Gesinnungsprognose
9. März 2023
Zu 90 Jahren »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«
»… bietet nicht die Gewähr, jederzeit voll einzutreten für …« – diese Formulierung rückte anlässlich des 50. Jahrestages des Radikalenerlasses wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein. Weniger bekannt: Sie stammt aus einem Nazigesetz.
Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 machten sich die Nazis umgehend an den Umbau des Staates zu einer Diktatur, auch wenn die Weimarer Verfassung formal in Kraft blieb. Als entscheidende Schritte auf diesem Weg gelten die »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat« (»Reichstagsbrandverordnung«) vom 28. Februar 1933 und das »Ermächtigungsgesetz« vom 24. März 1933. Kurz danach folgte das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«, das sich sowohl gegen Jüdinnen und Juden als auch gegen politische GegnerInnen richtete. Es wurde am 7. April 1933 verabschiedet und ohne parlamentarische Erörterung im Kabinett verkündet.
Anders als der Titel vermuten lässt, wurde kein früheres Beamtenrecht »wiederhergestellt«. Dazu Saul Friedländer in seinem Standardwerk »Das Dritte Reich und die Juden«: »Dieses Gesetz zielte in seiner allgemeinsten Intention darauf, die gesamte Regierungsbürokratie umzugestalten, um ihre Loyalität gegenüber dem neuen Regime sicherzustellen. Seine Ausschließungsmaßnahmen, die für mehr als zwei Millionen staatlicher und städtischer Beschäftigte galten, waren gegen die politisch Unzuverlässigen, hauptsächlich Kommunisten und andere Gegner der Nationalsozialisten, und gegen Juden gerichtet.«
In seiner »rassepolitischen« Stoßrichtung enttäuschte das Gesetz die Erwartungen der Nazis zunächst: Aus Rücksicht auf historisch-patriotische Befindlichkeiten waren jüdische Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs von der Regelung ausgenommen. Die erwiesen sich aber als zahlreicher als zunächst angenommen, so dass fast die Hälfte der jüdischen Beamten zunächst im Dienst verbleiben konnte. Diese Lücke wurde von den Nazis 1935 endgültig geschlossen.
Sehr viel rigoroser wurde hingegen gegen aktuelle und frühere politische GegnerInnen vorgegangen: »Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.«
Diese sogenannte Gewährbieteklausel bot jeden denkbaren Spielraum. Sie beinhaltete eine Gesinnungsprognose, die vollkommen im Ermessen des Dienstherrn lag. Das Gesetz ist erkennbar geprägt von den rechtsphilosophischen Kerngedanken des NS-Kronjuristen Carl Schmitt. Der war schon um 1930 vehement gegen den »kalten Formalismus« der Weimarer Verfassung zu Felde gezogen. Seiner Ansicht nach reichte es nicht aus, Gesetze zu befolgen – wichtig erschien ihm die vorbehaltlose Identifikation mit dem Staat als realer Machtinstanz. Zugleich postulierte er, dass der Staat sich nur dadurch als Souverän erweise, dass er frei definieren könne, wer als Feind des Staates außerhalb der Rechtsnormen gestellt werden könne.
Nach 1945 wollten die Alliierten angesichts der historischen Vorbelastung zunächst unter keinen Umständen die Wiedereinführung des deutschen »Berufsbeamtentums« zulassen, das in seiner Anlehnung an das feudale Schutz- und Treueverhältnis im internationalen Vergleich singulär ist. Während die DDR bei der Ablehnung eines gesonderten Beamtenrechts blieb, rückten die Westalliierten bei der Gründung der BRD schließlich von dieser Position ab. Die »Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums« ist in Artikel 33, Absatz 5 bis heute im Grundgesetz verankert. Zu diesen »Grundsätzen« zählt die politische Treuepflicht mit ihrer »Gewährbieteklausel«. Freilich wurde »nationaler Staat« durch »freiheitlich-demokratische Grundordnung« ersetzt. Geblieben sind die Gesinnungsprognose und Beweislastumkehr (»Zweifel an der Verfassungstreue genügen«), die allen gängigen Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit widersprechen. Obwohl diese »Grundsätze« nur »berücksichtigt« werden sollen, wird ihnen von deutschen Gerichten höherer Rang eingeräumt als völkerrechtlich kodifizierten Kernnormen des Arbeitsrechts, die nur als einfache Gesetze gelten sollen.
Nach 1973 führte im Zuge des »Radikalenerlasses« eine beispiellose Hexenjagd auf radikale Linke zu einer Vergiftung und Einschränkung des politischen Diskurses, die bis heute andauert. Die Opfer der Berufsverbotepolitik, die in ihren Verfahren all zu oft ehemaligen Nazirichtern gegenübersaßen, sind bis heute weder rehabilitiert noch entschädigt.
Umso bedenklicher stimmt es, wenn heute erneut Bestrebungen im Gang sind, eine »Regelanfrage« beim »Verfassungsschutz« zur Voraussetzung für die Einstellung in den öffentlichen Dienst zu machen, wie es – wohl als Pilotprojekt – in Brandenburg geplant ist.
Carl Schmitt hatte mit seiner rechtspolitischen Legitimierung des Führerstaates für die Nazis seine Schuldigkeit getan und wurde 1936 nach internen Machtkämpfen von Parteiämtern in der NSDAP entbunden. Er blieb dennoch bis zur Niederlage des »Deutschen Reiches« glühender Nationalsozialist. Zu seinem fanatischen Antisemitismus bekannte er sich bis zu seinem Tod im Jahr 1985.
Dessen ungeachtet spielte er auch in den rechtspolitischen Diskussionen der neugegründeten BRD eine gewichtige Rolle und fungiert heute erneut als Stichwortgeber für die Vertreter einer »illiberalen Demokratie«, die in Europa immer mehr Boden gewinnen.