Lockdown und Provinz
7. Januar 2023
Manja Präkels neuer Essayband verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Manja Präkels hat mit ihrem Roman »Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß« und als Mitherausgeberin von »Vorsicht Volk!« den literarischen Scheinwerfer auf rechte, rassistische sowie verschwörungsideologische Proteste und die letzten Züge der DDR gerichtet. Nun hat sie einen neuen Essayband verfasst. Dieser besticht durch die Vielzahl an Textarten und Themen.
Die Autorin hat ein herausragendes Gespür dafür, mit situativen Momentaufnahmen Stimmungen einzufangen und so einen emotional eingefärbten Blick auf gesellschaftliche Ereignisse zu bieten. Der Band wirkt wie ein Musikalbum mit dem verbindenden Beat des Zusammenbruchs der DDR sowie der Sowjetunion. Er verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in 24 Episoden, geschrieben zwischen 2014 und 2022. Von Berlin-Kreuzberg über Rheinsberg, Heinersdorf und Sebnitz geht es nach Transnistrien sowie China. Präkels gelingt es, in wenigen Worten nicht nur Beziehungen, sondern Verhältnisse aufzuzeigen – sei es in Reportagen über Menschen, die Geflüchtete unterstützen, oder in eher poetisch anmutenden Texten, in denen über ungleiche Freundschaften und Mundart sinniert wird.
Der Vergleich ist nicht so weit hergeholt, denn sei es der Aufenthalt in Litauen für ein literarisches Retreat oder der Umgang mit der DDR-Vergangenheit, die auch heute noch für so viele wirkmächtig ist in deren Lebenserfahrungen: Präkels zeichnet mit klaren Worten ebenso wie mit feinsinnigen Bildern Geschichten und Reportagen, nicht alle davon fangen einen beim ersten Lesen ein.
In »Kein abgeschlossenes Kapitel« zeigt sich der rote Faden des Essaybandes in Miniatur: »Die Welt ist ohne Rückschau so wenig zu begreifen wie ohne Blick zum Horizont nach vorn« (S. 111) als Schlusssatz hält einen fest und bleibt im Kopf. In »HassHasenAngst« die Aneinanderreihung von Gewalt, die Empathielosigkeit der Täter, aber auch das eigene Sein – Coolness aus Notwehr, um der Verzweiflung der alltäglichen Gewalt zu entgehen, die ostdeutsche Dörfer und Kleinstädte in der Nachwendezeit prägte.
Das thematische Repertoire Präkels reicht jedoch sehr viel weiter, und gerade die humorvollen Reiseberichte beeindrucken durch Präkels Fähigkeit, mit wenigen Worten Situationen aufzuzeigen, als würde man beim Lesen daneben stehen. Sie schreibt in »Djewotschka will heim« über Transnistrien und ihre Erinnerungen an den Küchentisch ihrer Mutter, die in postsowjetischen Reiseabsurditäten geweckt werden. In »Lambada für Lenin« (was für ein großartiger Titel) der Roadtrip durch die Mongolei, Usbekistan, China und Kasachstan, zwischen Pferdeherden und Politparaden, rassistischen Deutschen und traurigen Eisverkäuferinnen.
»Wenn mal allet nich mehr is« bietet einen Einblick in das winterliche Rheinsberg und einen sehr persönlichen Blick auf die Autorin, die über ihre Besuche in Rheinsberg im Corona-Winter schreibt, über Hunderunden und Angsträume, über Erinnerungen und den Schlosspark, über die Zeitlosigkeit der ostdeutschen Provinz.
Der letzte und aktuellste Text beleuchtet die neuen Krisen, die Sorge vor steigenden Preisen ebenso wie das Lebens in der anhaltenden Pandemie. Ostdeutsche Provinzen 30 Jahre nach der Wende zwischen Debatten um Solarparks und die Verschiedenheit der zugezogenen Großstädter und der dagebliebenen Männer, dazwischen Vielsprachigkeit im Regionalzug und wachsende Kooperationen. Denn auch dies ist Leben in der Provinz.
Ein starkes Buch für alle, die Sprachgewandtheit ebenso schätzen wie politische Analysen, egal ob in der Provinz oder der Großstadt.