Täter war bereit zu töten

14. September 2023

Solidarität mit Opfern rechter Gewalt. Gespräch mit Sonja Petersen

antifa: Stellt euer Bündnis bitte kurz vor. Welche Aktionen habt ihr bisher durchgeführt?

Sonja Petersen: Das Bündnis besteht seit knapp einem Jahr, in ihm sind antifaschistische Gruppen aus Schleswig-Holstein und Hamburg vernetzt. Neben einer Demonstration im Juni dieses Jahres in Henstedt-Ulzburg haben wir mittlerweile europaweit Informationsveranstaltungen zur rechten Autoattacke vom 17. Oktober 2020 durchgeführt. Seit Prozessbeginn begleiten wir die Verhandlungen kontinuierlich als Beobachter*innen im Gerichtssaal und organisieren unregelmäßig immer wieder auch antifaschistische Kundgebungen davor.

antifa: Der Angriff wurde in Pressemeldungen als Verkehrsunfall verharmlost und die politische Motivation größtenteils außen vor gelassen. Wie habt ihr diese Entwicklung wahrgenommen, und hat sich daran seit Prozessbeginn etwas geändert?

Sonja: Schon bevor wir uns als Bündnis zusammengefunden haben, wurde von Antifaschist*innen unter dem Motto »Henstedt-Ulzburg – Das war kein Unfall« zu dem Anschlag gearbeitet. Durch die dabei veröffentlichten Recherchen zum rechten Hintergrund des Täters, aber auch durch Zeug*innenaussagen bei der Polizei, konnte die Staatsanwaltschaft gar nicht anders, als die Tat als versuchtes Tötungsdelikt anzuklagen. Unabhängig davon gab es gleich zu Prozessbeginn durch die Verteidigung des Täters den Versuch, eine politische Motivation abzusprechen und den Angriff als »Panikreaktion« darzustellen. Wirklich überzeugend war dies jedoch nicht. Wir erwarten vom Gericht weiterhin die Einordnung der Autoattacke als Tat eines rechten und rassistischen Täters, der aus ideologischen Motiven heraus potentiell bereit war, für seine Überzeugungen zu töten. Und genau dies wäre auch ein wichtiges Signal an die als Nebenkläger*innen im Prozess beteiligten Betroffenen, für die nicht nur die Verhandlungstage extrem anstrengend und emotional belastend sind. Der Tötungsversuch hat bei allen einschneidende Spuren hinterlassen und den Alltag zum Teil stark verändert. Noch heute kämpfen sie sowohl mit psychischen als auch physischen Folgen.

Am 17. Oktober 2020 demonstrierten rund 200 Personen gegen eine AfD-Veranstaltung im Bürgerhaus in Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein). Nach dessen Ende fuhr das damalige AfD-Mitglied Melvin Schwede mit seinem Pkw gezielt in eine Gruppe Antifaschist*innen, die sich auf dem Gehweg befand. Vier Personen wurden durch diese Autoattacke zum Teil schwer verletzt. Am 3. Juli 2023 nun begann vor dem Landgericht Kiel der Prozess wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr. Das antifaschistische »Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg« bemüht sich seither um Öffentlichkeit und Solidarität. Wir interviewten deren Sprecherin.

Am 17. Oktober 2020 demonstrierten rund 200 Personen gegen eine AfD-Veranstaltung im Bürgerhaus in Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein). Nach dessen Ende fuhr das damalige AfD-Mitglied Melvin Schwede mit seinem Pkw gezielt in eine Gruppe Antifaschist*innen, die sich auf dem Gehweg befand. Vier Personen wurden durch diese Autoattacke zum Teil schwer verletzt. Am 3. Juli 2023 nun begann vor dem Landgericht Kiel der Prozess wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr. Das antifaschistische »Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg« bemüht sich seither um Öffentlichkeit und Solidarität. Wir interviewten deren Sprecherin.

antifa: Melvin Schwede selbst ist mittlerweile aus der AfD ausgetreten, doch welche Rolle spielt die Partei in diesem Komplex?

Sonja: Der Täter war zum Tatzeitpunkt AfD-Mitglied und über soziale Medien nicht nur in die rechte Szene eingebunden, sondern auch in Kontakt mit dem bundesweit bekannten AfD-Funktionär Julian Flak aus Kaltenkirchen. Beim Mitfahrer von Melvin Schwede am Tattag handelte es sich um Julian R. – ein Freund, mit dem er zusammen AfD-Veranstaltungen und Stammtische der Partei besuchte. Julian R. sieht in dem Täter einen »Helden« und traf sich nach der Tat extra mit Julian Flak, um ihm zu berichten. Flak selbst versuchte dann im Nachgang mit Flugblättern, in denen ein »Antifa-Verbot« gefordert wird, Stimmung gegen die Proteste in der Region zu machen und bediente sich mit Blick auf die Autoattacke einer üblichen Täter-Opfer-Umkehr. Die AfD, aber auch ihre Jugendorganisation »Junge Alternative«, die JA, beklagen immer wieder die antifaschistischen Aktivitäten gegen ihre Parteistrukturen in Schleswig-Holstein. Dass sie bereit sind, gegen dieses Engagement auch gewalttätig vorzugehen, zeigt nicht nur die nun vor Gericht verhandelte Autoattacke. Größere Aufmerksamkeit erlangte zuletzt etwa ein von der JA Schleswig-Holstein durchgeführtes »Boxtraining«. Angeleitet wurde das Ganze von einem Mitglied der neonazistischen Gruppierung »Junge Tat« aus der Schweiz.

antifa: Hat die Gemeinde Henstedt-Ulzburg Konsequenzen aus diesen Vorfällen gezogen, oder stehen der AfD weiterhin Räume zur Verfügung?

Sonja: Tatsächlich kann die AfD weiterhin das Bürgerhaus nutzen und will im September ihren Landesparteitag in den Räumen durchführen. Die Gemeinde hat angesichts des aktuellen Gerichtsprozesses halbherzig versucht, die Raumvergabe an die AfD auf juristischem Wege zu verhindern, ist damit allerdings gescheitert. Anstatt den Weg konsequent weiterzugehen und die nächste Instanz anzurufen, wird Henstedt-Ulzburg wieder einmal Austragungsort einer extrem rechten Veranstaltung. Deutlich wird daran aber auch, dass Antifa Handarbeit bleibt!

antifa: Welche Möglichkeiten gibt es, euch und die verletzten Antifaschist*innen zu unterstützen?

Sonja: Ganz generell gilt es, den Handlungsspielraum der AfD und anderer extrem rechter Akteur*innen konsequent einzuschränken. Eine ganz konkrete Möglichkeit dazu bietet sich bei dem bereits angesprochenen Landesparteitag der AfD in Henstedt-Ulzburg. Dieser soll am 16. September stattfinden und wird definitiv nicht ohne antifaschistische Proteste über die Bühne gehen. Ansonsten freuen wir uns immer über Unterstützung und Anwesenheit auf den Kundgebungen vor dem Landgericht in Kiel. Informationen dazu finden sich auf unseren Online-Auftritten. Dort gibt es außerdem eine Menge solidarischer Statements von verschiedensten Gruppen und Aktivist*innen, die gerne verbreitet werden können.

Das Gespräch führten Ulrich Peters (Berlin) und Emil Meyer (Hamburg)

Mehr Informationen:

tatorthenstedtulzburg.noblogs.org