Aspekte, die oft untergehen
5. November 2023
Ein Gespräch mit Jochen Vogler von R-mediabase, Verband für kritischen Bildjournalismus
antifa: R-mediabase ist ein »Verband für kritischen Bildjournalismus«. Was können wir uns darunter vorstellen?
Jochen Vogler: Wir verstehen uns als nichtprofessioneller Fotoverband, dessen Mitglieder bei gesellschaftspolitischen Ereignissen fotografieren, die sonst weitgehend unbeachtet bleiben. Es sind in der Regel keine Auftragsarbeiten. Die Auswahl der Ereignisse richtet sich nach den jeweiligen Interessen der Fotograf:innen im Verein. Dabei stellen wir unsere Fotos veranstaltenden Organisationen günstig zur Verfügung. Die Vereinsgründung erfolgte hauptsächlich durch ehemalige Mitglieder des Verbandes Arbeiterfotografie als Alternativprojekt zur Arbeiterfotografie aufgrund zunehmender unüberbrückbarer politischer Differenzen. Die hauptsächlichen Aktivisten der Arbeiterfotografie vertreten inzwischen öffentlich die Partei dieBasis. Neben dem Onlinefotoportal haben wir nunmehr drei Ausstellungen erstellt, aktuell eine zu den Protesten im Rheinischen Braunkohlerevier – »Lützerath lebt weiter«.
antifa: Laut eurer Satzung steht ihr in der »Tradi-tion kritischer Gesellschaftsanalyse und der Herstellung von Gegenöffentlichkeit«. Aus welcher (kritischen) Richtung nähert ihr euch der Gesellschaft? Wie kann eure Arbeit helfen, eine andere Analyse der Wirklichkeit zu ermöglichen?
J. V.: Das fotografische Interesse unserer Mitglieder hat einen gesellschaftspolitischen Hintergrund, entsprechend veröffentlichen wir keine schönen Bilder von Sonnenuntergängen, Blumen, Landschaft und Tieren. Wir sind je nach persönlichem Interesse unterwegs bei Demos zu Antifaschismus, Frieden, Landschaftszerstörung, seltener zu Kontroversen zu Stadtprojekten – bei Veranstaltungen, Gedenkveranstaltungen. Den Begriff »Gegenöffentlichkeit« verwenden wir zur Vermeidung von Missverständnissen in unseren öffentlichen Darstellungen nicht mehr. Dieser Begriff wird inzwischen im Querdenkermilieu gebraucht.
antifa: Warum braucht es überhaupt so etwas wie kritische Berichterstattung? Was läuft denn falsch in den Medien in Deutschland?
J. V.: Die Bilderflut der etablierten Medien wirkt immer unübersichtlicher zur Einordnung von Ereignissen. Unsere Bilderfolgen sind Fotoreportagen und setzen den Fokus auf verschiedene Aspekte, die unserer Meinung nach oft untergehen. Unsere Fotos sollen einen Zusammenhang vermitteln und sich (hoffentlich) mehrdeutigen Interpretationen verweigern. Ein realistisches Bild zu erzeugen, ohne alles textlich zu kontextualisieren, ist überhaupt nicht einfach. Wir sind froh darüber, dass es auch noch weitere Portale wie unseres gibt. Die Zusammenarbeit untereinander ist aber ausbaufähig.
antifa: Ihr seid immer offen für neue Leute. Zu eurem zehnjährigen Bestehen vor zwei Jahren habt ihr auch jüngere Medienschaffende aufgefordert, bei euch einzutreten. Was sind die Herausforderungen der neuen Medien?
J. V.: Die Mitglieder bei R-mediabase sind bundesweit verteilt. Regionale Schwerpunkte sind dabei das Rheinland und Berlin. Es gibt einzelne Mitglieder in Nord- und in Süddeutschland, in Ostdeutschland nur ein Mitglied in Leipzig. Von jeweils aktuellen Ereignissen haben wir inzwischen ein Onlinefotoarchiv von über zehn Jahren. Seit einem Jahr veröffentlichen wir auch Fotos aus längst vergangenen Zeiten (»Bilder aus der Kiste«) unter dem Menüpunkt »Zeitgeschichte«. Die Herausforderungen der neuen Medien werden bei uns noch kaum beachtet. Die meisten unserer Mitglieder haben schon zu Zeiten der analogen Fotografie gearbeitet – und kennen auch noch die Dunkelkammer. Uns geht es im wesentlichen darum, gute Fotos zu verbreiten und nicht die Bilderflut in den diversen hastigen Medien zu vergrößern. Das sehen jüngere Mitglieder sicher anders. Das bleibt ein Diskussionsprozess. Ich denke, unser Onlinefotoportal ergibt schon eine recht wertvolle Sammlung über inzwischen zwölf Jahre, auch über »Zeitgeschichte« hinaus.
Siehe auch die Projektvorstellung »Aufnahmen mit Haltung« in
antifa-Ausgabe November/Dezember 2021.