Gegen Barbarei des Krieges
7. Januar 2022
Zum Tod von Enrico Pieri
Enrico Pieri wurde am 19. April 1934 geboren und überlebte als Zehnjähriger das SS-Massaker in Sant`Anna di Stazzema. Am 10. Dezember 2021 ist Enrico gestorben. Am 12. August 1944 wurden 560 Menschen in Sant`Anna di Stazzema, einem kleinen Bergdorf in der Toskana, durch Soldaten der 16. Division der Waffen-SS ermordet. Während die Ermittlungen in Deutschland immer wieder verschleppt wurden und selbst öffentliche Geständnisse von Beschuldigten nicht zur Anklage führten, verurteilte in Italien das Militärgericht La Spezia im Jahre 2005 zehn Divisionsangehörige wegen vielfachen Mordes zu lebenslangen Haftstrafen. Die Urteile blieben ohne praktische Bedeutung, weil Deutsche nicht nach Italien ausgeliefert werden.
Um den in Italien verurteilten Mördern in einem Prozess in die Augen zu sehen und um doch noch späte Gerechtigkeit zu erfahren, führte Enrico Pieri als Präsident des Vereins der Opfer von Sant`Anna di Stazzema mit anwaltlicher Hilfe ein Verfahren, um die Anklage gegen die Täter in Deutschland zu erzwingen. Die Beauftragung der anwaltlichen Vertretung erfolgte von ihm mit einer anrührenden handschriftlichen Erklärung, in der er seine Familienmitglieder nannte, wegen deren Ermordung er die Nebenklage in Deutschland führen wollte: seinen Vater Natale (39 Jahre), seine Mutter Irma Bartolucci (35 und im vierten Monat schwanger), seine Schwester Alice Pieri (12), seine Schwester Luciana Pieri (5), seine Großeltern Gabriello Pieri (73) und Doralice Mancini (77), die Onkel Alfredo Bartolucci (31) und Galliano Pieri (36) und 19 weitere Familienangehörige, die er bei dem Massaker der SS verlor. Das Verfahren zur Erzwingung der Anklage in Deutschland dauerte 12 Jahre. Als es im Jahr 2014 gegen den für das Massaker verantwortlichen Kompanieführer, Gerhard Sommer aus Hamburg, endlich gewonnen wurde und die Staatsanwaltschaft hätte Anklage erheben müssen, war der 93-jährige dement und nicht mehr verhandlungsfähig.
Enrico Pieri hat die Hölle erlebt und ist daran nicht verzweifelt. Bis zu seinem Tod hat er sich gegen die Barbarei des Krieges und für eine friedliche Welt engagiert. Die zahlreichen Begegnungen mit jungen Menschen, vor allem in vielen Jahren mit den jugendlichen Teilnehmer/innen der Friedenscamps in Sant`Anna di Stazzema, haben ihn hoffnungsvoll und fröhlich gestimmt. Nach dem 12. August 1944 hatte er viele Jahre geschwiegen. Zusammen mit seinem Freund Enio Mancini und in dem Kontakt mit Jugendlichen hat er angefangen, über seine Erlebnisse zu berichten, seine Erfahrungen und seine Gedanken zu teilen. Es gab ein Ritual nach den jährlichen Gedenkfeierlichkeiten. Enrico lud in den Garten der Familie Pieri in Sant`Anna ein, wo alle bei leckerem Essen durcheinander redeten, dem »Bella Ciao« der Wandergruppe der A.N.P.I. (Associazione Nazionale Partigiani d`Italia), dem Gesang der Jugendgruppen oder kleinen Reden der Eingeladenen lauschten.
Wir trauern um unseren Freund Enrico Pieri. Unsere Anteilnahme gilt seiner Familie, gilt den Überlebenden des Massakers von Sant`Anna di Stazzema und ihren Angehörigen, sie gilt seinen Freunden und der Gemeinde Stazzema. Im Gedenken an alle Opfer nationalsozialistischer Verbrechen. In Erinnerung an Enrico. Hamburg, den 12.12. 2021.