Aufräumen mit einem Mythos
29. April 2023
Garantin einer rechtsstaatlichen Ordnung? Zwei Bücher zur Polizei
Keine staatliche Institution besitzt bei regelmäßigen Umfragen ein höheres Ansehen als die Polizei. Dennoch werden die Berufsverbände der Polizist*innen nicht müde zu beklagen, dass der Polizei nicht mit der genügenden Achtung begegnet wird und bedauerliches Fehlverhalten einzelner Beamt*innen zu einem Generalverdacht gegen die Polizei aufgebauscht werde. Dabei, so besonders die beiden großen Berufsverbände GdP und DPolG, bilde die Polizei doch jene »dünne blaue Linie«, die zwischen der rechtsstaatlichen Ordnung und dem Chaos stünde.
Konservativer als Mehrheitsgesellschaft
Benjamin Derin, Rechtsanwalt in Berlin und Redakteur der Zeitschrift Bürgerrechte und Polizei sowie Tobias Singelnstein, Polizeiforscher und Professor für Kriminologie in Frankfurt am Main, haben in ihrem Buch »Die Polizei« Geschichte, Aufgaben und Zustände der Polizei in der Bundesrepublik analysiert. Sie räumen mit dem Mythos auf, dass die Polizei die Gesellschaft widerspiegele, und weisen darauf hin, dass das Personal immer noch überwiegend weißer, männlicher, konservativer und heterosexueller als die tatsächliche Mehrheitsgesellschaft ist. Wenn die Polizei also die Gesellschaft vor dem Chaos zu schützen meint, ist damit immer auch eine Vorstellung von Gesellschaft verbunden, die den Realitäten längst nicht mehr entspricht. Auch deshalb finde man unter Polizist*innen stärker als in der Gesamtgesellschaft hohe Sympathiewerte für die AfD. Eine demokratische Polizei, so die Autoren, muss aber auch die Polizei der Abweichenden, der Minderheiten und der Randgruppen sein.
Die Studie beschreibt, dass der Polizei vonseiten der politischen Entscheidungsträger*innen immer mehr Aufgaben übertragen werden, deren Gegenstand soziale Probleme sind, für die ihre Beamt*innen nicht ausgebildet sind. Einen breiten Raum nimmt die Darstellung einer fehlenden demokratischen Kontrolle der Polizei ein. Während selbst Bundeswehr und Geheimdienste – wenn auch kaum zureichend – durch parlamentarische Beauftragte kontrolliert werden, widersetzen sich die Berufsverbände der Polizist*innen, die für sich in Anspruch nehmen, für die Institution »Polizei« zu sprechen, jeglicher Kontrolle von außen. Im Gegenteil verlangten sie, dass die Polizei als vermeintliche Garantin einer rechtsstaatlichen Ordnung der rechtsstaatlichen Kontrolle durch Gerichte und Parlamente möglichst entzogen wird, da jede andere Herangehensweise eben Ausdruck eines Generalverdachts gegen die Polizei sei. Auf diese Weise stelle »die Polizei« den demokratischen Rechtsstaat und die Gewaltenteilung infrage – statt des Polizeistaats also die Polizei über dem Staat.
Derin/Singelnstein beschreiben in ihrem Buch die mangelnde Fähigkeit der Polizeibehörden, mit gesetzeswidrigem Verhalten von Polizist*innen umzugehen – einschließlich der faktischen Duldung durch Gerichte und Staatsanwaltschaften. Ebenso setzen sie sich mit einer Cop Culture auseinander, die aufgrund vermeintlich allgemeiner Erfahrungen und eines Korpsgeistes institutionellen Rassismus ebenso wie die Weiterführung des »Racial Profiling« ermöglicht. Der jüngst veröffentlichte Entwurf des Koalitionsvertrages zwischen CDU und SPD in Berlin nimmt dann auch nicht mehr diesen verpönten Begriff, sondern schreibt: »Verhaltensbezogene Kontrollen aufgrund kriminalistischer oder polizeilicher Erfahrungswerte bleiben unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote zulässig«.
Erfahrungen aus konkreter Polizeiarbeit
Wo Derin/Singelnstein bundesweit die Polizei untersucht haben, hat der Berliner Polizist und Gründer der Initiative »#BetterPolice«, Oliver von Dobrowolski, in seinem Buch »Ich kämpfe für eine bessere Polizei« seine Erfahrungen aus der konkreten Polizeiarbeit und dem Umgang mit seiner Kritik in der Behörde sowie im Kolleg*innenkreis dargestellt. Dazu gehören rassistischer Sprachgebrauch im Polizeialltag ebenso wie die Anstrengungen, mithilfe von Social Media die polizeiliche Weltsicht unmittelbar und ohne kritische Filterung durch die Presse bekanntzumachen. Auch er setzt sich kritisch mit der Lobbyarbeit der Polizeigewerkschaften auseinander. Und er musste nach seinen ersten Interviews und Veröffentlichungen erfahren, dass seine Kolleg*innen ihn als »Nestbeschmutzer«, »Verräter« oder »Gefährder der Demokratie« bezeichneten.
Wo Derin/Singelnstein aus wissenschaftlicher Sicht die Polizei analysieren, kommt von Dobrowolski aus seinen alltäglichen Erfahrungen häufig zu ähnlichen Ergebnissen und schildert, wie er in seinem Widerstand gegen die Cop Culture Angriffe von Kolleg*innen erleben musste. Beide Bücher sind auch für Nichtjurist*innen gut lesbar. Und wenn auch die Autoren eine völlige Abschaffung der Polizei als nicht gewünscht oder realistisch erreichbar ansehen, sind sie dem Konzept von »defund the police«, also der Umverteilung von polizeibezogenen Haushaltsmitteln auf soziale Arbeit, aufgeschlossen.
Oliver von Dobrowolski: »Ich kämpfe für eine bessere Polizei«. S. Fischer, Frankfurt/M. 2022, 240 Seiten, 18 Euro
Faeser für »null Toleranz«
Innenministerin Nancy Faeser plädiert für eine Überprüfung der Aus- und Fortbildung von PolizistInnen. Zum Zwischenbericht einer Polizeistudie im April betonte Faeser, dass es »null Toleranz gegenüber Rechtsextremismus, Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit« geben dürfe. Die Befragung von ca. 50.000 PolizistInnen im Rahmen der Studie zeigte, dass ein nicht unerheblicher Anteil sich ambivalent in Fragen Demokratie und Diversität zeigte. Es gebe auch Beamte, die ein »konsistent menschen- und demokratie-feindliches Weltbild« aufwiesen. (red.)