Vermächtnis der Geretteten
11. Juli 2023
Antifaschistische Kultur: Eine politische Biografie von Nico Rost
Seit einigen Jahren sind die Themen Antifaschismus und die Geschichte antifaschistischer Verbände zunehmend Gegenstand akademischer Betrachtung. Mit dem Verschwinden der Zeitzeugengeneration, die in ihrer Person beide Themen verkörperten, gibt es eine höhere Nachfrage nach derlei Beiträgen.
An sich ist das begrüßenswert, jedoch ist oftmals das Fehlen der Zeitzeugen als vermittelndes Korrektiv in solchen Arbeiten festzustellen. Nur wenn eine Person genügend Materialien und Originaltexte hinterlassen hat, gelingt eine solche Aufarbeitung. Ein gutes Beispiel dafür ist die Doktorarbeit von Markus Wegewitz zu Nicolaas Rost, einem niederländischen Künstler und ehemaligen Dachau-Häftling, der bis zu seinem Tod zahlreiche Veröffentlichungen über seine Verfolgungserfahrungen, aber auch sein Grundverständnis von Antifaschismus vorgelegt hat. Mit dem Ergebnis, dass der Autor mit seiner Studie »anhand des Lebens eines individuellen Akteurs soziale Kontexte, Ideenwelten, organisatorische Zugehörigkeiten und Diskurse des Antifaschismus im 20. Jahrhundert« zu erschließen versucht. (S. 18)
Nachdem Wegewitz in der Einleitung einen Überblick über die akademische Debatte des »Antifaschismus« vorgelegt hat, die jedoch die reale Bewegung und ihre Diskurse ausblendet, gliedert er die Biografie in sechs Kapitel, in denen er einerseits die politische Entwicklung von Rost behandelt, gleichzeitig die Bedeutung des antifaschistischen Umfeldes, das sich in unterschiedlichen organisatorischen und ideologischen Ebenen zeigt, dafür untersucht. Der biografische Ansatz ermöglicht es, die Zeit vor der Errichtung der Naziherrschaft in Deutschland, die Phase des antifaschistischen Kampfes bis zur Verhaftung, die Erfahrung der KZ-Haft in s’Hertogenbosch und in Dachau sowie die Nachkriegsentwicklung in den Blick zu nehmen. Besonders interessant sind die beiden letzten Kapitel, in denen über Rosts Engagement für die Errichtung einer angemessenen Gedenkstätte am Ort des ehemaligen KZ Dachau berichtet wird und seine Zeitzeugenarbeit, die geprägt war von seiner Überzeugung, wie es in der Kapitelüberschrift heißt: »Der deutsche Nationalsozialismus ist nämlich bis heute nicht ausgerottet.«
Gerade in Auseinandersetzung mit der verdrängten Geschichte des KZ Dachau setzte sich Nico Rost mit großem Engagement dafür ein, dass Shoah und Genozid an Sinti und Roma einen angemessenen Platz in der geschichtlichen Erinnerung bekommen. Beeindruckend, wie Rost es geschafft hat, die Dimension der Verbrechen gegen die jüdischen Häftlinge an einem anschaulichen Beispiel so zu entwickeln, dass einerseits der individuelle Terror – ausgehend von der Brutalität der SS – und gleichzeitig die Grundhaltung der Entmenschlichung für den Zuhörer bzw. Leser sichtbar wurde. (S. 391)
Wegewitz betont, dass Rost und seine Mitstreiter in diesem Handeln Maßstäbe historischer Gerechtigkeit entwickelten, »die sie gegen den Widerstand insbesondere der deutschen Nachkriegsgesellschaften durchzusetzen versuchten«. Interessant ist Rosts politischer Weg, der ihn durch seine Kritik an den Ereignissen in Ungarn 1956 von der DDR kommend zu einem »heimatlosen Linken« in der BRD machte. Trotz dieser Abgrenzung von früheren politischen Weggefährten ist es auffällig, dass er gleichzeitig den Kontakt zu seinen Mithäftlingen von Dachau aufrechterhielt. Diese Gemeinschaft zerbrach nicht vor dem Hintergrund der politischen Konflikte.
Der Rezensent hat den Eindruck, dass es dem Autor nur unzureichend gelingt, einen empathischen Bezug zur Gedankenwelt des Protagonisten zu entwickeln. So kritisiert dieser, dass die Antifaschisten in Deutschlands Nachbarländern den Emigranten nicht zugehört hätten und erst angesichts der »nagelbewehrten Soldatenstiefel« mit der Einsicht konfrontiert worden seien, »dass sie gegen die deutsche Zwangsherrschaft mit ungleichen Waffen kämpften«. (S. 146) Als seien die niederländischen Antifaschisten politisch blauäugig mit der Wirklichkeit des deutschen Faschismus umgegangen. Für deutsche Antifaschisten im Exil findet er die Begrifflichkeiten: »Beharrlichkeit, oft auch liebgewonnene Illusionen und Ideologeme«, die ihre Haltung prägten, als hätten sie schon 1940 die analytische Klarheit haben können, die nach dem Ende der NS-Herrschaft die Erkenntnis ermöglicht hatte. Etwas irritierend ist sein Bild der Zeitzeugengeneration in ihrer gesellschaftlichen Wirkung. Aus seiner Sicht sei die Studentenbewegung der 1968er-Jahre die entscheidende Zäsur für den Antifaschismus gewesen, nicht nur dadurch, dass nachgeborene Generationen begannen, die Lebenslügen der Mehrheitsgesellschaft in Frage zu stellen, sondern »im politischen Aktivismus verschwanden die Menschen, die die Mobilisierung gegen die faschistische Bedrohung in der Zwischenkriegszeit noch selber getragen hatten und den Machtantritt des Nationalsozialismus zu ihren Erfahrungen zählen konnten«. (S. 394) Der Rezensent hat erlebt, wie diese Generation noch bis ins 21. Jahrhundert die Entwicklung des Antifaschismus in der VVN-BdA und im bündnispolitischen Umfeld geprägt hatte.
Ungeachtet solcher Kritik ist die Arbeit von Wegewitz eine verdienstvolle Studie, die dem Vermächtnis der Überlebenden verbunden ist, dass Antifaschismus als Versprechen des politisch organisierten Humanismus auch heute noch Geltung beanspruchen könne. (S. 404)