Antifa heißt abschalten

geschrieben von Christian Meyer

7. Januar 2022

Die ZDF-Serie »Westwall« verhebt sich am Rechtsterror

Westwall nannten die Nazis ein System von Bunkeranlagen und Panzersperren, das sich über rund 600 Kilometer an Deutschlands westlicher Grenze erstreckte. Später benannte sich ein Hammerskins-Chapter ebenso danach wie eine Aachener Hooligangruppe. Als Titel für eine Serie über Rechtsterrorismus weckt der Name freilich auch Assoziationen zu Nordkreuz. Und tatsächlich gibt es auch hier Verstrickungen zwischen Sicherheitsbehörden und Rechtsterrorismus. Irgendeine Form von Aufklärung sollte man allerdings nicht erwarten.

Sechs Episoden lang folgen die Zuschauer_innen Polizeianwärterin Julia (Emma Bading) und dem Naziaussteiger Nick (Jannik Schümann), der als V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf sie angesetzt ist. (Aber nur zunächst, schon bald ist es wirklich Liebe.) Namengebendes Zentrum der Handlung ist eine rechte Kinderbande und deren Ersatzmutter Ira (toll gespielt von Jeanette Hain). Auf ihre Rolle ist alles ausgerichtet. Der Bundesverfassungsschutz möchte ihr das Handwerk legen und Anschläge verhindern, ein Landesverfassungsschutz protegiert sie hingegen und ist von Rechten unterwandert, Nick ist einer ihrer Zöglinge – und Julia ist ihre Tochter.

Ira wird als psychotisch und manipulativ dargestellt und macht als Faschistin dennoch keine überzeugende Figur. Anders als Karl (David Schütter), ihr Mann fürs Grobe, ein dümmlich-autoritärer Charakter wie aus dem Bilderbuch. Er könnte gut Uwe heißen. Eine Wehrsportgruppe von mal sadistischen, mal bemitleidenswerten Jugendlichen und ihr Hauptquartier mitten im Wald erinnern allerdings weit mehr an eine Zombi-Dystopie als an die real existierende rechte Gruppe Freital. Der Eindruck wird durch archaische Rituale und Ira als diabolische Anführerin verstärkt. Die Zuschauer_innen sollen offenbar lieber Parallelen zu verschrobenen Wohngemeinschaften und Protestcamps ziehen. Ein Mädchen trägt Dreadlocks, es gibt einen Kochplan. Die Nachwuchsterrorist_innen sind vom Rest der Welt weitgehend isoliert und lassen sich von Ira alle möglichen Lügen auftischen – weil sie keinen Internetzugang haben, müssen sie ihr glauben.

Freilich bekommen sie auch Versatzstücke rechter Ideologie vorgesetzt. Ira hetzt gegen Geflüchtete und korrupte politische Eliten. »Wir holen uns unser Land zurück«, gibt sie die Parole der AfD aus. Warum, wo und wie diese Ideologeme auf fruchtbaren Boden fallen, dazu liefert »Westwall« nicht einmal schwache Erklärungsversuche. Warum werden diese Jugendlichen Rechtsterrorist_innen? Ach so, es sind vernachlässigte Kinder. Ja, dann wundert einen das nicht. Ira konnte sie anscheinend auch einfach so einsammeln und im Wald zu kleinen Soldat_innen ausbilden, Schulpflicht oder dergleichen scheint sie jedenfalls nicht zu hindern. Andere militante Zellen und ihre Anschlagspläne werden erwähnt, im Folgenden aber weder von der Handlung noch von den Behörden verfolgt.

Foto: Liebespaar: Polizeianwärterin Julia und V-Mann Nick vor dem Nazibunker im Wald.

Foto: Liebespaar: Polizeianwärterin Julia und V-Mann Nick vor dem Nazibunker im Wald.

Was uns zur Darstellung der Sicherheitsapparate bringt. Hier sind die gezeigten Charaktere zwar etwas glaubwürdiger, aber die Verbindungen der Behörden ins faschistische Milieu werden gänzlich als Verschwörung inszeniert. Eine Verschwörung, bei der zwei Schlipsträger entscheiden können, ob Tag X noch mal 14 Tage verschoben werden soll. Es gibt Szenen, in denen größere Strukturen jenseits der Terrorzelle und dem Sicherheitsapparat angedeutet werden. Es bleibt bei Geraune. Das unterwanderte Landesamt für Verfassungsschutz handelt in der Logik der Serie ganz klar gegen den Staat und viel weniger im Staat. Gegenpol ist der gute VS-Mann Florian Keppler, der auch Nicks V-Mann-Führer ist. Devid Striesow holt aus der Rolle viel heraus und macht beim Zusehen wirklich Freude.

Während der VS die Rechtsterrorist_innen also unterstützt und jagt, kümmert sich die Polizei erst mal gar nicht um sie. So weit, so wahrheitsgetreu. Polizeianwärterin Julia ist mit ihrem Vater in einem linken Wagendorf aufgewachsen und hat sich dann für den Polizeidienst entschieden, um Struktur und Sicherheit in ihrem Leben zu haben. Als Julia in die »Familie« der Polizei aufgenommen wird, lernt sie die Feinheiten des Jobs. So ist es beispielsweise in Ordnung, Datenbanken für persönliche Zwecke zu durchforsten, solange man es mit dem Vorgesetzten abspricht. Der belässt es auch bei einer Verwarnung, als sich Julia beim Schießtraining eine Waffe einsteckt.

Regisseurin Isa Prahl setzt den Stoff ästhetisch meist unauffällig um, aber am Ende stehen zwei Bilder, über die wir nachdenken sollten. Karl, im Lauf der Serie mehrfach halbtot, ist nach einer Explosion verschüttet, kann sich aber selbst frei graben. Etwa zur gleichen Zeit stürmt ein Sondereinsatzkommando das Versteck der Nazibande. Der Faschismus ist nicht tot zu kriegen. Die überwältigende Staatsgewalt wird uns aber vor ihm bewahren. Beides ist falsch.

Wehrhafte Demokratie und Hufeisenphantastereien als konstruiertes Familiendrama – »Westwall« ist tatsächlich schlimmer als erwartet. Romanvorlage und Drehbuch stammen von Benedikt Gollhardt. Er hat bereits mit Fortsetzung gedroht.

»Westwall«, 6 x 45 Minuten, Regie: Isa Prahl, Buch: Benedikt Gollhardt. Erstausstrahlung seit 20.11.2021, in der ZDF-Mediathek verfügbar