Pilgerstätte für »Weiße«
11. Juli 2023
Rechte nutzen Kulisse des Hambacher Schlosses für Hetze
Am 28. Mai fand an und auf dem Hambacher Schloss eine Versammlung von OrganisatorInnen aus dem »Querdenker«-Spektrum statt. Unter dem Motto: »Deutschland steht auf« zogen 2.800 überwiegend in Weiß gekleidete Menschen Richtung Schloss. An der Kundgebung im Schlosshof nahmen 1.500 Personen teil. Organisiert wurde der Aufzug von Dr. Wolfgang Kochanek. Eben dieser Kochanek hatte eine Woche zuvor auf einer von »Querdenkern« veranstalteten Kundgebung in Stuttgart die deutsche Justiz mit dem Nazirichter Roland Freisler verglichen. Außerdem verglich er die BRD mit dem Mullahregime im Iran. Bereits 2022 hatten 3.000 in Weiß gekleidete Menschen das gleichzeitig stattfindende Demokratiefest gestört.
»Wiege der Demokratie«?
Das Hambacher Schloss gilt als »Wiege der Demokratie« in Deutschland. Alle zwei Jahre findet eine dreitägige Demokratiefeier anlässlich des Hambacher Festes von 1832 statt. Damals zogen circa 25.000 Menschen zum Hambacher Schloss und forderten Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und die Gleichberechtigung der Frauen. Auf dem Hambacher Schloss wird deshalb noch heute der Anfänge einer modernen Demokratie gedacht.
Anlass des Hambacher Festes von 1832 war die Unzufriedenheit der pfälzischen Bevölkerung über Repressionsmaßnahmen der bayerischen Verwaltung. Diese hatte in den Jahren nach 1816 wichtige Errungenschaften revidiert, die der Bevölkerung in der Zeit der Zugehörigkeit zu Frankreich gewährt worden waren. Nachdem die bayerische Obrigkeit eine strenge Zensur eingeführt und politische Kundgebungen verboten hatte, gaben die Organisatoren die Veranstaltung als »Volksfest« aus. Die Pfälzer fanden Unterstützung bei zahlreichen anderen Bevölkerungsgruppen und Einzelpersonen.
Im Jahr 2023 fand kein offizielles Fest statt, so hatte das »Querdenker-Milieu« die gesamte Kulisse für sich – diese wurde auch genutzt. Ursprünglich war die Demonstration »der Weißen« dieses Jahr aus Sicherheitsgründen verboten. Laut Oberbürgermeister Marc Weigel (Freie Wählergruppe) böten die schmalen Gassen keine ausreichenden Flucht- und Rettungswege. Der Veranstalter hatte 10.000 TeilnehmerInnen angemeldet. Gekommen sind dann weitaus weniger.
Dem bis vor kurzem noch in Stuttgart-Stammheim wegen des Verdachts der Geldwäsche und des Betruges inhaftierten Gründer der Querdenker711-Bewegung, Michael Ballweg, wurde diesmal ein »Demokratiepreis der Unternehmer und Selbstständigen Deutschlands« verliehen. Der ist auf 10.000 Euro dotiert und wurde gestiftet von Markus Krall, der von September 2019 bis November 2022 Mitglied und Sprecher der Geschäftsführung der Degussa Goldhandel GmbH war. Viele BürgerInnen und auch die Stiftung des Schlosses machten mit Transparenten und Kreideschriftzügen deutlich, was sie von der rechten Vereinnahmung des Schlosses hielten. So war mehrfach zu lesen: »Hambach ist bunt« und »Setzen wir dem weißen Spuk ein Ende«.
»Weißer Spuk«
Auch eine Gruppe von etwa 100 AntifaschistInnen bezog Stellung gegen diesen »weißen Spuk«, der vielfach aus Personen des »Querdenker«-Spektrums bestand. Neben Kochanek war auch der frühere Chef der »Werteunion«, Max Otte, der für die AfD zur Wahl des Bundespräsidenten kandidierte, vor Ort; Otte war 2018 auch Anmelder der Demo.
In einer ausführlichen Stellungnahme der Stadtratsfraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen hieß es unter anderem : »Wir sehen mit Sorge, dass sich Neustadt und das Hambacher Schloss seit 2018 zu einer neuen ›Pilgerstätte‹ demokratie-feindlicher, rechtspopulistischer bis rechtsextremer Strömungen entwickelt.« Die politische Auseinandersetzung mit allen Interessensgruppen sei wichtig. Zudem würden durch den Verein »Die Weißen« keine konstruktiven Vorschläge für unsere Gesellschaft präsentiert. Die Sprache der »Weißen« sei mit Formulierungen, dass Mitarbeitende der Stiftung Hambacher Schloss »entsorgt« gehörten und in Deutschland »Staatsterror« herrsche, in einem demokratischen Diskurs nicht mehr akzeptabel, hieß es in der Erklärung.
Kritisiert wird insbesondere der vom Organisator des »weißen« Demonstrationszugs, Wolfgang Kochanek, eingeladene Markus Krall. Krall setze sich für ein Klassenwahlrecht und die Einführung eines (Wahl-)Königs mit ausgeprägten Vetorechten ein. Dies sei eindeutig gegen das Grundgesetz und alle Prinzipien der Hambacher Demokratie-Idee gerichtet, hieß es weiter.
Die Stiftung Hambacher Schloss hatte sich im Vorfeld bereits von der Kundgebung distanziert, da sie darin eine unzulässige Vereinnahmung des Hambacher Festes sah. So hieß es in deren Pressemitteilung: »Die Stiftung Hambacher Schloss verurteilt jegliche Versuche, unseren freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat durch Verschwörungstheorien, systematische Falschinformationen oder unverantwortliche historische Vergleiche zu delegitimieren.«