Den Plural verwenden

geschrieben von Ulrich Schneider

8. März 2022

75 Jahre VVN – ein Rückblick auf die Anfangsjahre

Wenn man die Entstehung der Vereinigungen der Verfolgten des Naziregimes betrachtet, muss man den Plural verwenden, da es unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verschiedene Vorläufer der späteren VVN in allen Teilen des befreiten Deutschlands gab, die von den Überlebenden der faschistischen Haftstätten sowie den Frauen und Männern aus dem antifaschistischen Widerstand und dem Exil gegründet wurden. Zum Beispiel gab es in Bremen eine »Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus«, in Hamburg ein »Komitee der politischen Gefangenen«, in Stuttgart eine »Vereinigung der politischen Gefangenen und Verfolgten des Nazi-Systems« sowie in zahlreichen Orten Hilfsgemeinschaften der »Opfer des Faschismus«. Auch wenn sie regional unterschiedlich aufgestellt waren, verstanden sie sich von Anfang an als Teil einer parteiübergreifenden und gesamtdeutschen antifaschistischen Gemeinschaft, deren politische Botschaft bereits im Schwur der Häftlinge von Buchenwald so markant auf den Punkt gebracht worden ist: »Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.«

Wer schuf die VVN?

In der amerikanischen Besatzungszone in Frankfurt am Main wirkte Lore Wolf (1900–1996), die als Antifaschistin viele Jahre im Zuchthaus Ziegenhain eingekerkert war. Nach der Befreiung wurde sie die Verantwortliche für die Betreuungsstellen für politisch, religiös und rassisch Verfolgte in Hessen. Sie nahm an der Gründung der hessischen VVN im Sommer 1946 in Gießen teil. In Frankfurt war auch Emil Carlebach (1914–2001) aktiv, jüdischer Kommunist, der zuerst im KZ Dachau, dann in Buchenwald interniert war. Dort war er Blockältester im sogenannten Judenblock. Nach der Selbstbefreiung kehrte er nach Hessen zurück, wurde von den US-Amerikanern zeitweilig als Lizenzträger der Frankfurter Rundschau eingesetzt und wirkte als Vertreter der KPD an der Ausarbeitung der hessischen Landesverfassung von 1946 mit.

In der britischen Besatzungszone in Hamburg arbeitete u. a. Hans Schwarz (1904–1970). Als österreichischer Sozialdemokrat war er bereits 1933 verhaftet und im KZ Dachau interniert worden, wurde später ins KZ Neuengamme verlegt. Nach der Befreiung blieb er in Hamburg und wurde Sekretär der VVN in der britischen Zone. In einem anderen Teil der britischen Zone wirkte der katholische Kaplan Joseph C. Rossaint (1902–1991), der 1936 im Berliner »Katholikenprozess« verurteilt worden war. Seine Haft verbüßte er im berüchtigten Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen, wo er 1945 von den alliierten Truppen befreit wurde. Er kehrte zurück in das Rheinland, quittierte zwar den Dienst in der katholischen Kirche, blieb aber Priester und wurde Vorsitzender des Bundes Christlicher Sozialisten. Als am 26. Oktober 1946 der erste VVN-Landesverband in Nordrhein-Westfalen ge­gründet wurde, war Joseph C. Rossaint dabei.

In der französischen Besatzungszone in Ludwigshafen arbeitete Edith Leffmann (1894–1984), die als Kommunistin schon 1933 nach Belgien und Frankreich emigriert war. Sie baute die VVN in Rheinland-Pfalz auf und wurde deren erste Vorsitzende. Sie machte sich aber besonders als Kinderärztin einen Namen als »Engel vom Hemshof«. Sie hatte einen ähnlichen Lebensweg wie Alphonse Kahn (1908–1985), Jurist jüdischer Herkunft und kommunistischer Widerstandskämpfer. Ihm war 1933 die Emigration nach Frankreich gelungen, wo er sich nach dem deutschen Überfall 1940 der Résistance anschloss. Zurückgekehrt in die französische Zone wurde er Verwaltungsrat in Ludwigshafen, später Leiter der Landesbetreuungsstelle für die Opfer des Faschismus. Als Vertreter der KPD wirkte er in der Kommission für Verfassungsfragen im provisorischen Landesparlament mit.

