Die Gleichschaltung
29. April 2023
Schaffung kriegsbereiter »Volksgemeinschaft«: Der Weg zur Macht (Teil 5 u. Ende)
Nach Notverordnungen und Selbstentmachtung des Parlaments in der Weimarer Republik ging es im nächsten Schritt darum, die ideologische und politische Gleichschaltung der Gesellschaft durchzusetzen. Die Schaffung einer kriegsbereiten »Volksgemeinschaft« setzte voraus, dass die ideologischen Vorgaben auch von der Bevölkerung angenommen wurden. Eine zentrale Rolle spielte dabei das Reichspropagandaministerium unter Goebbels. Hier wurden nicht nur öffentliche Inszenierungen gesteuert, sondern auch die mediale Darstellung durch Pressebriefings vereinheitlicht. Nach dem Verbot der Arbeiterpresse wurden Zeitungen und Rundfunk seit dem 1. Juli 1933 auf täglichen Reichspressekonferenzen detaillierte Anweisungen für die Berichterstattung gegeben.
Der Gleichschaltung diente auch der »Boykottaktionstag«, das antisemitische Pogrom am 1. April 1933. Am 30. März 1933 wurden per Rundschreiben alle Gliederungen der NSDAP aufgefordert, Aktionskomitees »zur praktischen, planmäßigen Durchführung des Boykotts jüdischer Geschäfte, Waren, Ärzte und Rechtsanwälte« zu bilden. SA-Leute postierten sich vor den Eingängen jüdischer Kaufhäuser, Kanzleien und Arztpraxen. Mit weißer Farbe wurden Losungen wie »Kauft nicht bei Juden!« oder »Juda verrecke!« auf Schaufenster geschmiert – dokumentiert durch Kameras für die »Wochenschau« – und Kunden daran gehindert, die Geschäfte zu betreten. Der Boykott selbst fand an einem Samstag statt, so dass Geschäfte orthodoxer Juden wegen des Sabbat-Gebotes geschlossen waren bzw. nur die nicht jüdischen Angestellten das Geschäft geöffnet hatten. Diese Aktionen zielten damit weniger auf die jüdischen Inhaber, als vielmehr auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Den Nazianhängern signalisierte man, wie die jüdische Konkurrenz ausgeschaltet werden sollte, während man Indifferenten oder Gegnern öffentlich zeigte, dass ein »Umgang mit Juden« in diesem Deutschland nicht mehr erwünscht ist.
Teil der politischen Gleichschaltung war auch die Inszenierung des 1. Mai, des Kampftags der Arbeiterbewegung, als »Tag der nationalen Arbeit«. Die Maifeiern wurden 1933 von der NSBO1 als propagandistische Großveranstaltungen vorbereitet. In Berlin gab es zwei Aufmärsche, am Vormittag die »Jugendkundgebung« im Lustgarten und am Nachmittag den Massenaufmarsch mit zehntausenden Teilnehmenden auf dem Tempelhofer Feld. Der »Baumeister des Führers« Albert Speer hatte extra für diesen Aufmarsch eine beeindruckende Kulisse entworfen. Der ADGB2 hatte seine Mitglieder zur Teilnahme aufgerufen, jedoch ohne Gewerkschaftsfahnen oder andere Insignien der Arbeiterbewegung. Die Arbeiter mussten nach von der NSBO vorgegebenen Berufsgruppen aufmarschieren.
Zur ideologischen Gleichschaltung gehörte die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 (siehe Seite 23) in allen Universitätsstädten, mit der NS-kritische Literatur sowie die Werke marxistischer und jüdischer Autorinnen und Autoren – sogenannte undeutsche Literatur – aus dem akademischen und öffentlichen Raum verbannt werden sollten. In Berlin wurden am Abend des 10. Mai 25.000 Bücher marxistischer, pazifistischer, liberaler und jüdischer Autoren auf dem Opernplatz (ab 1947 August-Bebel-Platz) verbrannt. Eskortiert von berittener Polizei marschierten Mitglieder des NS-Studentenbundes, Korporationsstudenten in ihrem Couleur, Professoren in Talaren, Verbände der SA, SS und Hitlerjugend sowie Mitglieder des »Kampfbundes für deutsche Kultur« durch das Brandenburger Tor zum Opernplatz. Mit »Feuersprüchen« wurden die Bücher auf einen Scheiterhaufen geworfen.
Zur politischen Gleichschaltung wurde per Gesetz im Juli 1933 der »Parteienzwist« aufgehoben, indem mit dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien der Einparteienstaat etabliert wurde. Nach dem SPD-Verbot am 22. Juni 1933 lösten sich bis Juli 1933 alle bürgerlichen Parteien selbst auf. Die meisten gewählten Abgeordneten blieben im Reichstag und schlossen sich dort der NSDAP an.
Für eine gesellschaftliche Gleichschaltung musste auch die Alltagskultur, vor allem das Vereinsleben erfasst werden. Sportvereine, Kultur-, Gesangs- und Geselligkeitsvereine prägten besonders im ländlichen und kleinstädtischen Milieu die Lebenswirklichkeit vieler Menschen. Während Vereine der Arbeiterbewegung wie Naturfreunde, Arbeitersport oder Arbeiterwohlfahrt aufgelöst und verboten wurden, fand gleichzeitig eine Gleichschaltung des bürgerlichen Vereinswesens statt. Ohne dass es verbindlicher Richtlinien bedurfte, setzten die Vereine zwei Dinge um: Erstens wurde in fast allen Vereinen ein sogenannter Arier-Paragraf eingeführt, der die Mitgliedschaft von »Juden« in bürgerlichen Vereinen untersagte. Zweitens wurde das »Führerprinzip« eingeführt und ein Mitglied der NSDAP zum »Vereinsführer« bestimmt. Diese Selbstgleichschaltung war oft mit der Hoffnung verbunden, von der Auflösung konkurrierender Vereine profitieren zu können.
Mit all diesen Maßnahmen sollte die Illusion einer »Volksgemeinschaft« geschaffen werden, bei der nicht-konforme Gruppen oder Verhaltensweisen als »Volksfeinde« ausgegrenzt und verfolgt werden konnten.
Der Weg ins »Dritte Reich« begann nicht am 30. Januar 1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, sondern lange vorher in der Weimarer Zeit, als mit dem Abbau sozialer und politischer Rechte die Voraussetzungen für eine faschistische Krisenlösung geschaffen wurden. In fünf Ausgaben der
antifa soll an einige dieser Markierungspunkte erinnert werden, Voraussetzungen zur Machteinsetzung und zur Machtetablierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland. Die Teile 1, 2, 3 und 4 dieser fünfteiligen Serie erschienen seit September 2022.
1 NSBO – Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation
2 ADGB – Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund