Geschichte eines Dulag
4. September 2022
In Duderstadt sollte an ein Durchgangslager für alliierte Kriegsgefangene erinnert werden
In Duderstadt (Südniedersachsen) soll ein altes Ziegeleigelände zu Wohnraum umgestaltet werden. Ein Investor steht bereit, und die Stadtverwaltung ist dabei, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Aus verschiedenen Gesprächen mit älteren Einwohner*innen der Stadt wurde bekannt, dass in der Endphase des Zweiten Weltkrieges Tausende von Kriegsgefangenen in der Ziegelei Bernhard untergebracht waren. Duderstadt hatte im Zweiten Weltkrieg keine militärische Bedeutung, so dass die große Anzahl von Kriegsgefangenen doch verwundert. Wie kam es dazu?
Die alliierten Truppen landeten am 6. Juni 1944 in der Normandie und befreiten Frankreich von der deutschen Besatzung, die Rote Armee im Januar 1945 Polen. Das Deutsche Reich wollte nicht, dass die Kriegsgefangenen, KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter*innen in die Hände der Befreier fielen. Man wollte nicht, dass es lebende Zeugen für die menschenunwürdige Behandlung gab.
Es wurde deshalb ein riesiges Heer von Kriegsgefangenen, insbesondere aus dem Osten (Polen), vor der anrückenden Roten Armee in das Innere des damaligen Deutschen Reiches getrieben, unter Bewachung von Wehrmachtssoldaten, ohne angemessene Kleidung oder medizinische Betreuung und mit unregelmäßiger Verpflegung. Alleiniges Ziel der Marschkolonnen war es, nicht in die Hände der Roten Armee zu fallen.
Von Februar bis zum 8. April 1945 existierte auf dem Gelände der Ziegelei Bernhard ein Durchgangslager (Dulag) für Kriegsgefangene. Die Kriegsgefangenen sollten noch zur Arbeit eingesetzt werden: Bombenräumungen in der Stadt Göttingen durchführen oder beim Bau der Autobahn arbeiten.
Aus den Kriegsgefangenenlagern Lamsdorf (Łambinowice), Sagan und Görlitz marschierten die Gefangenen durch den Winter, unter anderem in das Durchgangslager für Kriegsgefangene in Duderstadt. Der Marsch erfolgte in großen Kolonnen, zum Teil mussten die Gefangenen im Winter im Freien auf den offenen Feldern übernachten.
Besonders schlecht war die Situation für 8.000 US-amerikanische Kriegsgefangene. Sie sind im Dezember 1944 im Rahmen der Ardennenoffensive der Wehrmacht in Belgien gefangen genommen worden. Sie marschierten quer durch Deutschland in die Lager im Osten und wurden dann bei deren Auflösung wiederum in den Westen getrieben. Einige von ihnen hatten einen Fußmarsch von 800 Kilometern hinter sich, als sie in Duderstadt ankamen.
Es sind zwischen 15.000 und 20.000 Kriegsgefangene in das Duderstädter Lager gekommen. Nach wenigen Tagen wurden die Kriegsgefangenen dann weitergetrieben.
Die Unterbringung und die Versorgung in dem Lager waren katastrophal, hierzu liegen mehrere Schilderungen von Kriegsgefangenen vor. Es starben im Dulag Duderstadt mindestens 80 Kriegsgefangene, die auf dem dortigen Friedhof beerdigt worden sind. Die Leichen der verstorbenen französischen, britischen und amerikanischen Soldaten sind nach der Befreiung in die Heimatländer überführt worden. Die Anzahl der alliierten Kriegsgefangenen, die auf den Märschen getötet wurden, ist nicht bekannt. Wenige Tage vor der Ankunft der US-Armee in Duderstadt wurde das Kriegsgefangenenlager von den Deutschen geräumt.
Die wesentlichen Dokumente über den Marsch aus dem Osten nach Duderstadt und über die Zustände in dem Dulag Duderstadt stammen aus einer Untersuchung der britischen Militärverwaltung aus dem Jahr 1946. Deutsche Nachforschungen hat es nicht gegeben. Das Verfahren wegen Kriegsverbrechen ist eingestellt worden, weil die Namen der Verantwortlichen für die einzelnen Taten nicht zu ermitteln waren. Die alliierten Kriegsgefangenen kannten die Namen der deutschen Wachleute während des Marsches und im Lager nicht.
Zu dem Zeitpunkt waren die militärisch Verantwortlichen für das Lager Oberstleutnant Friederich Fuhrmann und für den Marsch Major Otto Schäfer in britischer Kriegsgefangenschaft. Sie wurden für die Vorgänge in Duderstadt nicht angeklagt.
Jetzt, da über die Umgestaltung des Ziegeleigeländes nachgedacht wird, muss auch eine angemessene Form des Gedenkens an die Opfer des Dulag Duderstadt gefunden werden. Durch die Veröffentlichung der Dokumentation wird ein Beitrag dazu geleistet.
Der Autor ist Sprecher der Kreisvereinigung der VVN-BdA Göttingen.
»… die Hölle, Ungeziefer, Dieberei, Schlägereien – Das Durchgangslager für alliierte Kriegsgefangene in Duderstadt 1945. Dokumentation über die Märsche von Kriegsgefangenen aus Polen und das Lager Duderstadt (Dulag)« erscheint Anfang Oktober im Selbstverlag, 130 Seiten, 15 Euro, erhältlich über hans-georg.schwedhelm@t-online.de
Am Freitag, den 7. Oktober, um 19.00 Uhr wird das Buch in Göttingen im Saal der Roten Hilfe, Lange-Geismar-Str. 3, vorgestellt.