Für die Sowjetische Besatzungszone muss Walter Bartel (1904–1992) genannt werden. Nachdem er nach einer ersten Zuchthaushaft 1935 in die ČSR emigrieren konnte, wurde er dort 1939 verhaftet und ins KZ Buchenwald verschleppt, wo er im Internationalen Lagerkomitee den illegalen Widerstand der Häftlinge organisierte. Nach der Befreiung kehrte er nach Berlin zurück und gehörte zu den Gründern der VVN in Berlin, später der gesamten Sowjetischen Besatzungszone.

In Berlin wirkte auch die jüdische Sozialdemokratin Jeanette Wolff (1888–1976), aufgewachsen im Ruhrgebiet, wegen ihrer Arbeit für die SPD 1933 zum ersten Mal verhaftet. Wolff wurde 1942 nach Riga, später ins KZ Stutthof deportiert und 1945 durch die Rote Armee befreit. In den ersten Tagen des Jahres 1946 kehrte sie nach Berlin zurück, wo sie sich in der SPD und beim Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde engagierte. Auch sie gehörte zur Gründergeneration der VVN in Berlin und war Mitglied im ersten Landesvorstand.

Ziel: Überzonale Organisation

Durch die Aufteilung in Besatzungszonen gab es auch für Nazigegner*innen Probleme, z. B. eingeschränkte Reisemöglichkeiten, sowie Auflagen der jeweiligen Besatzungsmächte bei der Genehmigung zur Schaffung einer überzonalen Organisation. Dennoch trafen sich am 10. August 1946 in Hanau Vertreter aus Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Stuttgart und Frankfurt, um die Strukturen einer gemeinsamen Organisation zu beraten. Man verstand sich zwar als antifaschistische Kampfgemeinschaft, mit Rücksicht auf die Westalliierten wurde jedoch als Name – wie sich Emil Carlebach erinnerte – »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« gewählt.

Es dauerte aber noch bis zum März 1947, bis sich die VVN auf der interzonalen Konferenz in Frankfurt am Main als gesamtdeutsche Vereinigung gründen konnte (siehe Marginalie links). Es ging den Überlebenden der Verfolgung und des politischen Widerstandes um eine gesellschaftliche Neuausrichtung des Landes im Sinne antifaschistischer Orientierung und um die Erinnerung, die Würdigung des antifaschistischen Widerstandes in Deutschland als Teil der weltweiten Anti-Hitler-Koalition. Für diese Forderungen traten sie in allen vier Besatzungszonen ein. Dabei mussten sie erleben, dass die sich zwischen den Alliierten im Rahmen des Ost-West-Konfliktes entwickelnde Spaltung auch zur Behinderung der Zusammenarbeit der Verfolgtenverbände der jeweiligen Besatzungszonen (und zwar nicht nur zwischen der SBZ und den Westzonen, sondern auch innerhalb der Westzonen) führte.

Zwei VVN-Sekretariate

Die gesamtdeutsche Struktur wurde von der VVN als konstitutiv für das Selbstverständnis der politischen Arbeit angesehen. Aus Gründen der Praktikabilität schuf man jedoch im Jahr 1948 zwei Sekretariate des Rates der VVN, eines in Berlin (mit Karl Raddatz) und eines in Hamburg (mit Hans Schwarz). In Berlin und Düsseldorf wurde die Zeitung der VVN herausgegeben, und es bestanden Zonensekretariate für die amerikanische, britische, französische und sowjetische Zone. Der gesamtdeutsche »Rat der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, das zentrale Leitungsgremium, hatte seinen Sitz in Frankfurt am Main. Für heutige Ohren etwas pathetisch wurde noch im Mai 1949, wenige Tage vor der Gründung der BRD als Weststaat, formuliert: »Wenn die VVN eine gesamtdeutsche Organisation ist, so ist sie es im Sinne der politischen Erziehungsarbeit und im Interesse des gesamtdeutschen Volkes.«

In welcher politischen Breite die VVN die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand verstand, belegen die ersten von der VVN organisierten Ausstellungen: 1947 in Stuttgart »Die dagegen waren«, 1948 in Berlin »Das andere Deutschland« oder die Dokumentation »Die Stimme des anderen Deutschlands« (Hamburg 1948).

