Rechtsterrorismus benennen

geschrieben von Paul Schmittker

9. März 2023

Zum versuchten Anschlag an einer Essener Schule

In Essen ist man knapp einer rechtsextrem motivierten Gräueltat entgangen. Diese konnte verhindert werden, weil couragierte MitschülerInnen und Lehrkräfte richtig reagiert haben.

Am 12. Mai 2022, kurz vor der NRW-Landtagswahl, wurden zwei weiterführende Schulen wegen eines geplanten rechtsterroristischen Amoklaufs in Essen-Borbeck geschlossen und auf Sprengstoff durchsucht. Kurz zuvor war der 16-jährige Jeremy R. in seinem Elternhaus festgenommen und zahlreiche Waffen waren sichergestellt worden. Er soll einen rechtsextrem motivierten Amoklauf an seiner Schule, dem Don-Bosco-Gymnasium, geplant haben. Anschlagspläne auf seine vorherige Schule, die Realschule am Schloss Borbeck soll der Jugendliche laut Medienberichten auch gehabt haben, diese soll er aber im Laufe der Planung wieder verworfen haben. Im Dezember 2022 wurde dann am Landgericht Düsseldorf das Verfahren wegen Vorbereitung eines schweren staatsgefährdenden Anschlags, Terrorismusfinanzierung und Verstößen gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz eröffnet. Der bekannt gewordene Besitz von kinderpornographischen Inhalten ist in der Anklage nicht enthalten.

Am 10. Februar 2023 wurde das Urteil verkündet: Zwei Jahre auf Bewährung und dazu die Anweisung, sich unverzüglich in stationäre Behandlung (Jugendpsychiatrie) zu begeben, anschließend in ein Betreutes Wohnen sowie an einem Programm zur Deradikalisierung teilzunehmen. In der Berichterstattung zum Urteil wird nur noch von der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Verbindung mit Verstößen gegen das Waffengesetz gesprochen. Die RichterInnen hätten keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten. In das verhältnismäßig milde Urteil soll eingeflossen sein, dass der Jugendliche geständig gewesen sei und Reue gezeigt habe. Im Gegensatz dazu geht aus der Begründung zur Untersuchungshaft sowie der Berichterstattung bis September 2022 hervor, dass der Jugendliche keine Reue zeige und eine gefestigte rassistische Gesinnung vertrete, die er auch noch Wochen nach der Festnahme zur Schau stellte, indem er offen »von seinem Anschlagsplan, seinen Mordphantasien, seinem Ausländerhass, seiner Waffenaffinität sowie seiner Bewunderung« für Täter rechtsterroristischer Taten sprach.

Die Gewaltbereitschaft und Bedrohung sitzt einigen Menschen noch tief in den Knochen. Reflexartig erscheint die behördliche Einschätzung, dass es sich um einen »Einzeltäter« handele. NRW-Innenminister Herbert Reul hat bereits einen Tag nach der Festnahme von einem »Hilfeschrei« des Jugendlichen geredet. Der Anwalt führt eine Persönlichkeitsstörung als Begründung für die Tatplanung an, außerdem sei er »im Internet gedanklich falsch abgebogen«. Eine Einordnung in soziale, räumliche und zeitliche Zusammenhänge findet bisher kaum statt. Es wird das Bild gezeichnet, die Gesinnung und Gewaltbereitschaft habe sich online in einem eher kürzeren Zeitraum entwickelt. Dadurch wird auch diese Tat entpolitisiert und durch die Perspektive auf den Täter allein die Klärung von Hintergründen vermieden.

Laut den Ermittlungen habe der Jugendliche viel Zeit in »rechtsnationalen Foren und Chats« verbracht. Insbesondere beim Thema Chats fällt eine Gemeinsamkeit zum aktuellen Gerichtsverfahren gegen einen 18-Jährigen mit rechtsextremer Gesinnung in Potsdam auf, der in Chats männliche Jugendliche angeworben und zu Anschlägen angestiftet und Sprengstoff in Potsdam getestet haben soll, wie die taz berichtete. Auch der Jugendliche aus Essen soll Videomaterial und Anleitungen für Nachahmer erstellt haben.

Neben der individuellen Ebene lohnt sich noch der Blick auf das sozialräumliche Klima, in dem der Jugendliche aufgewachsen ist. Essen-Borbeck ist spätestens seit den 90er Jahren ein fruchtbarer Boden für eine rechtsextreme Szene. Seit längerer Zeit gibt es eine aktive ReichsbürgerInnen-Szene, die seit 2022 wöchentlich im Stadtkern Versammlungszüge mit rechten Hooligans des Fußballvereins RWE und der Gruppe »Steeler Jungs« abhält.

Mit welchen realen Personen hatte Jeremy R. on- und offline also ideologischen Kontakt? Beispielsweise wurde kurz nach seiner Verhaftung ein anderer 18-Jähriger wegen Verbindungen zu dem Tatverdächtigen festgenommen und wieder freigelassen. Sind Lehrkräften, MitschülerInnen und anderen Personen im Umfeld schon viel früher rassistische oder rechtsextreme Verhaltens- oder Einstellungsmuster des Jugendlichen aufgefallen? Wie hätte reagiert werden können? Wie hat die Erwachsenengemeinschaft beispielsweise auf sein Interesse an Waffen und dem Zweiten Weltkrieg pädagogisch reagiert? Bekannt ist, dass auch im Elternhaus rechtsextreme Ideologie auf den Jugendlichen gewirkt hat.

Aus unserer Sicht ist dieser Vorfall mit dem Gerichtsurteil noch nicht abgeschlossen. Nicht nur im Bildungssystem, sondern in der Gesamtgesellschaft herrscht nicht genügend Sensibilität und Widerspruch in Bezug auf rechtsextreme Haltungen. Es braucht eine klarere Haltung gegen rechts und zwar auf allen Ebenen unserer Gesellschaft.

Weiterführende Informationen zur rechten Szene in Essen: essq.de und antifa-essen.de

Zur wissenschaftlichen Einschätzung der sogenannten Einzeltäter-These:
Mittelweg 36: Von einsamen Wölfen und ihren Rudeln. Zum sozialen Phänomen des Einzeltäters

Pädagogische Empfehlungen:

Broschüre: Auch das noch?! Informationen zum Umgang mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Rassismus und Ideologien der Ungleichwertigkeit an Schulen. Download unter: kulturbuero-sachsen.de

Broschüre: (K)ein Auge zudrücken?! Umgang mit rechtsaffinen Jugendlichen in JFEen und Schulsozialarbeit. Download unter: amadeu-antonio-stiftung.de

Der Autor ist langjähriges Mitglied der Kreisvereinigung der VVN-BdA in Essen.