Kräfteverhältnisse verschoben
9. März 2023
Zum Untersuchungsausschuss drei Jahre nach dem Attentat in Hanau
Drei Jahre sind seit dem einschneidenden rechten Terroranschlag am 19. Februar in Hanau (Hessen) vergangen. Anders als nach den Morden des NSU waren die Stimmen der Überlebenden und der Angehörigen bereits nach wenigen Wochen in der Öffentlichkeit zu vernehmen. Unter anderem mit Hilfe der »Initiative 19. Februar« wurden sie zu einem politischen Subjekt, welches Aufklärung und politische Konsequenzen vernehmlich einfordert. Dass erneut so vielfältig am 3. Jahrestag an die Opfer erinnert wurde, ist vor allem ein politischer Erfolg der Angehörigen und der Überlebenden, von migrantischen Organisationen und antirassistischen Initiativen.
Anders als nach den Morden des NSU wurde unmittelbar nach dem Anschlag auch von Regierungsvertreter:innen von Bund und Land Rassismus als Tatmotiv benannt. Hochrangig besetzte Gedenkveranstaltungen wurden organisiert. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in der postmigrantischen Gesellschaft der Bundesrepublik haben sich offensichtlich gegenüber der Situation während der Nullerjahre verschoben. Nichtsdestotrotz fand das diesjährige Erinnern im Schatten der jüngsten rassistischen Äußerungen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und Aussagen der Innenministerin Nancy Faeser zu angeblichen »Integrationsverweigerern« nach der Berliner Silvesternacht statt.
Ein politischer Erfolg der Angehörigen und Überlebenden des Anschlags von Hanau ist auch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses des Hessischen Landtags. Den Großteil der Aufklärungsarbeit haben ohne Zweifel die Überlebenden und Angehörigen selbst, ihre Anwält:innen, die »Initiative 19. Februar« und die Ermittlungsagentur Forensic Architecture/Forensis geleistet. Viele Details konnten aufgedeckt werden.
Beispiel Gefährderansprachen: Viele Angehörige und Überlebende wurden nach der Tat von der Polizei mit einer sogenannten Gefährderansprache konfrontiert. Das heißt, sie wurden davor gewarnt, an dem Vater des Täters nach seiner Rückkehr nach Hanau einige Zeit nach der Tatnacht Rache zu üben. Dabei war sofort nach seiner vorläufigen Ingewahrsamnahme klar: Der Vater des Täters teilt die rassistischen Positionen seines Sohnes. Deshalb hätte – umgekehrt – die Polizei den Angehörigen Schutz vor dem Vater anbieten müssen: die – leider – klassische Täter-Opfer-Umkehr der Polizei.
Im Ausschuss konnte geklärt werden: Bereits vier Tage nach der Tat wurde in einer Polizeibesprechung deutlich: Aus der Perspektive der Polizei waren die Angehörigen und Überlebenden ein Sicherheitsproblem – zudem linke Akteure, die dem Vater »rechtsextremes Gedankengut unterstellen« könnten. Skandalös ist außerdem, dass die Leitende Polizeibeamtin, die die Gefährderansprachen in Auftrag gegeben hat, im Ausschuss behauptete, dass sie eine sehr sensible Kommunikation mit den Angehörigen in Auftrag gegeben habe. Das entspricht offensichtlich nicht der Wahrheit. Und das ist umso schlimmer, als dass der Vater des Täters zuletzt regelmäßig Drohungen ausgestoßen hat und das Verbot sich den Angehörigen zu nähern, missachtet. Für die Familien ist das traumatisierend. Eine Entschuldigung der Polizei gibt es bisher nicht.