Karl Schirdewan, nach 1945 von Bayern nach Berlin übergesiedelt und Mitglied im Leitungsgremium der VVN, formulierte damals: »Die deutsche antifaschistische Bewegung in der Illegalität ist keine siegreiche Bewegung gewesen. Sie hat nicht vermocht, große Teile des deutschen Volkes für den Kampf zu gewinnen. (…) Das, was in Deutschland als Widerstandsbewegung bezeichnet wird, ist keine geschlossene Kraft gewesen, besaß keine einheitliche Führung und einheitliche Ausrichtung. Es bestand aus einer Vielzahl von Richtungen und Gruppen, die aber alle etwas gemeinsam hatten, den Sturz des Hitlerfaschismus.«

Im Fokus staatlicher Reaktion

Während noch Ende der 40er-Jahre die Erinnerung an den Widerstand in seiner politischen Breite in allen Besatzungszonen weitgehend akzeptiert war, veränderte sich die Haltung gegenüber der Erinnerung an den kommunistischen und linkssozialistischen Widerstand in den Westzonen und der BRD durch den wachsenden Antikommunismus. Schon im Oktober 1947 kritisierte Edith Leffmann namens der VVN Rheinland-Pfalz eine Legendenbildung, die den 20. Juli 1944 zur eigentlichen deutschen Widerstandsbewegung aus den Reihen der Offiziere und der bürgerlichen Schichten hochstilisierte. Der Arbeiterwiderstand sollte keine Rolle mehr spielen. Diese Tendenz verstärkte sich durch die Gedenkpolitik in der Bundesrepublik, wo bei offiziellen Gedenkfeiern die Erinnerung an den kommunistischen Widerstand und den Widerstand der Arbeiterbewegung insgesamt weitgehend verdrängt wurde. Es war ein Signal für den ideologischen Zustand der bundesdeutschen Gesellschaft, dass selbst Teile der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie sich dieser Verengung der Erinnerungsperspektive anschlossen.

Nun waren es vor allem die VVN und ihre Mitglieder, die sich für die Erinnerung an den Widerstand aus den Reihen der Arbeiterbewegung und damit auch den kommunistischen Widerstand einsetzten. Da sich die VVN als Organisation in der BRD im Fokus der ideologischen Auseinandersetzungen der damaligen Jahre befand, wurde dieser Einsatz öffentlich als »kommunistische Propaganda« denunziert. Schon im Jahr 1948 hatte der SPD-Vorstand einen »Unvereinbarkeitsbeschluss« gegenüber einer Mitgliedschaft in der VVN gefasst. Damit standen SPD-Mitglieder,  die führende Funktionen innerhalb der VVN bekleideten, vor der Alternative, entweder die VVN zu verlassen oder aus der SPD ausgeschlossen zu werden. Mit der vom Bundesinnenministerium finanzierten Abspaltung des »Bundes der Verfolgten des Naziregimes« (BVN) Anfang 1950 verließen weitere Persönlichkeiten der antifaschistischen Bewegung, beispielsweise Eugen Kogon, die VVN. Sie kritisierten den wachsenden Einfluss der Kommunisten in dieser überparteilichen Organisation. Sie kritisierten jedoch nicht, in welchem Maße die staatliche Politik selbst zu dieser politischen Verengung beigetragen hatte. So wurde in Bayern der Staatsminister Philipp Auerbach wegen seiner Verbindung zur VVN massiv unter Druck gesetzt. Obwohl er 1949 offiziell aus der VVN austrat, ließen die Verleumdungen gegen ihn nicht nach, so dass er 1952 Suizid beging.

