Braune Ränder

geschrieben von Peps Gutsche

8. September 2021

Andreas Speits neues Buch über gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus

Der freie Journalist und Autor Andreas Speit ist bekannt für seine zeitgemäßen Analysen extrem rechter Bewegungen und angrenzender Phänomene. Das Buch »Verqueres Denken« ist dabei als etwas Besonderes zu sehen, richtet es doch den Blick auf alternative Milieus. So zeigt er anhand aktueller Beispiele, wie an rassistisches, antisemitisches und behindertenfeindliches Denken angeknüpft oder darauf Bezug genommen wird – in der »Querdenken«-Bewegung ebenso wie an Waldorfschulen, in der Tierrechtsbewegung und bis hin zu Extinction Rebellion.

In fünf Kapiteln widmet sich der Autor scharfsinnig anhand der Analyse von Demonstrationen, Social-Media-Kanälen, Interviews mit Expert_innen und Selbstdarstellungen unterschiedlichen Gruppen und Einzelpersonen. Dabei sieht Speit in der aktuellen »Bio-Boheme« mit ihrem Hang zu Veganismus und Alternativmedizin eine dritte Lebensreform-Bewegung. Diese in der Antimoderne verhaftete Strömung zeichnet sich durch die Ablehnung der Industrialisierung sowie Urbanisierung aus und sieht den Menschen von der Natur entfremdet. Ihre zweite Welle erreichte sie in den 1960er Jahren und begleitete damit die Gründung der Grünen als alternative Bewegung.

Ambivalenzen und Heterogenität

Mit Blick auf »Querdenken« zeigt Andreas Speit die Ambivalenzen und Heterogenität der Akteur_innen auf. In Bezug auf aktuelle Studien lässt sich feststellen, dass ein großer Teil der Anhänger_innen hohe Bildungsabschlüsse hat und der Mittelschicht angehört. Eine mögliche Erklärung hierfür sind die mit dem Lockdown verbundene Begrenzung der Selbstverwirklichung und eine erhöhte Sorge um die eigene ökonomische Situation – existenzielle Unsicherheiten, deren damit verbundene Ohnmachtsgefühle Menschen für Verschwörungsmythen und Sündenbock-Erzählungen zugänglicher machen. Darunter finden sich dann Personen wie der Vegankoch Attila Hildmann – öffentlich verbreitete extrem rechte Gewaltandrohungen führten 2021 zu einem Haftbefehl gegen ihn – ebenso wie die »Ärzte für Aufklärung«, die sich gegen den Gebrauch von Masken aussprechen und das Corona-Virus leugnen.

Andreas Speit: Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus. Berlin 2021, Ch.-Links-Verlag, 240 Seiten, 18 Euro

Andreas Speit: Verqueres Denken. Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus. Berlin 2021, Ch.-Links-Verlag, 240 Seiten, 18 Euro

Neben diesen offensichtlich rechte Narrative übernehmenden Personen und Gruppen geht Speit auf die völkischen und menschenfeindlichen Wurzeln des Gedankenguts beispielsweise von Impf-skeptiker_innen ein. Schon im 19. Jahrhundert wurden Pandemien und Krankheiten als Möglichkeit der »natürlichen Auslese« und Mittel gegen Überbevölkerung gesehen. Hier gibt es die auch heute noch aktuelle Argumentation, dass Impfungen gesunde Körper krank machen würden, und nur eine gesunde Lebensführung im Einklang mit der Natur die Lösung zum Umgang mit Krankheiten sei. So ist es dann auch nicht weit, sich mit Zitronen und Vitamin C gegen Covid-19-Erkrankungen zu schützen oder mit Homöopathie Krebserkrankungen heilen zu wollen.

Diese Art des Denkens findet sich im Besonderen in der Anthroposophie. Speit seziert den spirituell-ideologischen Überbau von Konzepten und Marken wie Demeter, Weleda oder Waldorf-Schulen, der durch Rudolf Steiner begründet wurde. Nicht nur wird auf die rassistischen und antisemitischen Ausführungen in Steiners Schriften eingegangen und die Auseinandersetzung damit innerhalb der Anthroposophie, sondern es wird anhand aktueller Vorfälle an Waldorf-Schulen auch sichtbar gemacht, wie gefährlich antimodernes Denken sich dort heute auswirkt. Seien es mehrere Ausbrüche von Masern-Erkrankungen an Waldorf-Schulen aufgrund fehlender Impfungen oder der Umstand, dass extrem rechte Personen ihre Kinder gezielt in Waldorfschulen geben, wegen derer ideologischen Grundlagen.

Rassistische und antisemitische Grundgedanken

Speit führt weitergehend aus, dass sich im Natur- und Umweltschutz sowie in der Tierrechtsbewegung immer wieder rassistische und antisemitische Grundgedanken finden – sei es die Erzählung der Überbevölkerung und Ablehnung von Migration, Holocaust-Vergleiche in Bezug auf den Umgang mit Natur und Tieren oder auch offen behindertenfeindliche Positionen innerhalb der Tierrechtsbewegung.

Stellenweise fehlt im Buch ein roter Faden – so widmen sich die einzelnen Kapitel eigenen Themenkomplexen, eine Draufsicht, wie diese jedoch miteinander verbunden sind, fehlt in Teilen. Trotzdem handelt es sich um ein wichtiges Buch, das dazu einlädt, kritisch und differenziert auf Bewegungen zu schauen, denen man sich in Teilen selbst zugehörig fühlt. Speit geht es nicht darum, grüne und sich selbst links verortende Milieus zu diskreditieren, sondern antihumanistische Strömungen und Positionen in diesen zu identifizieren. So bietet das Buch eine tiefergehende Auseinandersetzung und die Möglichkeit, emanzipatorische Inhalte und an der Menschenwürde aller orientierte Positionen zu schärfen und nach rechts abzugrenzen – ob auf der Yogamatte, auf der Straße oder im Plenum.