Nicht klagen – Weiterleben!
3. Juli 2021
Zum Tod von Bertrand Herz (24. April 1930 bis 20. Mai 2021)
Das Leben von Bertrand Herz, Ehrenpräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos (IKBD), Ehrenbürger der Stadt Weimar, ist vollendet. Unser sehr verehrter Freund verstarb am 20. Mai 2021 in Paris.
Als er vierzehn Jahre alt war, endete am 4. Juli 1944 in Toulouse seine behütete Kindheit. Er, sein Vater, seine Mutter und seine Schwester wurden von Deutschen verhaftet, »weil Sie Juden sind«, hieß es. In das KZ Ravensbrück kamen die Schwester und die Mutter, die dort verstarb. Die Schwester überlebte.
Der Vater und Bertrand wurden in das KZ Buchenwald deportiert. Dem vorgeblichen Verhaftungsgrund zuwider registrierte man beide als politische französische Häftlinge. Aus dem Kleinen Lager in Buchenwald mussten sie in das Außenkommando Niederorschel. Dort schuftete Bertrand in der Rüstungsproduktion.
Mit Hochachtung würdigte er den Kapo des Außenkommandos, den deutschen Kommunisten Otto Herrmann, der maßgeblich dazu beitrug, dass die Häftlinge des Kommandos gerettet wurden. Als der Vater von Bertrand in Niederorschel verstorben war, erklärte der Kapo: »Der Vater ist tot, aber der Sohn muss weiterleben«, was bedeutete, dass ihm geholfen würde. Daraus entwickelte Bertrand die Maxime: Nicht klagen, kämpfen, leben!
Da es Otto Herrmann gelang, den Evakuierungsmarsch der Häftlinge von Niederorschel zum KZ Buchenwald zu verlangsamen, kam Bertrand mit seinen Kameraden am 10. April 1945 in Buchenwald an, wo er am 11. April 1945 die Selbstbefreiung der Häftlinge von innen, mit der Unterstützung der Amerikaner von außen, erlebte.
Der erstarkende Antisemitismus in den 1980er Jahren und der zunehmende Einfluss des Rechtsextremismus veranlassten Bertrand Herz, sein langes Schweigen zu beenden und Kontakt zur liberalen jüdischen Bewegung Frankreichs herzustellen. Nach seiner Pensionierung schloss er sich der Association Française Buchenwald Dora et Kommandos an, deren Generalsekretär er 1997 wurde. Intensiv befasste er sich mit dem System der Konzentrationslager. Ab 1999 wandte er sich mit seinen Erlebnissen und Erfahrungen jungen Menschen zu und betonte wiederholt, dass es ihm um die Versöhnung mit dem deutschen Volk von heute gehe, aber keinesfalls um irgendeine Art der Vergebung.
Vom damaligen Präsidenten des IKBD, Pierre Durand, eingeladen, an der Arbeit des Komitees teilzunehmen, übernahm er vielfältige Aufgaben und wurde im April 2001 zum Präsidenten gewählt. Stets ging er von der Position aus, dass die Geschichte Deutschlands nach 1945 nicht das IKBD betraf, die Geschichte der Nazi-Diktatur jedoch die europäischen Völker. In diesem Verständnis verteidigte er das ehemalige KZ Buchenwald als Ort internationalen Mahnens und Gedenkens.
Herausragende Bedeutung hatte für Bertrand Herz der »Schwur von Buchenwald«, dem er sich verpflichtet fühlte und in dem er das zu bewahrende Vermächtnis des antifaschistischen Widerstands sah. Wir verneigen uns vor einem aufrichtigen Freund und werden ihn ehrend in unserer Erinnerung bewahren.
In seinem Buch »Le pull-over de Buchenwald«, erschienen 2015 in Paris, auf Deutsch 2016 unter dem Titel »Der Tod war überall. Ein Überlebender berichtet«, schrieb Bertrand Herz unter anderem:
»(…) Ich aber habe gesungen im Kleinen Lager von Buchenwald. Trotz des Elends, des Hungers, des Drecks, der Kälte und des Todes gab es zwischen August und Dezember 1944 einen kleinen Spielraum für Menschlichkeit (…) Wir haben in den Latrinen gesungen, während andere Kameraden ihr Geschäft verrichteten. (…) Zusammen mit meinen Kameraden habe ich dort das Largo von Händel gesungen. (…) Aber am deutlichsten ist mir in Erinnerung geblieben, dass ich in den Latrinen des Kleinen Lagers alle Strophen und den Refrain des Moorsoldatenliedes gelernt habe. Jedes Mal, wenn ich es höre, fliegen meine Gedanken zu diesem Ort, an dem wir trotz des Gestanks von Schmerz, aber auch von Hoffnung gesungen haben. Danke Pierre Halbwachs, dass du mir geholfen hast, im Angesicht des Elends, des Hungers und des Todes den Glauben an das Leben nicht zu verlieren.« (S. 82 f) Gerhard Hoffmann