Adenauers »Blitzgesetze«

Der Kalte Krieg und der antikommunistische Furor bestimmten in den 1950er-Jahren den Handlungsraum der VVN und ihrer Aktivist*innen. 1951 verkündete die Adenauer-Regierung »Blitzgesetze«, mit denen Berufsverbote gegenüber Staatsbediensteten, die u. a. Mitglied der VVN waren, durchgesetzt werden konnten. Zahlreiche Beschäftigte des öffentlichen Dienstes verließen daraufhin die Organisation oder verloren ihre Arbeit. Die Tatsache, dass Kommunist*innen in der VVN – insbesondere mit Blick auf die bedeutende Rolle der Kommunist*innen im antifaschistischen Widerstandskampf – trotz des massiven Antikommunismus in der BRD einen anerkannten Platz behielten, führte zur öffentlichen Denunziation der VVN als »kommunistische Tarnorganisation«. Ein zentraler Vorwurf seitens der Adenauer-Administration war insbesondere ihr Eintreten – in der Konsequenz der Losung »Nie wieder Krieg« – gegen jegliche Versuche der Remilitarisierung in Deutschland. Auch verzieh man es ihr nicht, dass sie sich aktiv gegen die Renazifizierung (131er Gesetz) von Verwaltung, Justiz und Sicherheitsapparat einsetzte.

DDR-VVN nicht mehr nötig?

In der SBZ und später der DDR sah sich die VVN durchaus in Übereinstimmung mit der staatlichen Politik, die weitgehend geprägt war durch die SED und ihre ideologische Ausrichtung. Als Teil der Nationalen Front der antifaschistischen Parteien und Massenorganisationen stellte die VVN bis Anfang der 50er-Jahre sogar Abgeordnete in der Volkskammer und den bezirklichen Gremien. Man wollte damit sichtbar machen, dass die Überlebenden der Lager und Verfolgten einen praktischen Beitrag zum antifaschistischen Neuanfang leisten.

Das Verhältnis zwischen der VVN und der SED war jedoch nicht konfliktfrei. So wurde Repräsentanten der VVN seitens der SED eine »bürgerliche« Haltung vorgeworfen, weil sie an der Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand in seiner ganzen Breite und am Gedenken an die verschiedenen Opfergruppen festhielten. Ein Konflikt, der ursächlich in der Zuspitzung des Kalten Krieges lag, ergab sich auch bei der Bewertung der Westemigration und der Zusammenarbeit mit amerikanischen Stellen, insbesondere mit Noel Field. Im Zusammenhang mit dem Slánský-Prozess, einem stalinistischen Schauprozess in Prag 1952, wurde auch Vertretern der VVN vorgeworfen, damals mit »imperialistischen Kräften« zusammengearbeitet zu haben. Sie hätten es an »revolutionärer Wachsamkeit« fehlen lassen. Die politischen Folgen der Ausgrenzungen in der BRD und der DDR waren unterschiedlich, aber für die Organisation in Ost und West durchaus einschneidend.

In der DDR wurde die Organisation 1953 aufgelöst. Als Begründung wurde von der SED behauptet, die VVN habe ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllt, jetzt ginge es um den Aufbau des Sozialismus selbst. Die verantwortlichen Genossen innerhalb der VVN hatten den Parteiauftrag bekommen, eine Selbstauflösung der VVN zu vollziehen. Der wurde im Februar 1953 auch umgesetzt. Was interessanterweise nicht aufgelöst wurde, waren die Lagerkomitees, die eigentlich als Teil der VVN bestanden. Sie blieben als Netzwerke der Überlebenden und als Ansprechpartner an den Gedenkorten erhalten. Die Auflösung der VVN brachte für die DDR jedoch ein Problem, das aus außenpolitischem Interesse gelöst werden musste. Die VVN war Mitglied der 1951 gegründeten »Fédération Internationale des Résistants« (Internationale Föderation der Widerstandskämpfer, FIR) mit Mitgliedsverbänden in allen west- und osteuropäischen Staaten. Um diese internationalen Kontakte mit den Überlebenden der KZ-Lager und des antifaschistischen Kampfes zu bewahren, wurde schon 1953 das Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR gegründet, was jedoch nicht als gesellschaftliche Massenorganisation angelegt war. Zuerst wurde eine zentrale Leitung geschaffen, später entstanden auch in den Bezirken Strukturen, und die Lagerkomitees wurden als Lagerarbeitsgemeinschaften (LAG) in das Komitee integriert.

