Entkriminalisieren!

7. Januar 2022

Schwangerschaftsabbrüche: Polnisch-deutsche Gruppe »Ciocia Basia« im Interview

antifa: Eure Organisation Ciocia Basia aus Berlin hilft seit mehreren Jahren ungewollt Schwangeren aus Polen beim Abbruch. Wie entstand eure Initiative?

Gosia: Ciocia Basia entstand 2015 als Kollektiv von Aktivist:innen, die beobachteten, dass Menschen aus Polen aufgrund der dortigen Kriminalisierung ungewollt Schwangerer nach Berlin oder Deutschland kamen. Und sie dabei praktisch zu unterstützen, diese Schwangerschaften abzubrechen, ist sozusagen unsere Kernaufgabe.

antifa: Was geschieht, wenn ihr um Unterstützung bei einem Schwangerschaftsabbruch gebeten werdet?

Gosia: Wir wirken dann vorwiegend auf einer praktischen Ebene. Die massive Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb Polens bringt mit sich, dass es viel Unwissen zur Thematik gibt. Bei den Menschen, die nach Deutschland kommen, helfen wir beispielsweise bei der Schwangerschaftskonfliktberatung, bei Reisekosten, beim Dolmetschen, bei der Vermittlung von Übernachtungen und so weiter.

antifa: Arbeitet ihr mit Initiativen aus Polen, die die Proteste im Land organisieren, zusammen, und wie seid ihr insgesamt über Berlin hinaus organisiert?

Gosia ist eine Aktivistin der Berliner Gruppe »Ciocia Basia« (Tante Barbara). Das Kollektiv setzt sich für das Recht auf Abtreibung ein und ist auf Facebook und Instagram zu finden.

Gosia ist eine Aktivistin der Berliner
Gruppe »Ciocia Basia« (Tante Barbara).
Das Kollektiv setzt sich für das
Recht auf Abtreibung ein und ist auf
Facebook und Instagram zu finden.

Gosia: Wir arbeiten in einem europaweiten Netzwerknamens »Abortion without Borders«, auch weil sich auf dem Kontinent die Gesetze zu Schwangerschaftsabbrüchen stark unterscheiden und sich mitunter Situationen ergeben, wo die Gesetzeslage in der Bundesrepublik uns zwingt, den Schwangeren mitzuteilen, dass wir ihnen hier nicht helfen können. Wir müssen uns einfach vergegenwärtigen: Seit 1993 gab es in Polen jährlich rund 1.200  Schwangerschaftsabbrüche, die als legal bezeichnet werden können. Dem steht seit der Gesetzesverschärfung Oktober 2020 allein eine Zahl von 34.000 Menschen aus Polen gegenüber, die sich über das Netzwerk »Abortion without Borders « Unterstützung organisiert haben.

antifa: Auch über Polen hinaus schlug Anfang November der Fall der 30-jährigen Izabela1 hohe Wellen. Wie schätzt ihr die aktuelle Situation in Polen ein, und hatte der Fall oder die ihm zuteil gewordene Aufmerksamkeit Auswirkungen auf eure Arbeit in Berlin?

Gosia: Indirekt auf alle Fälle. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, wir sind hier in einer privilegierten Situation. Uns droht keine Bestrafung für das, was wir hier machen, weil alles auf legalem Wege passiert. In Polen ist auch eine weitverbreitete Sicht, dass die Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs traumatisch seien, wir beobachten aber bei den uns bekannten Fällen in der Regel, dass sich Trauma wegen der reaktionären Stimmungsmache eher davor als danach einstellen. Nach einem Abbruch kommt bei einem Großteil der Fälle, etwa 90 Prozent, eher das Gefühl von Erleichterung und Glück.
Seit der Verschärfung der Gesetzeslage im Oktober 2020 beobachten wir erfreulicherweise, dass auf inoffiziellen Wegen viel mehr Informationen die Runde machen. Mitunter finden sich auch auf Graffiti an Wänden die Kontaktdaten zu »Abortion without Borders «. Laut einer Studie hat in Polen jede dritte Person, die schwanger sein kann, in ihrem Leben bereits abgetrieben. Das ist ein höherer Wert als in Ländern mit liberaleren Gesetzen oder in denen Abbrüche einfacher zu realisieren sind.

antifa: Das Spektrum von AbtreibungsgegnerInnen ist auch hierzulande erheblich, und ihre Aktivitäten sind nicht folgenlos, wie die stetig sinkende Zahl an Ärzt:innen zeigt, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Haben die Aktivitäten dieser zumeist christlichen FundamentalistInnen, die selbst europaweit gut vernetzt sind, auch direkt Einfluss auf eure Arbeit in Berlin?

Abtreibung Ohne Grenzen: abortion.eu

Abtreibung Ohne Grenzen: abortion.eu

Gosia: Glücklicherweise nicht unmittelbar, und wir tun auch alles, um die Identität von Menschen, die sich an uns wenden, zu schützen. Wir sammeln nur die Informationen, die unbedingt nötig sind. Dennoch sind natürlich die Aktionen der Fundis, beispielsweise wenn sie Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, so weit einschüchtern, dass sie damit aufhören, hinderlich für unsere Arbeit. Wenn in ganz Bayern nur eine Handvoll Adressen verfügbar ist, bei denen Abbrüche möglich sind, macht das die Dimension des Ganzen sehr klar.

antifa: Anfang Dezember wurde bekannt, dass die neue Regierungskoalition in Deutschland einige Schritte unternehmen will, um die Rechte von Schwangeren, die sich für Abbrüche entscheiden, und den Ärzt:innen, die sie vornehmen, zu stärken. Wie ist euer Blick auf diese Pläne, und wo gehen sie möglicherweise nicht weit genug?

Gosia: Es wäre schon schön, wenn das Verbot, über Schwangerschaftsabbrüche auf Seiten der Ärzt:innen zu informieren, endlich fällt. Die Paragraphen 218 und 219 müssen endlich komplett abgeschafft werden.
Wir brauchen also mehr Unterstützung und weniger Gatekeeping, was sich in unseren Augen auch auf die Nachbarländer auswirken würde. Sogar die WHO empfiehlt, medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche zu Hause vorzunehmen, weil dies der sicherste Weg ist. In 98 Prozent der Fälle ist es absolut problemlos.
Die neue Regierung musste sich ohne die CDU glücklicherweise bewegen, dennoch gibt es noch viel Luft nach oben.

Das Gespräch führte Andreas Siegmund-Schultze

¹Izabela war in Pszczyna in einem Krankenhaus in der 22. Schwangerschaftswoche in ärztlicher Obhut gestorben und gilt als erstes bekanntes Todesopfer des restriktiven Abtreibungsgesetzes, das vor etwa einem Jahr in Polen in Kraft gesetzt wurde.

Gosia von »Ciocia Basia« dazu, welche Unterstützung sie sich wünschen: »Viele Menschen, die bei uns anfragen, brauchen im Falle einer OP eine Unterkunft oder fragen nach der Übernahme der Fahrt- oder Behandlungskosten.
Hier sind Spenden hilfreich, zumal wir alle ehrenamtlich arbeiten und das gesamte Geld weitergereicht wird. Am wichtigsten ist aber, alles dafür zu tun und Druck auszuüben, damit Schwangerschaftsabbrüche überall komplett entkriminalisiert und als Teil des normalen Lebens anerkannt werden!«