Darüber Sprechen
9. März 2023
In einem Antifa-Jugendroman geht es vor allem um das Kommunizieren
Seit November erscheint wöchentlich im Autonomie-Magazin (nur online) jeweils ein Kapitel einer vielschichtigen »Coming of Age«-Geschichte rund um eine antifaschistische Schüler*innengruppe aus Wiesbaden. Wie üblich in solchen Entwicklungsromanen, deren jugendliche Hauptfiguren mit sich und der Welt ringen, geht es auch hier um viele »erste Male«: Liebe, verletzte Gefühle, Schlägereien, Männlichkeitsgehabe, Überschwang und Unverständnis der (Erwachsenen-)Welt gegenüber. Dieses Erwachsenwerden findet in einem politisch sehr aufgeladenen Umfeld statt.
In der überwiegend in Dialogform gehaltenen Erzählung geht es um rechte Vorkommnisse an einer Schule, die für einige zu einem politischen Erweckungsmoment werden. Da gibt es Neonazis, deren Provokationen von sechs Freund*innen nicht mehr hingenommen werden. Diese kleine Gruppe kämpft gegen ignorante Lehrer und Hausmeister an, aber hadert auch mit sich, fragt nach Eskalationsspiralen und reflektiert ihr Handeln im Mikrokosmos Schule. Dieses ständige Hinterfragen, die Vernetzung mit anderen an der Schule, die erfahrene Solidarität und der Ideenreichtum machen das (vielleicht) für Jugendliche geschriebene Buch auch für andere Altersgruppen interessant. Die Fragen nach der kollektiven Herangehensweise an Auseinandersetzungen, denen mensch nicht mehr aus dem Weg gehen kann oder will, die unweigerlich existenziell werden, sind keine des Alters, sondern der Haltung.
Ganz nebenbei erfahren wir noch allerhand Nützliches über Ermittlungsmethoden der Polizei und von Geheimdiensten (Handy-Ortung, Fingerabdrücke, DNA-Beweis usw.) und auch über Methoden antifaschistischer Recherchearbeit. Alles ist eingebettet in die Geschichte, wird ohne (technische) Belehrung erzählt und mehr als Hilfestellung unter Gleichgesinnten dargestellt. Auch als Panik vor staatlicher Verfolgung ausbricht, können Erfahrene (einer ist sogar Bankräuber) mit Wissenswertem und emotionalem Beistand helfen. Unsicherheiten haben zwar ihren Platz, werden in der Gruppe aber nicht immer ideal besprochen (»Ich kleb dir gleich eine«). Zu groß ist der Wille, Stärke zu beweisen, Mut und Hoffnung zu verbreiten.
Beiläufig wird hier auch der Klassenhintergrund der Beteiligten miteinbezogen: Stefan, der Junge aus reichem Elternhaus, ist am meisten darauf bedacht, sich körperlich fit zu halten und darauf aus, sich vor anderen zu beweisen. Er ist es auch, der gegen kollektive Regeln verstößt, der allen Feigheit vorwirft und auf Eskalation setzt. Während die anderen sich dreimal überlegen müssen, was das für ihr eigenes Leben bedeutet, muss er sich offenbar keine Sorgen machen.
Auf der Nebenbühne wird der Mord an dem schwarzen Geflüchteten Kwame durch Neonazis vor einem Strafgericht verhandelt. Wir sehen den Prozess durch die Augen seiner 15-jährigen Tochter Celeste, die immer noch in der Sammelunterkunft am Stadtrand festsitzt. Der Autor schafft es, uns durch die Schilderung der Flucht der Familie über das Mittelmeer die vielen unterschiedlichen Schicksale von Geflüchteten und ihre oft unmenschliche Behandlung in Deutschland näher zu bringen. Keine Selbstverständlichkeit für einen Jugendroman.
Celeste geht auf die selbe Schule wie die Antifas, und so fließen die Erzählstränge irgendwann ineinander. Die Gerichtsstory um die Ermordung ihres Vaters beschreibt hervorragend, was sich Opfer rassistischer Gewalt so alles von der Justiz gefallen lassen müssen. Der Autor lässt hier den gehässigen Anwalt der beschuldigten Neonazis »Nahrad« heißen und meint wohl den real existierenden Haus- und Hofanwalt der Neonaziszene Wolfram Nahrath (ehemals Wiking-Jugend), der den Gerichtssaal mit Duldung des Richters als Bühne für Rassismus und Verachtung gegenüber dem Toten und den Lebenden nutzt.
»Dieses Buch ist Lina E. und ihren Genossinnen und Genossen gewidmet, die den Mut hatten, Nazis zu jagen«, steht gleich auf der ersten Seite des Romans. Schöppner geht es auch in diesem Roman wieder um die Vermittlung des militanten Antifaschismus. Insofern ist es eine Weiterführung seines »Antifa heißt Angriff: Militanter Antifaschismus in den 80er Jahren« von 2015. Offensichtlich autobio-grafisch mit viel eigener Erfahrung aufgeladen, werden über eine simpel anmutende Geschichte über Jugendliche Motive, Aktionsmittel und Organisierungsformate zur Aufdeckung und Sabotage von Neonazinetzwerken dargelegt und auch die Schattenseiten nicht verheimlicht.
Der üblichen Aufmerksamkeit jugendlicher Leser*innen wird durch die wöchentlichen Cliffhanger (es soll 57 Kapitel über 57 Wochen verteilt geben) vielleicht entgegengekommen. Alle, die gern mehr als eine Seite lesen, sollten bis zum Ende des Jahres warten, bis »Binge-Reading« des ganzen Buches möglich ist.
Horst Schöppner: »Gegen die halten wir zusammen«. Etwa 440 Seiten, erscheint seit November in wöchentlicher Fortsetzung bei autonomie-magazin.org.