Juristische Verfolgung in der BRD

Im Westen war es nicht eine Staatspartei, die die Organisation behinderte, da waren es die Staatsorgane selbst, die die Existenz massiv bedrohten. Während Adenauer öffentlich die Wiedervereinigung als politisches Ziel verkündete, wurde das Büro des gesamtdeutschen Rates der VVN in Frankfurt am Main im August 1951 auf Anweisung des Bundesinnenministeriums durch die hessische Polizei geschlossen. Der »Rat der VVN« wurde »wegen seiner Tätigkeit für die ostzonale ›Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss eines Friedensvertrages im Jahr 1951‹« (so die offizielle Begründung) verboten. Damit war das gesamtdeutsche Dach offiziell zerschlagen.

Im Februar 1953 wurde auch die Anfang 1952 geschaffene Zentrale Leitung der VVN Westdeutschlands in Frankfurt am Main verboten. »Jede Betätigung dieser Vereinigung (ist) mit den gebotenen polizeilichen Mitteln zu unterbinden.« Diesmal beklagte sich der hessische Innenminister, dass ihm wegen dieser Entscheidung »aus dem In- und Ausland laufend Protestschreiben zugehen«. Es war diese Solidarität, die verhinderte, dass die VVN in der BRD zerschlagen wurde – trotz aller Repressalien, die bis hin zur ökonomischen Existenzvernichtung gingen. Als angesichts der Verfolgung die DDR über das Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer zur Existenzsicherung der VVN beitrug, indem sie die VVN in vielfältiger Form unterstützte, denunzierten die Verfolgungsorgane der BRD, die vorher die missliche Lage der VVN mit hervorgerufen hatten, nun die Organisation als »DDR gesteuert«. Insbesondere im Kontext der Wiederaufrüstung und des laufenden KPD-Verbotsverfahrens wurden seitens der Länderinnenminister Verfolgungsmaßnahmen gegen die VVN eingeleitet – wenn auch mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Adenauer erbost

1954 wurde ein Verbotsverfahren gegen die VVN Niedersachsen durch einen Gerichtsbeschluss gestoppt. In Hamburg und Rheinland-Pfalz wurden die VVN-Landesvereinigungen jedoch verboten (siehe Marginalie links).

Höhepunkt dieser juristischen Verfolgung war ein von Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU) angestrengtes Verbotsverfahren wegen »Verfassungswidrigkeit der VVN« vor dem Bundesverwaltungsgericht. Was die Adenauer-Regierung in diesen Jahren besonders erbost hatte, waren die erfolgreichen Kampagnen der VVN gegen die Naziminister im Adenauer-Kabinett, den Staatsminister im Kanzleramt Hans Globke, der als Kommentator der Nürnberger Rassengesetze unrühmlich bekannt war, und den »Vertriebenen«minister Theodor Oberländer, der als Kommandeur des Bataillons Nachtigall für Massaker an der jüdischen Bevölkerung in Lemberg/Lwiw 1941 Mitverantwortung trug.

»Sie waren ein großer Nazi!«

Das Verbotsverfahren gegen die VVN wurde Ende November 1962 tatsächlich eröffnet, jedoch Anfang Dezember vertagt und nie wieder fortgesetzt. Was war geschehen? Wohl wissend, dass dieses Verfahren internationale Aufmerksamkeit finden würde, hatte man einen Staatsanwalt mit der Anklage beauftragt, der Kontakt zu Männern des 20. Juli 1944 gehabt hatte. Nur hatte niemand über die Karriere des Senatspräsidenten Dr. Fritz Werner, Mitglied der NSDAP und SA schon vor 1933, nachgedacht. Am zweiten Prozesstag platzte der niedersächsische VVN-Landesvorsitzende August Baumgarte in die Sitzung des Gerichts hinein mit einem Stapel Fotokopien und rief: »Herr Präsident, Sie waren ein großer Nazi! Hier sind die Dokumente!« War schon die Eröffnung des Verfahrens gegen die VVN Anlass für Solidaritätsbekundungen aus dem In- und Ausland, organisiert von der FIR und ihren Mitgliedsverbänden, so wurden diese Enthüllungen zu dem Skandal, der nicht nur Werner zum Rücktritt zwang, sondern das Verfahren insgesamt scheitern ließ. Es wurde nicht wieder aufgenommen.

