Notwendige Kritik

geschrieben von Claude Lampe

4. September 2022

Peter Bierl sucht nach Unmenschlichkeit im »linken« Spektrum

Linke Bewegungen sind in Geschichte und Gegenwart nicht ausschließlich Lichtgestalten der Humanität, als die sie sich gerne ausgeben. Peter Bierl wendet den Blick auf einige der menschenfeindlichen Irrungen und Wirrungen in Theorie sowie Praxis einiger derer, die sich politisch links verorten. Herausgekommen ist eine fundierte, an Material übervolle und notwendige Kritik an gewissen Grundlagen mehr oder weniger linker Gesellschaftsanalyse. Dennoch bleibt am Ende die Frage, an wen sich diese Kritik richtet – von welcher Linken wird hier eigentlich gesprochen?

Bierl konzentriert sich auf drei Sparten linker Theorie und die darauf aufbauende Praxis – Tierrechtsbewegung, Religionskritik und Eugenik. Während erstere als klassische Betätigungsfelder der Linken gelten, überrascht der Themenbereich Eugenik zunächst, ist darum aber umso erkenntnisreicher.

Sozialchauvinismus bei Peter Singer

Peter Bierl: Unmenschlichkeit als Programm. Verbrecher-Verlag, Berlin 2022, 364 Seiten, 24 Euro

Peter Bierl: Unmenschlichkeit als Programm. Verbrecher-Verlag, Berlin 2022, 364 Seiten, 24 Euro

Den Anfang macht, wenig verwunderlich, eine Auseinandersetzung mit Peter Singer (Australien) und dessen Thesen zum Verhältnis von Menschen und Tieren. Ausgehend vom utilitaristischen Prinzip des maximalen Glücks entwickelten sich dessen Thesen hin zu Sozialchauvinismus und Euthanasieforderungen, mit der Einteilung in wertvolle und wertlose Menschen. Konsequenterweise fordern Singer und mit ihm verbundene Theoretiker*innen die gewissenlose Tötung von behinderten Menschen oder Säuglingen: »Statt sich zu fragen, wie die Verhältnisse verbessert werden können auf einem Planeten des Überflusses, wirbt Singer für die einfache Lösung: Mord.« (S. 35). Bierl zeigt auf, wie sich solches Denken trotz zaghafter Abgrenzungsversuche auch in der radikalen Tierrechtsbewegung wiederfindet.

Eng verknüpft mit Singers Sozialchauvinismus ist die Eugenik. Aufschlussreich ist, wie verbreitet eugenisches Denken seit Darwin auch in linken Bewegungen und wie eng verknüpft es mit Rassismus, Kolonialismus und Antisemitismus war. Gerade Bierls Zusammentrag sozialistischer, feministischer und anarchistischer Diskurse und Forderungen nach »Rassenhygiene« vor 1945 liest sich mit Gewinn vor allem auch deshalb, weil sich Wiedergänger gegenwärtig in der Soziobiologie oder im programmatischen »evolutionären Humanismus« der Giordano-Bruno-Stiftung finden.

Zuletzt stehen bestimmte Spielarten der Religionskritik im Fokus. Weit davon entfernt, Religionskritik an sich abzulehnen, schafft es Bierl dennoch, auf problematische Aspekte derselben zu verweisen. Wiederum aus historischer Perspektive wird aufgezeigt, wie konsequent sich antisemitische Denkmuster auch von links finden lassen, nämlich immer dann, wenn es »nicht um Religionskritik [geht], sondern um Angriffe auf die abrahamistischen Religionen« (S. 233) und gleichzeitig einer neuen Spiritualität das Wort geredet wird.

Spannend ist, wie Peter Bierl es schafft, zwischen den drei genannten Themen konsequent Querverbindungen zu schaffen, zum Beispiel, wenn die Auffassung von der fundamentalen Gleichheit der Menschen in sozialchauvinistischer Tradition und soziobiologischer Sicht als Relikt religiöser Moral abgelehnt wird. Besonders bei der Giordano-Bruno-Stiftung wird diese Verknüpfung immer wieder deutlich und hervorgehoben. Die Kritik ist einerseits berechtigt, andererseits steht damit aber eine im Kern bürgerliche Organisation im Zentrum des Buches.

Leerstellen

Es ist klar, dass ein einzelnes Buch zu menschenfeindlichen Tendenzen innerhalb eines heterogenen linken Spektrums nicht alle Aspekte aufzeigen und diskutieren kann, auch wenn es hauptsächlich um biologistische und sozialchauvinistische Tendenzen geht. Dennoch scheint die Schwerpunktsetzung bisweilen fragwürdig. Zwar ist man nach der Lektüre fundierte*r Kritiker*in der Giordano-Bruno-Stiftung, vermisst allerdings andere kritikwürdige Positionen im gleichen Kontext. So findet sich beispielsweise nichts über den transfeindlichen TERF (Trans-Exclusionary Radical Feminism)-Feminismus. Fragwürdig ist auch, wie relevant die im Buch erwähnten und kritisierten Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen innerhalb des linken Spektrums überhaupt sind. Bierl sorgt aber immerhin für eine fundierte historisch-materialistische Kritik an einigen Aspekten, die sich teilweise auch in linker Theorie und Praxis wiederfinden.

Linke Kritiker*innen der Linken

Gerade dann, wenn die Thesen Peter Singers als Chorgesänge auf den Kapitalismus oder die Methodik der Soziobiologie als selbsterfüllende Prophezeiungen enttarnt werden, wird deutlich, dass die besten Kritiker*innen der Linken immer noch Linke sind. Dies gilt insbesondere auch für die zahlreichen Hinweise auf den mal offen vorgetragenen, mal eher verklausulierten Antisemitismus.