Notwendige Diskussion
1. Juli 2022
Analyse zu aktuellen Formen des Faschismus und Vorschläge zur Bekämpfung
Hass, Populismus, Rechtsruck – ein zunehmend großer Komplex der politischen Entwicklung wird unter verschiedensten Begriffen verhandelt, aber nur wenige nennen das Problem beim Namen. Schon allein deshalb ist das neue Buch des britischen Journalisten und Starautors Paul Mason erfreulich. Freilich ist »Faschismus« ein aufmerksamkeitsheischender Titel, da es außerhalb aktivistischer Kreise – und selbst dort ist es alles andere als Konsens – als nicht haltbar gilt, angesichts aktueller Entwicklungen von Faschismus zu sprechen. Mason war selbst Antifa-Aktivist und ist auch darüber hinaus für eine linke Haltung bekannt. Er weiß, wovon er spricht, und es ist ihm ernst. Der Faschismus ist nicht tot, vielmehr ist er »ein wiederkehrendes Symptom des Systemversagens im Kapitalismus«.
Mason will aufklären. Denn obwohl die katastrophalen Folgen des Faschismus, insbesondere des Nationalsozialismus, relativ bekannt sind, ist Wissen darüber, wie der Faschismus an die Macht kam, nur sehr wenig verbreitet. Das Buch versammelt dazu viel historisches Wissen und zeigt große Entwicklungen auch anhand von Anekdoten und Einzelpersonen. Vor allem Fehler der Linken werden ausgiebig dargestellt. Der kapitale Fehler von Komintern und KPD sei gewesen zu glauben, »gegen eine Partei oder eine Bande gewalttätiger Schläger zu kämpfen. In Wahrheit leisteten sie Widerstand gegen einen Prozess der massenhaften psychologischen Bekehrung« (S. 276). Man müsse daher gegen den Mythos des Faschismus kämpfen und das faschistische Gedankengebäude auseinandernehmen.
Unterschiedliche Zugriffe auf den historischen Faschismus und/oder aktuelle extrem rechte Gruppen und Ideologien werden überblicksartig, aber kritisch vorgestellt. Seine eigene »materialistische Faschismustheorie« (S. 314) stützt sich dann unter anderem auf Antonio Gramsci, Wilhelm Reich und Robert Paxton. Das Buch gliedert sich in neun Kapitel, beziehungsweise drei Abschnitte: Ideologie, Geschichte, Widerstand.
Im ersten Kapitel wirft der Verfasser Schlaglichter auf Phänomene »symbolischer Gewalt« des modernen Faschismus, »um das Muster der Aktivitäten und Absichten zu verstehen, das sich aus den Interaktionen von Faschismus, Populismus und Staat ergibt« (S. 36): ein antimuslimisches Pogrom in Indien, rassistische Bürgerwehren bei der Flüchtlingsbekämpfung an der griechisch-türkischen Grenze, das Netzwerk »Nordkreuz« und andere.
Der erste Abschnitt liefert auch so etwas wie das theoretische Fundament, um den Aufstieg des neuen Faschismus zu verstehen. Fünf miteinander verflochtene Krisen führten zu gesellschaftlicher Desintegration und begünstigten die Ausbreitung des Faschismus. Der Neoliberalismus sei am Ende und funktioniere nicht mehr als welterklärende Ideologie, zudem nehme die Zustimmung zur Demokratie ab. Hinzu komme eine »Krise technologischer Kontrolle« (Social-Media-Monopole, Algorithmen, Echokammern). Klimakrise und die Covid-Pandemie machten das Chaos perfekt.
Um den faschistischen Prozess rechtzeitig und effektiv zu bekämpfen, plädiert Mason für breite Bündnisse, staatliche Repression und antifaschistisches Ethos. Historische Vorbilder für diese Bündnisse sind die Volksfrontregierungen in Spanien und Frankreich der 1930er-Jahre. Eine Volksfront zwischen Liberalen, Sozialdemokraten und Linken sei angesichts einer schwachen Linken heute alternativlos und müsste von unten aufgebaut werden. Die Volksfrontidee mag man begrüßen oder nicht, bei #unteilbar oder in lokalen Antifabündnissen ist sie gelebte Realität.
Unter staatlicher Repression gegen Faschisten stellt sich Mason eine wehrhafte Demokratie vor. Er zeigt hier nicht nur eine gewisse Staatsgläubigkeit, sondern regelrechte Begeisterung für den deutschen Verfassungsschutz. Schließlich fordert er im Namen des Kampfes gegen den Faschismus eine Klarnamenpflicht im Internet.
Wie all das zum eingangs identifizierten Zusammenspiel von Rechtspopulismus, Faschismus und Staat passt, ist unklar. Hier fallen die vorgeschlagenen politischen Konsequenzen leider hinter die Analyse zurück und widersprechen dieser zum Teil.
Am wichtigsten ist Mason am Ende ein antifaschistisches Ethos – eine breite, antifaschistische Kultur, die dem »Faschismus Konkurrenz machen« (S. 388) könnte. Am Beispiel des Films »Casa-blanca« und den Dreharbeiten dazu skizziert er, wie der Antifaschismus als »globale Moralphilosophie« (S. 402) den Platz des Klassenbewusstseins eingenommen habe. Denn der Faschismus müsse letztendlich moralisch besiegt und mit Argumenten widerlegt werden. Aber »(w)ann immer er den Mythos des bevorstehenden ethnischen Bürgerkriegs verbreitet, muss er zum Schweigen gebracht werden – weil die ständige Wiederholung der Fantasievorstellung die Täter darauf vorbereitet, sie zu verwirklichen« (S. 404).
Masons historische und politische Analysen sind größtenteils nicht nur lesenswert, sondern auch sehr gut lesbar. Da das Buch an ein linkes bis linksliberales Publikum adressiert ist, eignet es sich gut als Grundlage dringend notwendige Diskussionen.