Bedeutend für die VVN und ein sichtbarer Ausdruck für ein sich wandelndes Verständnis innerhalb der Gesellschaft gegenüber der Organisation war die Solidaritätsbewegung, die weit über die traditionellen Grenzen der VVN hinausgingen. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens positionierten sich zugunsten der VVN, wie der damalige Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau, Martin Niemöller, ehemals Hitlers »persönlicher Gefangener« im KZ Dachau, damals auch Präsident des Ökumenischen Rates der Kirchen (Weltkirchenrat), der im März 1962 die Festansprache zum 15-jährigen Jubiläum der VVN unter der Losung »Betätigungsfreiheit für die VVN« hielt. Es bedurfte aber in den 1960er-Jahren der außerparlamentarischen Opposition gegen die Notstandsgesetze, in der die VVN aktiv war, der 68er-Bewegung an den Schulen und Hochschulen und des antifaschistischen Protestes gegen das Aufkommen der NPD und ihres Einflusses in deutschen Parlamenten, dass die Frauen und Männer aus Verfolgung und Widerstand sowie die VVN als gesellschaftliche Organisation von Nachgeborenen erkennbar wahrgenommen wurden, was schließlich in der Öffnung zum »Bund der Antifaschisten« mündete.

Vor dem Hintergrund des Verschwindens der Zeitzeugen-Generation aus Widerstand und Verfolgung fehlen auch diejenigen Frauen und Männer, die mit eigenem Einsatz vor 75 Jahren die antifaschistische Dachorganisation der Verfolgten des Naziregimes gegründet haben. Selbst ältere Aktivist*innen der VVN-BdA sind zumeist in den 1960er Jahren oder nach der Öffnung zum »Bund der Antifaschisten« auf dem Oberhausener Bundeskongress, durch die auch Nachgeborene Mitglied der Organisation werden konnten, beigetreten. Sie haben diese Generation noch kennengelernt. Da in den letzten Jahren viele neue Mitglieder zur VVN-BdA gestoßen sind, ist es umso interessanter, sich anlässlich des 75jährigen Jubiläums mit den ersten Jahrzehnten der Organisa­tionsgeschichte zu beschäftigen.

Zwei Literaturhinweise zur VVN-Geschichte

  • Ulrich Schneider: Zukunftsentwurf Antifaschismus. 50 Jahre Wirken der VVN für »Eine Neue Welt des Friedens und der Freiheit«. Pahl-Rugenstein-Verlag, Bonn 1997, 242 S. (30,5 cm) Großformat
  • Elke Reuter/Detlef Hansel: Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953. Die Geschichte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR). Edition Ost, Berlin 1997, 400 S.

Hans Mayer, später Literaturwissenschaftler in Leipzig und Tübingen, formulierte 1947 im Hauptreferat auf der interzonalen Konferenz in Frankfurt am Main den politischen Anspruch der VVN: »Die erprobten demokratischen Kräfte Deutschlands finden sich vor allem unter den ehemaligen Verfolgten des Naziregimes, unter jenen Männern und Frauen, die für ihre politische und religiöse Überzeugung, für die Erhaltung des echten deutschen Kulturerbes und der Kultur gekämpft und gelitten haben. Diesen Kräften gebührt daher nicht nur der entscheidende Anteil am politischen, sozialen und kulturellen Neuaufbau eines wahrhaft demokratischen und friedliebenden Deutschlands, sondern auch die feierliche Anerkennung ihres Widerstandes durch einen künftigen deutschen Friedensvertrag.« Hans Mayer war seit Anfang 1947 VVN-Gründungsmitglied und damals auch Landesvorsitzender in Hessen. Er verstarb 2001 in Tübingen.
Als in Hessen Mitte der 1950er-Jahre die CDU die SPD-Landesregierung ebenfalls zu schärferem Vorgehen gegen die VVN drängen wollte, antwortete der damalige SPD-Politiker Albert Wagner: »Ich wende mich dagegen, dass uns KZ-Häftlingen und Verfolgten des Naziregimes verboten werden soll, mit Leuten zusammenzusitzen, die mit uns gelitten haben, auch wenn sie Kommunisten sind.«