Ringen um Entschädigung

geschrieben von Ulrich Sander

13. Mai 2022

Vor 30 Jahren entstand der Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e. V.

Eine zentrale Aufgabe der VVN war seit ihrer Gründung die soziale Betreuung der NS-Opfer. Vor allem ging es um »Wiedergutmachung« und »Entschädigung«, doch den Kern des Problems trafen die beiden Begriffe nicht. »Schäden« waren nicht mehr zu beheben, »wieder gut« wurde gar nichts. Dennoch wurde mit diesen Formulierungen gearbeitet. Die »Wiedergutmachung«, so wurde schon auf der »Interzonalen Tagung« der VVN vom 15. bis 17. März 1947 in Frankfurt am Main erklärt, »ist eine menschliche, politische, moralische und rechtliche Pflicht«. Der Staat muss beweisen, »dass er gewillt und bereit ist, zuerst im eigenen Hause Unrecht, das er mitverschuldet hat, zu tilgen«. Weiter hieß es: »Wiedergutmachung soll nur denen zuteil werden, die nach strengen Richtlinien als Mitglieder des deutschen Widerstandes gegen das Dritte Reich, als Kämpfer gegen den Faschismus, als politische, religiöse und rassische Opfer des nationalsozialistischen Terrors anzusehen sind.«

Der Deutsche Bundestag beschloss erst am 29. Juni 1956 das Gesetz zur Wiedergutmachung und Entschädigung der Opfer des Naziregimes. In der Präambel des Gesetzes wird der Widerstand als »Verdienst am deutschen Volk« gewürdigt. Zugleich wurde die Wiedergutmachung an eine Wohlverhaltensklausel zur »freiheitlich demokratischen Grundordnung« gebunden. Das führte zu gravierenden Benachteiligungen von Kommunistinnen und Kommunisten, wenn ihnen ein Verstoß gegen das KPD-Verbotsurteil vorgeworfen wurde. Entschädigungen wurden ihnen verweigert, z. T. musste erhaltenes Geld zurückgezahlt werden.

Weitere Verdrängungen und Leugnungen bei der Definition der »Opfer des Dritten Reiches« trafen vor allem die sogenannten Fremden, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Roma und Sinti und die »Randgruppen« in der einheimischen Bevölkerung, also Homosexuelle, Еuthanasie-Geschädigte, Zwangssterilisierte, sogenannte Asoziale, Anhänger von Sekten, aber auch diejenigen, die sich – wie es in der Behördensprache im Sinne der Nazis hieß – Gemeinschaftspflichten entzogen hatten, die Deserteure. Die Errichtung eines Härtefonds oder einer Stiftung zur Entschädigung der ausgegrenzten und vergessenen Opfer des Naziregimes wurde von der VVN-BdA und anderen demokratischen Kräften als erforderlich angesehen – dies vor allem auch angesichts der großzügigen Pensionszahlungen an Vertreter des NS-Regimes.

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Es kam zu einer Bewegung zur Entschädigung der »vergessenen Opfer«. Darin wirkten vor allem die VVN-BdA, aber auch die Grünen und kirchliche Gruppen mit. Am 19. März 1986 wurde auf einer Pressekonferenz in Bonn von Vertretern der Initiative zur Gründung einer »Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime« ihre Forderung nach moralischer Wiedergutmachung und materieller Entschädigung gestellt. Die von der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg am 22. November 1987 und vom Senat in Westberlin beschlossenen Regelungen dienten als Modell für bundesweite Lösungen des Problems des Härteausgleichs, galten jedoch noch nicht für die Zwangsarbeiter.

Die nordrhein-westfälische Landesorganisation der VVN-BdA hat es schon früh übernommen, die bundesweite VVN-BdA in der Entschädigungsbewegung zu vertreten. Jahrelang wirkte sie erfolgreich für den Erhalt und die staatliche Förderung der Informations- und Beratungsstelle für NS-Verfolgte mit Sitz in Köln, die im Jahr 1992 in Zusammenarbeit mit Pax Christi und Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste gegründet worden war.

Hilfen für »vergessene Opfer« standen im Vordergrund der Tätigkeit des Bundesverbandes, der bis heute wichtige Betreuungsaufgaben erfüllt. Er widmet sich auch der Unterstützung der Folgegenerationen, also der zweiten und dritten Generation der NS-Opfer bzw. der »Kinder des Widerstandes«, wie sich die mit Hilfe der VVN-BdA entstandene Gruppe nennt. Der Bundesverband erreichte oft materielle Unterstützung der Angehörigen der Nachfolgegenerationen. Auch die nach 1945 geborenen Opferkinder bekamen Hilfe in medizinischer und psychologischer Hinsicht, denn die Kinder der überlebenden Opfer erbten vielfach die Beeinträchtigung ihrer Eltern und Großeltern.

Der größte Erfolg des Bundesverbandes NS-Beratung – und damit der VVN-BdA und des ihr nahestehenden Interessenverbandes ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime – war die Schaffung einer mit fünf Milliarden Euro ausgestatteten Stiftung für die Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Der Betrag erwies sich als viel zu gering, es hätte des Zehnfachen bedurft, um eine einigermaßen ausreichende Lohnnachzahlung zu erreichen. Die damalige linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, die dem Stiftungskuratorium angehörte, gratulierte uns und schrieb nach Abschluss der Gesetzgebung am 30. Mai 2001: »Trotzdem werden am Ende viele Überlebende vermutlich überhaupt kein Geld erhalten. Weil sie keine Belege finden und auch keine Zeugen mehr da sind. (…) Ihnen allen schulden wir es, weiter zu kämpfen. Einen Schlussstrich darf es nicht geben. Weder finanziell, noch moralisch, noch politisch.«

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