Ehrung für NS-Täter

geschrieben von Axel Holz

7. November 2022

Wie man in Bayern mit einem »Denkmal« für den Kriegsverbrecher Alfred Jodl umzugehen pflegt

Man stelle sich einmal vor, die österreichische Familie Schicklgruber würde auf ihrem Gemeinschaftsgrab ein Steinkreuz errichten – für einen Gefreiten des Ersten Weltkriegs, der dort nicht begraben liegt, weil dessen Asche im Großraum Berlin verstreut wurde. Auf dem Denkmal würde stehen: »Adolf Hitler (geborener Schicklgruber) / 20.4.1889–30.4.1945 / Politiker«. Mit diesen Gedanken beginnt der Schriftsteller Claus-Peter Lieckfeld seine Gedanken zum Fall Jodl. Der Aufschrei im Falle eines Hitler-Denkmals wäre zweifellos groß, über die Grenzen Deutschlands hinaus.

Doch ein solches Denkmal für einen Kriegsverbrecher gibt es. Nur eben nicht für Hitler, sondern einen seiner engsten Mitarbeiter, den Kriegsverbrecher Alfred Jodl. Der hochrangige Militär, Massenmörder und glühende Nazi wurde in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt und hingerichtet. Unter seiner Leitung wurde der Vernichtungskrieg gegen die Sowjet-union ausgearbeitet und durchgeführt, der zum Tod von 27 Millionen Sowjetbürgern führte. Er hatte die Deportationen der Juden vorangetrieben und den Kommissarbefehl erdacht, die Richtlinie zur sofortigen Tötung der gefangenen sowjetischen Offiziere, und die Belagerung Leningrads konzipiert, die eine Million Menschen das Leben kostete. Für ihn gibt es ein Ehrenmal, und zwar nicht irgendwo, sondern auf dem Friedhof des Klosters Frauenchiemsee, den seit der Erschaffung des Leergrabes und Denkmals 1953 wohl hunderttausende Touristen besucht haben und mehr oder weniger mit diesem Scheingrab konfrontiert wurden. Es befindet sich zwischen den Gräbern beider Ehefrauen des Kriegsverbrechers und enthält neben dessen Lebensdaten auch seinen militärischen Rang. Das Kenotaph hätte der Friedhofsordnung nach nie errichtet werden dürfen, ebensowenig wie den Grundwerten nach ein Ehrengrab für einen Kriegsverbrecher. Daran hat sich so mancher gestört, nicht aber die zuständige Friedhofsverwaltung, nicht die verantwortliche Kommune, nicht das verantwortliche Parlament oder die bayrische Staatsregierung.

Widerstand gegen Kriegsverbrecherehrung

Helmut Donat (Hrsg.): Der Fall Jodl. Kunst gegen Kriegsverbrecher. Donat Verlag, 2022, 80 Seiten, 10 Euro

Helmut Donat (Hrsg.): Der Fall Jodl. Kunst gegen Kriegsverbrecher. Donat Verlag, 2022, 80 Seiten, 10 Euro

Erst Bundestagsvizepräsident Norbert Lammert empfahl dem Künstler Wolfram Kastner, eine Petition einzureichen. Die hatte zwar mit dem Bundestag die falsche Adresse, wurde aber auch im zuständigen Bayerischen Landtag nicht verhandelt. Niemand fühlte sich auf Kastners Anfragen hin zuständig. So be-sann sich der Künstler auf sein Widerstandsrecht: Er versah das Denkmal mit dem Zusatz »Keine Ehre dem Kriegsverbrecher«, verdeckte das Kreuz, las am Jodl-Denkmal aus den Erinnerungen Überlebender von Leningrad vor, entfernte das »J« im Namen Jodl, ließ den Rest als bayrisches Wort für Jauche stehen und überzog das Denkmal schließlich mit roter Farbe – deutlich als Blutspur zu erkennen. Man müsste meinen, das wäre genug, um die Öffentlichkeit und die Zuständigen zu einer öffentlichen Stellungnahme und schließlich zur Entfernung zu bewegen. Nichts davon geschah.

Stattdessen wurde der Künstler angezeigt und von einem bayrischen Gericht wegen Verletzung der Eigentumsrechte des Denkmalbesitzers zu 12.000 Euro Schadenersatz verurteilt. Das Eigentumsrecht stünde über dem Recht auf Kunstfreiheit, und Volksverhetzung konnte die Richterin in dem Grab nicht erkennen, das aber wegen der fehlenden Überreste keines war und erst dadurch zum Ehrengrab avancierte. Man müsste meinen, dass eine solche juristische Sicht, die Volksverhetzung billigt und Widerstand gegen Kriegsverbrechervergötzung kriminalisiert, kaum vor höherer juristischer Instanz Bestand haben würde. Aber falsch gedacht. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte das Urteil. Im Kern dementierte es, dass es sich bei dem Übergießen des Gedenksteins mit roter Farbe um Kunst handle. Kunst müsse immer interpretierbar sein, aber das sei hier nicht der Fall. Der Sänger und Liedermacher Konstantin Wecker bemerkte hierzu, es sei möglich, dass Juristen von Kunst keine Ahnung hätten. Keinesfalls dürften sie sich aber anmaßen, bestimmen zu wollen, was Kunst sei.

Schatten der Vergangenheit

Wir wissen heute, wie sehr deutsche Juristen in der Nazidiktatur verfangen waren, vielfach ungestört nach dem Krieg über ihre früheren Opfer erneut richteten und auch mit dafür sorgten, dass die juristische Verfolgung der Kriegsverbrecher lange unterblieb oder mit Verjährung bzw. der Umwandlung von Mord in Totschlag und Beihilfe zu beidem abgemildert wurde. Aber das juristische Erbe der Nazis, die viele Jahre fehlende juristische Aufarbeitung der Naziverbrechen sowie die vielfache Verharmlosung der Kriegsverbrecher und ihrer Taten werfen offensichtlich auch im Rechtswesen ihre Schatten bis in die heutige Zeit. Eine Überlebende des Holocaust hatte jüngst gegen das Jodl-Denkmal auf der Insel Frauenchiemsee geklagt. Jodls Name und Dienstgrad sind nun hinter einer Steinplatte verborgen, und beides ist hinter einer mobilen Tuja verschwunden. Bereit, jederzeit wieder an die Öffentlichkeit zu treten, wenn die Zeit reif ist.