Fotografie im Holocaust
11. Juli 2023
Ausstellung auch mit Dokumenten jüdischer Fotografen in den Ghettos
Wenn die Zeitzeugen verstummen, können Dokumente und Aufarbeitungen zu geschichtlichen Ereignissen hilfreich sein. Dazu zählen auch Fotodokumente, die zugleich viel über die Fotografen erzählen. Die aktuell in Berlin gezeigte Ausstellung zur Fotografie im Holocaust fokussiert auf die besondere künstlerische Form und Aussagekraft dieser Kunst. Tatsächlich erkennt man den Blick der Fotografen und auch der Filmemacher von Filmen, die in der Exposition zusätzlich gezeigt werden. Ob es die Szenen aus dem Olympiafilm »Die Götter des Stadions« von Leni Riefenstahl sind oder die Ausschnitte aus dem Billy-Wilder-Film »Death Mills« (»Die Todesmühlen«), einer Dokumentation über die nach der Befreiung vorgefundenen Konzentrationslager und ihre Opfer. Ersterer sollte den Mythos vom überlegenen »arischen« Sportler stärken, letzterer der Dokumentation, der Anklage der Kriegsverbrecher und der Umerziehung der Deutschen dienen, wie beispielhaft zur suggestiven Wirkung von Fotos in der Ausstellung gezeigt wird. In einem Zeitstrahl wird die Geschichte dieses neuen Mediums Film den Besuchern in Erinnerung gebracht. Doch schon fällt der Blick auf zahlreiche beleuchtete Vitrinen mit einer Unmenge unsortierter Fotos über den Holocaust, seine Täter und Opfer, sozusagen als Gesamteindruck.
Fotos vom »Rassenkrieg«
Für die Nazis spielte die Manipulation mit den Medien Film und Fotografie eine besondere Rolle. Fotos sollten Ideologieträger sein, oder sie wurden es. Etwa wenn Wehrmachtssoldaten in den Ghettos Fotos von verhungernden oder toten Kindern machten, eine Mutter und halb verhungerte Kinder in zerlumpter Kleidung an einer Hauswand zeigen. Ein Fotoalbum aus dem Warschauer Ghetto wird deutlicher, untertitelt mit: Ein Kulturdokument für Adolf Hitler. Klischeebilder von sogenannten Ostjuden werden mit antisemitischen Attributen wie »Heuschreckenschwärme«, »jüdische Gauner« oder »Auswurf« kommentiert. Wenig rätselhaft sind die antisemitischen Szenen auf dem Kölner Karneval, die Vorführung und Demütigung verhafteter Juden und die flächendeckende Stürmer-Propaganda mit antisemitischen Kommentaren, Karikaturen und Fotos. Schließlich liefern Propagandakompanien aus den Ghettos Fotos und Filme wie im Propagandafilm »Der Jude«, in denen Gesichtsausdrücke oder körperliche Merkmale einer vermeintlich minderwertigen jüdischen »Rasse« herausgehoben werden. Juden werden während der Zwangsarbeit gezeigt, im Kuhstall, in einer Schreinerei, in einer Nähstube – angeblich um gemeinnützig arbeiten zu lernen, wie die Aufnahmen im Warschauer Ghetto kommentiert werden.
Im Gegensatz zu den Deutschen, war Juden der Besitz von Fotoapparaten verboten. Es existieren Aufnahmen von Juden, die im Ghetto im offiziellen Auftrag fotografierten. Henryk Ross und Mendel Grossman sollten dem Judenrat im Ghetto Lodz, damals Litzmannstadt, die effiziente Führung des Ghettos und seinen ökonomischen Nutzen dokumentieren, um die Ghettos möglichst vor der Liquidierung zu bewahren. Unter Lebensgefahr fotografierten sie heimlich den Alltag und das Leid im Ghetto. Seine Schwester und seine Neffen fotografierte Grossman über einen Teller Suppe gebeugt, Kinder beim Spielen, selbstbewusst wirkende Mitglieder einer Jugendgruppe. Er versteckte die Fotos und starb selbst auf dem Todesmarsch. Henryk Ross demonstrierte nach dem Krieg, wie er, in seinem Mantel verborgen, verdeckt das Leben im Lager dokumentierte, dabei ständig vom Tod bedroht.
Kriegsverbrechen dokumentiert
Die Alliierten dokumentierten die Situation in den von ihnen befreiten KZs ebenfalls mit Fotos und Filmen. Professionelle Fotografen waren daran beteiligt, ebenso wie einfache Soldaten, die zur Dokumentation des Grauens ermutigt wurden. Die Aufnahmen sollten für die bevorstehenden Kriegsverbrecherprozesse genutzt werden. Die Deutschen sollten mit den Gräueltaten konfrontiert, ihre Rückkehr zur Demokratie gefördert werden. Es ging auch darum, die moralische Überlegenheit der Alliierten gegenüber der eigenen Bevölkerung herauszustellen, Mobilmachung und hunderttausende gefallene Soldaten zu rechtfertigen. Fotografen dokumentierten vielfach, wie Deutsche die Opfer würdevoll einzeln beerdigen mussten. Nicht immer war der Umgang mit den Opfern angemessen, wie das Zusammenschieben von Leichen durch Bulldozer zeigt. Mitunter wurden Szenen nachgestellt, wie die von der Befreiung von Auschwitz durch sowjetische Soldaten. Vieles davon gehört heute zum kollektiven Gedächtnis über den Holocaust und hat sich in unsere Erinnerung eingebrannt.