Potenziale der Kränkung
7. Januar 2022
Aus dem Maschinenraum der antifeministischen Bewegungen
Der 35-jährige Theaterregisseur und Autor Tobias Ginsburg hat sich »undercover« in die international vielfach vernetzte Welt der Neuen Rechten begeben und berichtet in seinem Buch über seine Erfahrungen mit Männlichkeitswahn und Frauenhass. Im Vorwort notiert der Investigativjournalist Günter Wallraff zur Männlichkeitsideologie der rechten Szene: Die starre Geschlechterzuweisung »ist der wichtigste gemeinsame Nenner von Menschen, vorwiegend von Männern, deren Ideal eine Gesellschaft der Hierarchisierungen, der Ober- und Unterordnungen und der Ausgrenzungen ist«.
Milieu rechter Männerbünde
Ginsburgs Recherche führte ihn sowohl in das subkulturelle Milieu der rechten Männerbünde und Antifeministen als auch in die Welt des rechtsnationalen politischen Establishments in Deutschland, in den USA und in Polen. In dem – wie Wallraff schreibt – »Höllengang in ein Finsterreich des Männlichkeitswahns« klärt Ginsburg auf über Maskulinismus, Rassismus, Sexismus und Gewaltbereitschaft in einer Gemengelage aus AfD, Burschenschaften, Neuer Rechter und alten Nazis. So als wäre Männlichkeit gleichsam ein natürlicher Titel, der zur Überlegenheit, zur Kontrolle und zu Privilegien berechtigt, reagiert diese subkulturelle Szene angesichts des gesellschaftlichen Wandels und der Frauenemanzipation mit Kränkung, Hass und Gewalt. Der Aufstand dieser Männer mit ihren vorgestrigen Geschlechterbildern richtet sich gegen eine offene Gesellschaft, gegen Frauen und gegen die Demokratie.
In den modernen Zeiten etikettieren sich diese Neurechten Männer nicht mehr nur mit Springerstiefeln, Hitler-Bärtchen und Fascho-Seitenscheiteln. Neonazis treten heute auch gut geschult auf, geben sich ein »cooles« Outfit, zielen z. B. mit Rechtsrock-Rap fürs »Vaterland« auf die Anwerbung rebellischer Jugendlicher für ihre Ideologie. Ginsburg trifft einen dieser modernen Rap-Agitatoren, der zu Protokoll gibt: »Musik ist halt der geilste politische Botschaftsträger (…) Jede Bewegung braucht ihre Lieder, und womit sonst kannste die Jugend schon besser erreichen?« In einem Instruktionsvideo erklärt er seine »Germanisierungsanforderung« für die Jugend: »Heute noch ordentlich feiern, aber ab morgen wieder ordentlich fit werden, ne? (…) Wir waren gefürchtet in der ganzen Welt, ja? (…) Das ist ja genau das Kriegerische, was man im Mann wiedererwecken muss. Und was sind wir jetzt? Soja-Latte-trinkende Hipster in irgendwelchen Sushibars.«
Das Buch folgt auch der zweiten Lesart der Neurechten: Am Beispiel der rechtskonservativen christlich-fundamentalistischen, international vernetzten Organisation »Ordo Iuris« in Polen charakterisiert Ginsburg den Zusammenhang zwischen dem Alltag der rechtsradikalen subkulturellen Milieus auf der einen Seite und ihren »Strippenziehern« in Thinktanks, Ministerien, Gerichten und Kommunalverwaltungen auf der anderen Seite. Seit der Gründung von Ordo Iuris 2013 sind sie die treibende Kraft hinter der Offensive gegen queere Bevölkerungsgruppen, haben am Gesetzentwurf gegen Abtreibung mitgeschrieben, haben die »LGBT-freie Zone« entwickelt und drängen die polnische Regierung gerade dazu, aus der UN-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt auszusteigen.
Als neurechter AfD-Anhänger getarnt hatte -Ginsburg einen Gesprächstermin bei dem stellvertretenden Vizepräsidenten von Ordo Iuris, Dr. Tymoteusz Zych, der auch ein Vertreter Polens im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) der Europäischen Union ist. Dieser warnt vor einer linken Weltverschwörung: »Erst Frauenquote, dann Transsexuellen-Gesetze. Die Istanbuler Konvention, Genderideologie, die In-Vitro-Gesetzgebung …« Sein Assistent ergänzt: »Und die Migration«. -Ginsburg kommentiert im Buch: »Wieder muss Zych lachen, hätte in seinem Furor gegen Feminismus und ›Genderismus‹ doch beinahe den Ausländerhass vergessen, den großen Klassiker.«
Weitverzweigtes Netzwerk
Homophobie, Frauenverachtung und Rassismus werden via Ordo Iuris zur Staatsräson. Dazu das übergreifende Motto von Zych: »Wir müssen metapolitisch agieren (…) Die Kirchen haben versagt als Wächter von Moral und Gesellschaft. Nun müssen wir den leeren Raum, den die Kirche hinterlässt, einnehmen. Wir dürfen das nicht den Linken überlassen! (…) Wir brauchen ein internationales Netzwerk.« Die kulturelle Hegemonie und das weitverzweigte Netzwerk sind die Bedingungen für das, was dieser antifeministischen Männerbewegung in einigen Ländern bereits gelungen ist: sich an die Spitze der Regierungen zu setzen. Ja, mit dem Versprechen des männlichen Machterhalts lassen sich Wahlen gewinnen.
Ginsburg zeigt ausgesprochen authentisch die politische Instrumentalisierung des Potenzials gekränkter Männlichkeit mit Mitteln der Verherrlichung alles Maskulinen. Dass dieser Gang durch das »Finsterreich des Männlichkeitswahns« für ihn angesichts der vielen unerträglichen Situationen nicht schadlos war, drückt er im Buch verschiedentlich aus.