Abrechnung mit einem Mythos

geschrieben von Maurice Schuhmann

29. April 2023

Francesco Filippi korrigiert das Bild des italienischen Faschisten Benito Mussolini

Benito Mussolini, der italienische »Duce«, erfährt nach wie vor eine Mystifizierung und erhält einen teilweise auf Fehlinformationen beruhenden Persilschein. Mehr noch als in Deutschland, wo Ewiggestrige mit Sätzen wie »es war nicht alles schlecht, was Adolf Hitler tat. Er hat zum Beispiel die Autobahn gebaut« den nationalsozialistischen Terror relativieren, wird auch in Italien der Faschist Mussolini nach wie vor positiv umgedeutet. Die Mythen reichen von der Darstellung eines arbeiterfreundlichen Politikers, der das Kurzarbeitergeld einführte, über den »Feministen« Mussolini, auf den das Frauenwahlrecht zurückging, bis zum Bild des Beschützers von Jüd_innen und Muslim_innen. Diese Mythen sind nicht nur einfach falsch, sondern auch gefährlich. Nach wie vor haben seine Anhänger_innen, die diese Mythen verbreiten und zum Teil sicherlich selbst auch glauben, einen gewissen politischen Einfluss und treten in Form der (post-)faschistischen Partei Fratelli d’Italia immer noch selbst bei den Wahlen an. Im Mai steht der nächste Urnengang im Land an – und es wird sich zeigen, inwieweit die Italiener_innen Parteien aus jenem Spektrum ihr Vertrauen aussprechen.

Fakenews entlarven! »Duce« vom Sockel holen!

Umso wichtiger ist es, dem entgegenzutreten, die Fakenews zu entlarven und Mussolini vom Sockel zu stoßen – gerade in Bezug auf seine Mystifizierung. Jenen gängigen Mythen über den »guten Faschisten« Mussolini tritt der italienische Historiker Francesco Filippi, Mitgründer der antifaschistischen Vereinigung Deina, in seinem im Jahr 2019 in Italien erstmalig erschienenen Handbuch »Mussolini hat Gutes getan?« entgegen. Bereits zuvor hatte er für Deina, die vorrangig antifaschistische Bildungsarbeit betreibt, eine Broschüre mit Argumentationshilfen gegen faschistische Lügen erstellt. Er begründet seine Schwerpunktsetzung auf jene Entmystifizierung Mussolinis mit den Worten: »Fakenews zur Gegenwart prägen Meinungen, die sich auf bestimmte Impulse hin ändern können – historische Fakenews vergiften die Welt der Erfahrungen, Werte und Gefühle, in der das Bild der Vergangenheit entsteht. (…) Lügengeschichten über die Vergangenheit zu erfinden, dient auch – im Falle Mussolinis – dazu, eine einfache und effiziente Erzählung über das Heute entstehen zu lassen: eine neue Perspektive«, schreibt Filippi im Vorwort des Handbuches.

Francesco Filippi: Mussolini hat Gutes getan? Abrechnung mit einem Mythos. Verlag Edition AV, Bodenburg 2022, 159 S., Preis: 16 Euro

Francesco Filippi: Mussolini hat Gutes getan? Abrechnung mit einem Mythos. Verlag Edition AV, Bodenburg 2022, 159 S., Preis: 16 Euro

Thematisch in neun Kategorien unterteilt, die vom Mythos des »weitblickenden und fürsorglichen Duces« über den Humanisten und Feministen bis hin zu dem des integren Verteidigers des Rechtsstaates reichen, zerlegt der Historiker fundiert auf Basis von historischen Fakten diese bis heute anhaltenden bzw. auch die in den letzten Jahren hinzugekommenen Narrative über den italienischen Faschisten. Von besonderem Interesse sind dabei Mythen wie die, dass Mussolini in den besetzten Gebieten die jüdische und muslimische Bevölkerung geschützt habe, die feministische Deutung oder die Lüge neueren Datums, dass sich der italienische Faschist für die Rechte von Tieren bzw. die rechtliche Gleichsetzung von Menschen und Tieren eingesetzt habe.

Unterschiedliche Logiken

Die hier thematisierten »Mythen« folgen dabei unterschiedlichen Logiken. Mal wird ihm etwas Positives zugeschrieben, was bereits von Vorgängerregierungen in die Wege geleitet wurde – ähnlich wie im Falle des Autobahnbaus während des Nationalsozialismus, mal erfolgte die Umsetzung dessen erst nach 1945, und in anderen Fällen wird wissentlich mit Halbwahrheiten gearbeitet. Für letzteres Vorgehen ist die Einführung des kommunalen Frauenwahlrechts im Jahr 1925 ein interessantes Beispiel. Dieser Aspekt, der den Mythos vom »Feministen« zu stützen scheint, ist bei genauerer Beleuchtung wie es Francesco Filippi tut, anders zu werten. Es handelte sich nämlich nicht um ein generelles Frauenwahlrecht, sondern es war an Bedingungen wie den Mutter- oder den Status als Witwe eines Kriegshelden, den Bildungsgrad und das Alter (Wahlrecht ab 25) gebunden. Zudem war die Politik des »Duce« alles andere als feministisch – gerade in Bezug auf die fehlende Sanktionierung sexualisierter Gewalt gegen Frauen im Falle einer Heirat der Betroffenen. Dieses Recht erstreckte sich auch auf Fälle, wo die betroffene Frau zur Zeit der Tat minderjährig war.

Anschauliches Material

Neben einem Geleitwort seines Kollegen Carlo Greppi hat auch der Übersetzer Winfried Roth noch ein Nachwort beigesteuert, welches Mussolinis Aufstieg nachzeichnet und historisch einordnet. Eine ergänzende Zeittafel erleichtert zudem den Überblick.

Die Übersetzung von Filippis »Handbuch« füllt eine Lücke in der Auseinandersetzung mit dem italienischen (Neo-)Faschismus, da die Mythen über die Vergangenheit die Gegenwart beeinflussen und eine Legitimationsgrundlage schaffen für (post-)faschistische Parteien. Die hier widerlegten Mythen an sich geistern auch durch die deutsche Debatte über den italienischen Faschismus.