Faschismus ist ein Virus
7. November 2022
antifa-Gespräch mit Filippo Giuffrida von ANPI Europa zu den Wahlen in Italien
antifa: Die Wahlergebnisse in Italien waren vielleicht zu erwarten, sind aber dennoch ein Schock.
Filippo Giuffrida: Wie der Präsident der ANPI, Gianfranco Pagliarulo, auf einer Leitungssitzung des Partisanenverbandes betonte, liegt im Sieg einer Rechtskoalition, die von einer Partei angeführt wird, deren Ursprünge auf die faschistische MSI zurückgehen, eine Art »Sarkasmus der Geschichte«. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass die Garantien der Verfassung eine natürliche Barriere darstellen, die jeden Versuch, Italien von seinen antifaschistischen Wurzeln zu trennen, verhindern wird. Außerdem repräsentieren die »Fratelli d’Italia« (FdI), die siegreiche Partei der Rechten, aufgrund des seltsamen Wahl-systems nicht die Mehrheit des Landes. Die Rechtskoalition hat einen Anteil von 43,79 Prozent und die Partei von Giorgia Meloni 26 Prozent erreicht. 12,3 Millionen Italiener haben ihre Unterstützung für die Rechte zum Ausdruck gebracht, während jedoch 13,8 Millionen Wähler »Mitte-links«-Parteien gewählt haben. Diese beiden Elemente und die Wahlenthaltung lassen den Schluss zu, dass es keine völlige Freiheit für die Neofaschisten geben wird.
antifa: Auffallend ist, dass die Wahlbeteiligung trotz der politischen Auseinandersetzungen während des Wahlkampfes erneut um fast zehn Prozent sank.
F.G.: Tatsächlich liegt die Wahlbeteiligung bei rund 64 Prozent – ein historischer Tiefstand. Das hat mehrere Gründe. Dazu gehört eine allgemeine Politikverdrossenheit, wenn nicht gar Resignation gegenüber Politik und Politikern, die wir bereits in anderen europäischen Ländern beobachten konnten. Andere hängen mit dem Wahlsystem zusammen, das die Stimmabgabe vieler Italiener im Ausland (fast sechs Millionen von knapp 50 Millionen Wahlberechtigten) und jener, die aus beruflichen oder anderen Gründen nicht »physisch« in ihren Wahlkreis zurückkehren konnten, sehr erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht hat. Darüber hinaus – und dies sind die Daten, die wir als Antifaschisten sorgfältig untersuchen sollten – waren die Links-/Mitte-links-Parteien nicht in der Lage, einen ausreichenden Konsens zu erreichen, sondern zeigten sich zu »schüchtern«, ihre antifaschistische Position klar zu formulieren. Schlimmer noch, sie suchten Berührungspunkte mit den liberalen Positionen des rechten Flügels, um auch von dort potenzielle Wähler zu gewinnen. Nicht zuletzt war die totale Zersplitterung der Linken – ein halbes Dutzend »kommunistischer« Parteien, drei »Mitte-links«-Symbole, ein paar »unsichere« Parteien, die sich selbst als linksgerichtet bezeichneten, aber rechte/liberale Maßnahmen vorschlugen – keineswegs hilfreich.
antifa: Innerhalb der rechten Parteien gab es eine deutliche Verschiebung der politischen Gewichte von Matteo Salvinis Lega zu den offen faschistischen FdI. Mit welchen Konsequenzen?
F.G.: Der Erfolg von Meloni ist eindeutig auf den großen Zustrom von Wählern der Bewegung »Fünf Sterne« zurückzuführen. Noch deutlicher ist der Zustrom von Wählern, die seit 2019 von der Lega zu den FdI gewechselt sind, fast 40 Prozent Lega-Wähler entschieden sich diesmal für FdI. Infolgedessen kam es bereits bei der Wahl der Kammerpräsidenten und der Verteilung der Ministerien zu Reibereien innerhalb der rechten Koalition. Salvini drohte damit, die Regierung zu verlassen, wenn er nicht das Innenministerium bekäme. Berlusconis Partei stimmte nicht für den Kandidaten des rechten Flügels für den Vorsitz des Senats, da seine »Favoritin« – eine junge Frau, die von den Richtern, die Berlusconis Beziehungen zu Minderjährigen und Prostituierten untersuchten, als die Person identifiziert wurde, die dafür zuständig war, junge Mädchen zu finden und zu ihm zu bringen – von Meloni als Ministerin für Tourismus abgelehnt wurde. Und das war erst der Anfang.
antifa: Welche Antworten haben ANPI und die anderen antifaschistischen Kräfte in Italien auf dieses Wahlergebnis?
F.G.: Die Antwort ist ein Aufruf für einen »neuen Antifaschismus«, der sich in zwei Richtungen bewegen sollte: Zum einen gegen den tatsächlichen Neofaschismus und allgemeiner gegen die Ideen der Ausgrenzung, des Rassismus und des Nationalismus und zum anderen ein politischer, kultureller und rechtlicher Kampf, der in eine »soziale Richtung« geht. Faschismus ist ein Virus, der sich dort vermehrt, wo es Angst, Arbeitslosigkeit und soziale Fragmentierung gibt. Dies mit konkreten und positiven Politiken zu bekämpfen, beseitigt dessen materielle Grundlage. Das bedeutet, dass der Kampf für soziale Rechte, angefangen beim Recht auf Arbeit, an erster Stelle steht. In seiner Rede anlässlich der Erinnerung an den faschistischen Angriff auf die größte italienische Gewerkschaft CGIL (am 9. Oktober 2021, antifa) fasste der Präsident der ANPI diese neue Herausforderung als »Engagement für eine soziale Demokratie« zusammen, die sich auf die volle Verwirklichung der Bedürfnisse des täglichen Lebens der Menschen und die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft als Ganzes konzentriert. Kurz gesagt, ein neues wirtschaftlich-soziales Modell mit einem internationalen antifaschistischen Netzwerk, für Arbeit, soziale Rechte und Demokratie.
Im Vorfeld der Wahlen rief die Associazione Nazionale Partigiani d’Italia (ANPI) dazu auf, bei der Abstimmung für die Verteidigung der Verfassung und die Unterstützung des Antifaschismus einzutreten. ANPI rief dazu auf, wählen zu gehen, sich nicht der Stimme zu enthalten, da es ohne Abstimmung keine Lösung für die Probleme der Familien und der repräsentativen Demokratie geben könne. Nicht zu wählen, so ANPI, bedeute, ein Recht aufzugeben, das in der Vergangenheit erkämpft und nach dem Ende des Faschismus 1946 in der Verfassungscharta verankert wurde.
Das Gespräch führte Ulrich Schneider