Stigmatisiert und vergessen

geschrieben von Ulrich Schneider

1. Juli 2022

Ein Videoporträt über die Antifaschistin und Kommunistin Anette Langendorf

Da die Zeit der Zeitzeug*innen zu Ende geht, müssen neue mediale Zugänge erprobt werden, wenn deren historische Erfahrungen und Biografien für die nachgeborenen Generationen gesichert werden sollen. In den 80er- und 90er-Jahren wurden manche von ihnen im Rahmen von Geschichtsprojekten zum ersten Mal interviewt, von einigen sogar Videoaufnahmen gemacht. Was macht man aber, wenn es zu wichtigen Persönlichkeiten des antifaschistischen Kampfes in einer Region keine Filmaufnahmen, noch nicht einmal originale Audioaufnahmen gibt? Vor dieser Herausforderung standen die Mannheimer Klaus Dollmann, Chris Hölzing, Annette Lennartz und Fritz Reidenbach, als sie sich entschieden, ein Videoporträt von Anette Langendorf (1894–1969) zu gestalten, einer profilierten Mannheimer Antifaschistin und Kommunistin, die sich nach der Befreiung engagiert für den antifaschistisch-demokratischen Neubeginn eingesetzt hat.

Wer war Anette Langendorf?

Geboren wurde sie am 3. Januar 1894 als Anette Glanzmann in Leipzig. Dort besuchte sie die Volks- und Handelsschule. Mit 16 Jahren zog sie nach Mülhausen, da ihr Vater dort Gewerkschaftssekretär wurde. Anette wurde Mitglied der SPD. Später zog sie nach Lörrach, wo sie ihren späteren Mann Rudolf Langendorf kennenlernte, der im damaligen Arbeiter- und Soldatenrat aktiv war. Anette und Rudolf Langendorf gehörten zu den Mitbegründern der KPD in Lörrach. Schon früh bekam Anette zwei Kinder, ihre Söhne Hans und Kurt. Für das Familienglück blieb jedoch wenig Zeit. 1921 zog das Paar nach Friedrichsfeld bei Mannheim. Nach politischen Auseinandersetzungen wurde Rudolf 1923 zu drei Jahren Haft verurteilt, nun musste Anette als Redakteurin der Mannheimer Arbeiter-Zeitung die Familie allein über Wasser halten.

Dokumentarfilm »Die Aufrechte – Anette Langendorf, eine Mannheimer Antifaschistin« von Fritz Reidenbach, Klaus Dollmann, Annette Lennartz und Chris Hölzing, D 2022, 72 Minuten, © VP68 Mannheim, https://vp68.de, Bestellungen auch an die VVN-BdA Mannheim

Dokumentarfilm »Die Aufrechte – Anette Langendorf, eine Mannheimer Antifaschistin« von Fritz Reidenbach, Klaus Dollmann, Annette Lennartz und Chris Hölzing, D 2022, 72 Minuten, © VP68 Mannheim, https://vp68.de, Bestellungen auch an die VVN-BdA Mannheim

Sie engagierte sich für kommunale und soziale Belange. 1929 wurde sie für die KPD in den badischen Landtag gewählt, ab 1930 gehörte sie dem Mannheimer Gemeinderat an. Dort trat sie dem Vormarsch der Nazis konsequent entgegen, wurde aktiver Teil des Mannheimer Widerstands. 1933 wurden sie und ihr Mann als KPD-Funktionäre in »Schutzhaft« genommen. Trotz Überwachung setzten sie nach der Entlassung ihren illegalen Widerstand fort. Erst 1942 wurde Anette zusammen mit ihrem Mann und weiteren Widerständlern der Georg-Lechleiter-Gruppe erneut inhaftiert. Rudolf wurde wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« zum Tode verurteilt und am 15. September 1942 in Stuttgart auf dem Schafott ermordet. Anette wurde nach der Hinrichtung des Ehemannes ins KZ Ravensbrück verschleppt.

Nach der Befreiung arbeitete sie am antifaschistisch-demokratischen Neubeginn mit. Langendorf war Mitbegründerin der VVN Mannheim und wurde 1947 zur stellvertretenden Kreisvorsitzenden gewählt. Gemeinsam mit Jakob Baumann von der SPD kümmerte sie sich dort um die sozialen Belange von 1.800 politisch verfolgten NS-Opfern in Mannheim. Auf politischer Ebene engagierte sie sich in der KPD, deren Landesvorstand sie von 1945 bis 1956 angehörte. Sie war Vertreterin in der verfassunggebenden Versammlung von Baden–Württemberg, wurde Landtagsabgeordnete für die KPD und ab 1947 Mitglied des Mannheimer Gemeinderats, davon einige Jahre Fraktionsvorsitzende der KPD-Fraktion. Nach dem KPD-Verbot 1956 blieb sie als »Parteilose« noch bis 1959 im Gemeinderat.

Engagierte und mutige Frau

Die Stigmatisierung und Ausgrenzung nach dem KPD-Verbot führte dazu, dass die gesellschaftliche Erinnerung an diese engagierte und mutige Frau verdrängt wurde. Zwar erhielt Anette Langendorf nach ihrem Tod am 23. Juni 1969 ein Ehrengrab auf dem Friedhof in Mannheim-Friedrichsfeld. Aber andere Formen der Erinnerung existieren nicht.

Daher initiierte und finanzierte die VVN-BdA Mannheim einen Film, mit dem an diese mutige Kämpferin für das Recht und die Menschlichkeit und an ihr Wirken im Mannheim der Nachkriegszeit erinnert werden sollte. Die Grundlagen für dieses Filmporträt waren bescheiden. Es gab keine Audio- oder Videodokumente, nur Fotos, einige Aufzeichnungen von ihr selbst und zeitgenössische Zeitungsberichte. Auch Unterlagen des Mannheimer Stadtarchivs konnten genutzt werden. Der Archivdirektor Ulrich Nies kennzeichnet Anette Langendorf als eine »herausragende Vertreterin der Mannheimer Arbeiterbewegung«. Eine wichtige Hilfe war die Schwiegertochter, Gudrun Langendorf, ehemals Professorin in der DDR, die als Zeitzeugin über die Familie Auskunft geben konnte. Und so entstanden ein Dokumentarfilm und ein Audiofeature. Am 30. Januar 2022 fand die Uraufführung des Films in Kooperation mit der VVN-BdA Mannheim statt.

Die Resonanz war überragend. Seit Frühjahr 2022 fanden bereits mehrere ausverkaufte Kinovorstellungen statt. Der SWR und andere Medien berichteten wohlwollend über das Erinnerungsprojekt. Nun haben sich die Macher des Films ein weiteres Ziel gesteckt: In Mannheim soll ein Platz nach Anette Langendorf benannt werden. Die Zeichen dafür stehen gut. Drei Fraktionen haben bereits ihre Zustimmung signalisiert.