Ein Mahner, der anspornt
7. Januar 2023
Ernst Grube: Auch mit 90 Jahren noch kritischer Zeitzeuge
Am 13. Dezember 2022 feierte Ernst Grube, Mitglied der VVN seit Gründungszeiten und früherer Landessprecher der VVN-BdA Bayern, seinen 90. Geburtstag. Zwei größere Festlichkeiten gab es aus diesem Anlass in München und Umgebung.
Die erste, direkt am Geburtstag, in den Räumen des NS-Dokumentationszentrums München, jener Einrichtung, die nach langjährigem öffentlichen Engagement von ehemaligen Verfolgten des Naziregimes, Zeitzeug/innen, zu denen Ernst Grube gehört, Wissenschaftler/innen und aktiven Bürger/innen schließlich erbaut werden konnte und die inzwischen für das In- und Ausland ein geschätzter und rege genutzter Museums-, Erinnerungs- und Informationsort geworden ist.
Am folgenden Tag luden die KZ-Gedenkstätte Dachau, die Lagergemeinschaft Dachau e. V., deren Präsident Ernst Grube seit geraumer Zeit ist, und eine Reihe kirchlicher und weltlicher Institutionen und Organisationen im Dachauer Umfeld auf dem Gedenkstättengelände ins dortige Besucherzentrum ein. Weit über München und Bayern hinaus ist Ernst Grube seit langem bekannt. Bis heute ist er in Schulen, Gesprächskreisen oder Vorträgen unermüdlich tätig, um Zeugnis abzulegen vom Terror des Nazistaates und Folgerungen daraus für heute anzumahnen.
Weil ihre Mutter Jüdin war, begannen Ernst, sein Bruder Werner und die kleine Schwester Ruth bald die Ausgrenzung durch die Nazis zu spüren. Noch vor der Pogromnacht 1938 wurde die Familie aus ihrer Münchener Wohnung geworfen, die Kinder kamen bis 1942 in einem jüdischen Kinderheim unter, dessen Bewohner fast alle in Vernichtungslager deportiert wurden. Lange Zeit konnte Ernsts nichtjüdischer Vater das Schlimmste verhindern, aber noch im Februar 1945 wurden die drei Kinder mit der Mutter ins KZ Theresienstadt deportiert. Zum Glück funktionierten die Weitertransporte in Vernichtungslager nicht mehr. Mutter Grube und Kinder überlebten die nächsten Monate und wurden im Mai 1945 von der Roten Armee befreit.
Zurück in München holte Ernst die Schule nach, lernte bei seinem Vater das Malerhandwerk und fand bald Anschluss bei Familien von Verfolgten, vor allem im kommunistischen Milieu. Besonders beeindruckte ihn die Tatsache, dass es dort mutigen Widerstand gegen die Nazis und den Krieg gegeben hatte. Er organisierte sich in der Gewerkschaft, in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und schließlich in der Kommunistischen Partei und war in den folgenden Jahren bei vielen sozialpolitischen -Aktionen und Protesten gegen alte und neue Nazis und vor allem gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik dabei. Dieses Engagement trug ihm zweimal eine Gefängnisstrafe in den 1950er Jahren ein – seine Verfolgung als Kind in der Nazizeit spielte bei den Urteilen kaum eine Rolle.
Grube blieb dennoch aktiv, auch später während seiner Weiterbildung hin zum »Begabtenabitur«, das ihm neben seiner Tätigkeit als Malermeister ermöglichte, als Fachlehrer in München zu arbeiten. Ein ihm in den 1970er-Jahren drohendes Berufsverbot als Lehrer konnte an ihm als NS-Verfolgten dann doch nicht vollzogen werden. Nicht zuletzt dank Grubes Eigen-initiative: Zur Verhandlung mit den Behörden hatte er den Judenstern mitgebracht und auf den Tisch gelegt, den er als Heranwachsender in München am Gewand hatte tragen müssen.
Mit dem wachsenden Interesse der Öffentlichkeit an der NS-Zeit seit den 1980er-Jahren rückte auch für Ernst Grube das Erzählen seiner eigenen Verfolgungsgeschichte immer mehr in den Mittelpunkt. Neben Gesprächen vor allem mit jungen Menschen engagierte er sich in verschiedensten Gremien und Einrichtungen und ist bis heute ein gefragter Berater: von der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau bis hin zum Kuratorium der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, von der Jugendbegegnungsstätte Dachau bis zum Beirat des NS-Dokumentationszentrums München. Außerdem von einem breiten Medienumfeld – auch in seiner Eigenschaft als Präsident der Lagergemeinschaft Dachau. Aktiv geblieben ist er über Jahrzehnte hinweg in der VVN-BdA. Ernst Grube war bereits 80 Jahre alt, als er im Bayerischen Verfassungsschutzbericht als Landessprecher namentlich erwähnt und als »Linksextremist« diffamiert wurde. Aufgrund großer Solidarität musste das geändert werden.
Angesichts des breiten Wirkungsfeldes von Ernst Grube gab es nun zu seinem 90. Geburtstag viele Würdigungen – einschließlich der Ehrenbürgerwürde der Stadt München. Von unterschiedlichsten Seiten wird nicht nur Grubes große Fähigkeit zum Berichten über das eigene Erleben hervorgehoben, sondern auch sein unbedingter Wille, sich für Menschenrechte, für den Schutz der heute bedrängten Minderheiten und Ausgegrenzten einzusetzen. So bleibt der Jubilar ein – oft unbequemer – Mahner, der mit seiner Geschichte auch anspornen will für das Handeln in der Gegenwart.
Die vielfachen Würdigungen zu Ernst Grubes 90. Geburtstag am 13. Dezember 2022 im Münchener NS-Dokumentationszentrum bewegten sich auf das Ende zu, Erfrischungsgetränke winkten. Da betrat die Direktorin des Zentrums, Mirjam Zadoff, die bereits eingangs ausführlich über die Verdienste des Geehrten referiert hatte, noch einmal das Podium und ging mit einem Bücherpaket ans Rednerpult. Diesem entnahm sie ein Buch, dessen Titelbild den fröhlichen Geehrten mit einem Mikrofon in der Hand zeigte. Hier habe sie noch ein Geschenk für ihn, meinte sie. Und staunend durfte Ernst Grube eine Neuerscheinung entgegennehmen, mit einem Zitat von ihm als Titel und Beiträgen in Wort und Bild von 18 Autor/innen auf über 250 Seiten.