nationalstaatlich beanspruchte Gebiete, Konflikte sind da vorprogrammiert. Höhepunkte der letzten Jahrzehnte waren die Golfkriege, der Irakkrieg, an dem auch Al-Qaida beteiligt war, oder der Krieg gegen den »Islamischen Staat« (IS).
Parallel dazu gab es verschiedene Bemühungen seitens der Kurd*innen, Gebiete und Autonomie zu erkämpfen. Beispielsweise durch eine Volksabstimmung 2005 oder das kurdische Unabhängigkeitsreferendum gegen die irakische Zentralregierung 2017, aber auch mittels bewaffneter Kämpfe im syrischen Teil Kurdistans (Westkurdistan/Rojava). Durch das Referendum wurde die Unabhängigkeit der Autonomen Region Kurdistan im Norden Iraks (Südkurdistan) von der Bevölkerung bestimmt. Diese wird durch eine Regionalregierung, mit einer Mehrheit der konservativen Partei KDP, verwaltet. Ein Kurdistan scheint dabei das Ziel aller kurdischen Beteiligten zu sein, doch setzt die Regionalregierung auf ein staatliches und neoliberales Prinzip, während die PKK, wie auch in Rojava, auf einen demokratischen Föderalismus setzt. Aufgrund dieser innerkurdischen Differenzen kam es zuletzt vermehrt zu Spannungen.
Doch der Hauptkriegstreiber steht woanders. »Wir haben unsere Grenzen nicht freiwillig akzeptiert. Wir müssen wieder überall sein, wo unsere Ahnen waren«, droht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seit Jahren. Sein Ziel: ein neues osmanisches Reich. Diese Expansionswünsche stehen im engen Zusammenhang mit den Konflikten mit Griechenland, im innertürkischen Rahmen, aber auch in Rojava und Südkurdistan. Während Erdogan im eigenen Land die kurdische Oppositionspartei HDP zu kriminalisieren versucht und mit Repressalien überzieht, entfesselte er Ende April einen Drohnen-Angriffskrieg gegen die von Guerillas besetzten Gebiete in Südkurdistan. Damit nicht genug: Die türkische Regierung versucht zunehmend, die innerkurdischen Konflikte für sich zu nutzen. Aktivist*innen vor Ort berichten von Angeboten der Türkei an die KDP. So sollen nach den Vorstellungen Ankaras die KDP-nahen Peschmerga der türkischen Armee helfen, PKK-nahe Guerilla aus dem Norden zu vertreiben. Im Gegenzug sollen der von der KDP dominierten Regionalregierung wiedererkämpfte Gebiete zugesprochen werden. Dass dieser Deal allerdings so stattfindet, darf angesichts Erdogans Großmachtambitionen ernsthaft bezweifelt werden. Falls die Peschmerga ihre Aktivitäten gegen die Guerillas verstärken, wäre das der Start für einen innerkurdischen Bürgerkrieg. Dieser und der unrechtmäßig geführte Angriffskrieg der Türkei sind die Gründe für die Entstehung der Friedensdelegation. Neben den Gesprächen mit Aktivist*innen und Politiker*innen liegt das Hauptaugenmerk der Delegation auf der Situation der Zivil-bevölkerung. Dies äußerte sich in gemeinsamen Protesten, Solidaritätsbekundungen direkt an den Orten der Kriegsverbrechen, aber vor allem dem Start der internationalen Initiative #DefendKurdistan.
Wie sehr die Aktionen der Türkei und den -NATO-Verbündeten ein Dorn im Auge sind, wurde schnell klar. Allein in Deutschland wurden Mitte Juni rund 50 Personen, die (stellenweise vermeintlich) Teil der Delegation waren, an der Ausreise gehindert, darunter auch Linken-Abgeordnete wie Cansu Özdemir und Hakan Tas. Von Seiten der Bundespolizei wurde als Begründung der Schaden, den die Delegation der »deutsch-türkischen Freundschaft« zufügen könne, angeführt. Weiterhin hieß es, dass diese »das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland« schädige. Die Situation spitzte sich weiter zu, als bei einem vermutlich faschistischen Anschlag auf eine HDP-Zentrale Mitte Juni in Izmir die 38jährige Aktivistin Deniz Poyraz erschossen wurde. Weil die Delegation von den Peschmerga zwei Tage lang in ihrem Hotel festgesetzt wurde, konnte die Deklaration von #DefendKurdistan auch nur im Hotel vor der Presse und nicht wie geplant vor dem UN-Gebäude in Erbil verlesen werden. Ein vorläufige Zusammenfassung der Delegation zeigt, dass der Terror des türkischen Staats gegen Kurd*innen keine Grenzen kennt. Weder nationale, aber schon gar keine moralischen. Dass die Waffen, die für diesen Terror verwendet werden, »Made in Germany« sind, ist nur das alleroberflächlichste Argument dafür, dass Deutschland für die Kriegstreiberei Erdogans mitverantwortlich ist.