Hilflose und zerstrittene AfD

geschrieben von Michael Mallé (B)/Axel Holz (MV)

6. November 2021

Ergebnisse der Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern lieferten keinesfalls nur Hoffnungsvolles

Berlin

Am 26. September 2021 wurden in Berlin neben dem Bundestag auch das Abgeordnetenhaus und die Bezirksparlamente neu gewählt. Derzeit scheint es, dass die rot-rot-grüne Koalition weiter regieren wird. Auch das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« war erfolgreich. An der Wahl beteiligten sich mehrere extrem rechte Parteien, allen voran die »Alternative für Deutschland« (AfD).

Es bleibt dabei: Die AfD vereint derzeit einen Großteil der extrem rechten Stimmen auf sich. Nach Wahlerfolgen in den Jahren 2016 (Berlin) und 2017 (Bundestag), ist sie inzwischen auf ihre Stammklientel zurückgeworfen. Hilflos und zerstritten wirkte der Berliner AfD-Landesverband, eng verknüpft mit seinem völkischen »Flügel« und so kaum anschlussfähig für jene Teile des Bürgertums, die mit extrem rechten Parteien liebäugeln. Der AfD-Wahlslogan »Berlin, aber normal« wurde so zur Farce. 8,0 Prozent der Wähler*innen gaben der AfD ihre Stimme. Im Vergleich zur vorigen Berlin-Wahl (14,2 Prozent) ist das ein Verlust von fast der Hälfte der Stimmen. Mit 13 Sitzen (2016: 25 Sitze) wird die AfD im Abgeordnetenhaus vertreten sein, auch bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen erlitt sie in der Regel massive Stimmenverluste. Die bisher nur mühsam gedeckelten Konflikte zwischen vermeintlich »Gemäßigten« und »Flügel«-Anhänger*innen werden zukünftig wohl in Verteilungskämpfen öfter ausbrechen.

In der Hauptstadt verlor die AfD fast die Hälfte ihrer Stimmen. Die Berliner Spitzenkandidatin und Landesvorsitzende Kristin Brinker (r.) hier an der Seite von AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla sowie Alice Weidel, bisherige Kovorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei.  Foto: RechercheNetzwerk Berlin

In der Hauptstadt verlor die AfD fast die Hälfte ihrer Stimmen. Die Berliner Spitzenkandidatin und Landesvorsitzende Kristin Brinker (r.) hier an der Seite von AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla sowie Alice Weidel, bisherige Kovorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei.
Foto: RechercheNetzwerk Berlin

Die NPD, die früher zumindest in vier Bezirksverordnetenversammlungen saß, spielt bei Wahlen keine Rolle mehr. Nur noch 0,1 Prozent entschieden sich für die Neonazipartei. Die Personaldecke der NPD ist inzwischen so dünn, dass sie selbst in früheren Stammbezirken nicht flächendeckend Kandidaten aufstellen konnte. Als Wahloption ist sie wohl auf absehbare Zeit vernachlässigenswert, ebenso wie die AfD-Abspaltung »Liberal-Konservative Reformer« (LKR), die 0,1 Prozent der Stimmen erhielt sowie die »Querdenker«-Partei »Die Basis«, die 1,3 Prozent erreichte und so deutlich ihr Ziel, in die Parlamente einzuziehen, verfehlte. Dennoch werden ihr in den nächsten Jahren staatliche Mittel zufließen.

Der Berliner Wahlkampf bot für die extreme Rechte wenig Möglichkeiten, erfolgreich Themen zu setzen. Entsprechend groß sind die Verluste. Dass trotzdem 9,5 Prozent der Wählenden in Berlin – das sind etwa 170.000 Menschen – extrem rechten Parteien ihre Stimme gaben, ist ein Fakt, der alarmieren sollte.

Mecklenburg-Vorpommern

Die SPD hat in MV mit knapp 40 Prozent ein überwältigendes Ergebnis erzielt. Dieser Wahlsieg ging zulasten von CDU und Die Linke. Die SPD kann dennoch ein rot-rotes Bündnis eingehen. Die Verluste aller bisherigen im Landesparlament vertretenen Parteien nutzten vor allem FDP und Grünen, die beide knapp die Fünf-Prozent-Marke übersprangen und mit jeweils fünf Abgeordneten in den Landtag einziehen.

Die AfD hat mit 16,3 Prozent viereinhalb Prozentpunkte verloren, bleibt aber zweitstärkste Partei. Sie hatte sich im Vorfeld eine innerparteiliche Schlammschlacht geleistet, die in den Medien breite Aufmerksamkeit fand. Durch antifaschistischen Widerstand hatte sich Neubrandenburg als Austragungsort des AfD-Wahlparteitages verweigert, so dass dieser in ein Zelt auf dem Lande ziehen musste. Die Listenwahl wurde abgebrochen, verschoben und unterbrochen. Am Ende gehören dem neuen Landesparlament von den 14 AfD-Abgeordneten nur vier aus der alten Riege an. Landesvorsitzender Leif-Erik Holm hatte immer wieder versucht, offene Nazisympathisanten aus den Listen zu verbannen, wie den MdL und Jura-Professor Ralph Weber. Der hatte ein »Flügel«-Treffen in Binz organisiert und steht im Fokus des Inlandsgeheimdienstes. Der Charakter der AfD hat sich dadurch aber nicht verändert.

Noch kurz vor der Wahl hatte der alte und neue AfD-Fraktionschef Nikolaus Kramer mit frauenfeindlichen Sprüchen Aufmerksamkeit erregt. Männer eigneten sich besser für die Politik, hatte er in einem Interview behauptet. Schaut man in die Antragsgeschichte der Fraktion im Lande, hatten migrationsfeindliche Inhalte, die Verunglimpfung von Demokratieinitiativen, Antifaschisten und Gedenkprojekten, Angriffe gegen Sexualaufklärung, Gendergerechtigkeit und Religionsfreiheit die Legislatur kontinuierlich durchzogen. Im Landtagswahlkampf hat die AfD auch 2,5 Prozentpunkte an die NPD und die »Querdenker«-Partei »Die Basis« verloren. Insgesamt bleibt das extrem rechte Spektrum mit knapp 20 Prozent im Lande stark und hat sich in der Fläche verfestigt. Im Schweriner Plattenbaugebiet Dreesch und im Ort Mustin hatte die AfD nahezu 40 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten. Auch wenn die Gesamtergebnisse der extrem Rechten deutlich unter denen in Sachsen und Thüringen blieben, das gesellschaftliche Klima hat sich auch im Norden deutlich verändert. Demokratiefeinde, Nazis, Corona-Leugner und »Querdenker« belasten das Klima der Gesellschaft mittlerweile nachhaltig.

Was wäre, wenn auch Jugendliche unter 18 Jahren hätten wählen dürfen? Rund 260.000 Kinder und Jugendlichen beteiligten sich Mitte September an dem Experiment in 2.200 Wahllokalen in allen Bundesländern.
Die Ergebnisse: Grüne: 21 %, SPD: 19%, CDU: 17 %, FDP: 12%, Sonstige: 12%, Linke: 8%, AfD: 6%, Tierschutzpartei: 6 %.