Erinnerung entsorgen?
4. September 2022
Die Kommandantenvilla des KZ Sachsenburg soll abgerissen werden
»Ohne Täter keine Opfer«, so einfach beschreibt Gisela Heiden von der Lagerarbeitsgemeinschaft Sachsenburg den Grund, warum der ehemalige Kommandantensitz im früheren KZ Sachsenburg nicht abgerissen werden darf. Es ist der Täterort eines frühen KZ, wie es ihn so gut erhalten selten gibt. Bei ihren Rundgängen auf dem »Pfad der Erinnerung«, bei denen Heiden Jugendlichen und Erwachsenen die Geschichte des KZ Sachsenburg näherbringt, zeigt sie die Villa und erzählt, was dort entschieden wurde, wer dort saß und von der Folter und den Misshandlungen der Menschen profitiert hat. »Es ist für nachfolgende Generationen ganz wichtig, auch etwas ›Anfassbares‹ zu haben«, sagt sie. Ihr Großvater war selbst im KZ Sachsenburg inhaftiert, wurde im Herbst 1933 als Kommunist dorthin gebracht. »Es gab einige ehemalige Häftlinge von Sachsenburg, die ich persönlich kennenlernen durfte«, sagt Heiden. Geschichte erfahrbarer zu machen, ist für sie ein wichtiges Argument dafür, die Orte der Verbrechen von damals zu erhalten, gerade für jüngere Generationen, denen dieser direkte Kontakt zu den Zeitzeug*innen fehlt.
Frühes Lager bei Frankenberg
Das frühere Lager nahe der sächsischen Kleinstadt Frankenberg nicht weit von Chemnitz befand sich in einer ehemaligen Spinnerei und diente als Ausbildungslager für die SS. Es bestand von Mai 1933 bis Juli 1937, insgesamt waren zwischen 8.000 und 10.000 Häftlinge dort eingesperrt. Während zu den Häftlingen anfangs vor allem politische Gegner, Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter gehörten, waren ab 1935 auch Juden, sogenannte Berufsverbrecher und andere Verfolgte dort inhaftiert. Für zahlreiche Wachmänner und Lagerkommandanten der SS – zum Beispiel Karl Otto Koch – begann hier ihre Karriere, bevor sie später in Lager wie Buchenwald oder Sachsenhausen versetzt wurden. »Die haben sich dort ihren ersten Schliff geholt, bevor sie dann auf der Karriereleiter nach oben geklettert sind«, sagt Heiden. Nach 1937 bis zum Kriegsende wurde das Gelände wieder als Fabrik genutzt und von Zwangsarbeitern dort Fallschirmseile hergestellt.
Und heute? Gibt es eine große Gedenkstätte, die an die Rolle Sachsenburgs in der NS-Zeit erinnert? Nein, im Gegenteil: Das Gelände ist verwildert, die Gebäude marode. Keine Gedenkstätte weit und breit. Dafür, dass sich das ändert, setzt sich unter anderem die Lagergemeinschaft Sachsenburg seit Jahren ein. Und dieses Ziel scheint nun auch in greifbarer Nähe zu sein, nur so wie es aussieht, ohne die Kommandantenvilla.
Im Juni 2021 wurden die Sieger eines von der Stadt Frankenberg ausgelobten internationalen Ideenwettbewerbs zur Gestaltung der ehemaligen Kommandantenvilla gekürt. Die beiden erstplatzierten Entwürfe sahen den weitgehenden Abriss der Villa vor, wogegen Erinnerungsinitiativen wie die LAG Sachsenburg und die Geschichtswerkstatt Sachsenburg sowie namhafte Historiker*innen in einem offenen Brief deutliche Kritik äußerten. Dass gerade die Entwürfe gewannen, die von der Kommandantenvilla als »eine der wenigen noch erhaltenen Täterorte in einem frühen KZ« nur noch die Grundmauern erhalten wollten, sorgte in dem offenen Brief für Irritationen. Denn »gerade die Auseinandersetzung mit den Tätern, ihren Biografien, Weltbildern und Handlungsoptionen, entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Aspekt zeitgemäßer Gedenkstättenarbeit«.
Erstplatzierten aus Wettbewerb entfernt
Nach der Kritik wurden die Erstplatzierten aus dem Wettbewerb entfernt, die millionenschwere Förderung von Bund und Land ist jetzt an die Realisierung des Entwurfs »Nie wieder« geknüpft, das ein Stahlskelett in Form der Umrisse der Villa vorsieht. Möglicherweise sollen Mauerreste integriert werden. Zumindest die Bedenken, dass die Förderung für die Gedenkstätte aufgrund des Abrisses der Kommandantenvilla gefährdet sei, wurden also erst mal ausgeräumt. Um die Kommandantenvilla ist es trotzdem schade.
Was tun, wenn die Abrissbagger im Herbst wirklich anrollen? »Unser Ziel war es, diese alten Gebäudestrukturen zu erhalten. Aber wenn das so nicht gewollt ist, ziehen wir uns zurück. Dann soll es so geschehen, denn irgendwann ist auch unsere Kraft zu Ende. Wir werden weiterhin Veranstaltungen und Rundgänge durchführen. Und das Allerwichtigste ist, dass die Gedenkstätte kommt«, gibt sich Heiden geschlagen. Eine Art Kapitulation. Am 6. September soll der Immobilienausschuss von Frankenberg, dem die Villa gehört, darüber abstimmen, wann mit dem Abriss begonnen wird. Die Möglichkeit, vor Ort gegen den Abriss zu protestieren, gibt es immer noch. Just saying.