Offen, mit klaren Worten
1. Juli 2022
Gianni Jovanovics neues Buch gegen (Gadjé-)Rassismus und Queerfeindlichkeit
Sei es in dem Talkshow-Format »Die beste Instanz«, das von der Entertainerin Enissa Amani als Reaktion auf eine komplett weiß besetzte Diskussionsrunde zum Thema Rassismus im WDR organisiert wurde, oder in der Dokumentation »Der lange Weg der Sinti und Roma«: Gianni Jovanovic ist eine laute Stimme gegen (Gadjé-)Rassismus, gegen Queerfeindlichkeit und für eine solidarische Gesellschaft. Nun hat er gemeinsam mit seiner besten Freundin, der Journalistin Oyindamola Alashe, ein Buch über sein bisheriges Leben geschrieben. Ein Buch, das bewegt und für dessen intime Einblicke und wichtigen Analysen man als Leser_in nur dankbar sein kann.
1978 in Rüsselsheim geboren
Die Rahmendaten von Giannis Biografie sind schnell genannt: Er wurde 1978 in Rüsselsheim in eine große Roma-Familie hineingeboren und mit 14 Jahren verheiratet. Er war bereits zweifacher Vater, als er sich mit Anfang 20 als schwul outete. Mittlerweile ist er 43 Jahre alt, zweifacher Großvater, seit 18 Jahren mit seinem Mann liiert. Als Roma-Kind kam er in Nürnberg auf eine Sonderschule, machte mit 16 später eine Ausbildung zum Zahnarzthelfer und begann mit 40 Jahren ein Studium der Dentalhygiene.
Eng mit Giannis Erfahrungen verwoben, sind die rassistischen Kontinuitäten jahrhundertelanger Gewalt gegen Sint_ezze und Rom_nja. Gianni selbst überlebte als Kind einen Sprengstoffanschlag auf das Haus in Darmstadt, das er mit seiner Familie bewohnt. Immer wieder erlebt die Familie Abwertung, Erniedrigung, Gewalt und staatliche Willkür durch Behörden. Als schwuler Rom ist er mit Homofeindlichkeit konfrontiert, die zu Gewalt-erfahrung und viel Verletzung innerhalb seiner Familie führen.
Offen, mit klaren Worten, jedoch trotzdem verzeihend, schreibt Gianni über die Auseinandersetzungen mit seiner Familie und darüber, wie sie immer wieder zueinander finden. Ernste Passagen, die erschütternde Erfahrungen von Armut, Abwertung und Gewalt wiedergeben, wechseln sich ab mit Anekdoten, die die Lesenden auch immer wieder zum Schmunzeln bringen. Wie ein roter Faden zieht sich die Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen durch das Buch. Die Kraft und Stärke der Frauen in seinem Leben und die Wichtigkeit, deren Leistungen zu würdigen, betont Gianni ebenso wie die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Männlichkeit und dominanten Männlichkeitsbildern, mit Depressionen sowie Heilungsprozessen.
Für eine bessere Welt kämpfen und sie verstehen
Politischer Aktivismus ergibt sich für ihn aus der Liebe zu seinen Kindern und Enkelkindern. Aus der Notwendigkeit heraus, für eine bessere Welt für sie zu kämpfen und zu verstehen, welche Geschichte sie als Rom_nja haben. Er beschreibt seine Lernprozesse, neue Freund_innenschaften und empowernde Momente seiner Politisierung, aber auch den Wunsch, durch Rassismus bedingte Traumata nicht an seinen Nachwuchs weiterzugeben, sondern diese aufzuarbeiten und gesellschaftliche Veränderungen zu begleiten – gemeinsam mit anderen.
Der sprachliche Wechsel, über »kleine Mehrheiten« zu sprechen statt über Sinti_zze und Rom_nja als die größte Minderheit in Euro-pa, zeigt, wie selbstbewusst und zukunftszugewandt Giannis Beweggründe sind. Es geht um die weiße Dominanzgesellschaft, die Veränderung der Machtverhältnisse und das Schaffen eigener Wirklichkeiten: »Für Sinti*zze und Rom*nja, People of Color, Schwarze Menschen, Menschen mit Behinderungen oder andere diskriminierte Gruppen sind sie enorm wichtig, weil sie unsere Communities schützen und stärken – sie machen uns groß«. Und zu dieser Stärkung trägt auch Gianni bei mit der Initiative Queer Roma.
Unterdrückungsmechanismen und eigenes Ich
Die Verknüpfung der eigenen Biografie mit gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen, der sprachliche Humor, das Aufzeigen politischer Perspektiven – nur drei von vielen Gründen, dieses Buch zu lesen, darüber mit anderen Menschen zu sprechen und es weiter zu verschenken.