Das nie wieder
5. November 2023
Seemann und Autor: Film über Walter Kaufmann. Gespräch mit Dirk Szuszies
antifa: Ihr habt einen Film über den im Jahr 2021 verstorbenen Walter Kaufmann gedreht. Wer war das?
Dirk Szuszies: Walter Kaufmanns Leben lässt sich kaum in wenigen Sätzen zusammenfassen. Er wurde 1924 in Berlin als Sohn einer armen polnischen Jüdin geboren und mit drei Jahren in eine wohlhabende jüdische Familie in Duisburg adoptiert. Bis es mit Hitlers Machtergreifung zum Bruch kam, beschrieb er seine Kindheit als sehr glücklich. Mit einem der letzten Kindertransporte wurde er nach England gerettet, seine Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Davon erfuhr er lange nichts, da er von den Briten nach Australien abgeschoben wurde. Dort arbeitete er im Hafen und knüpfte so Kontakte zur Seemannsgewerkschaft, in der er auch Mitglied wurde und durch die seine Liebe zum Schreiben gefördert wurde. Darauf folgte ein wechselhaftes Leben, immer blieb er aber begeisterter Seemann und Autor.
antifa: Was führte ihn zurück nach Deutschland?
D. S.: Nachdem er sich in Australien einen Namen als Schriftsteller gemacht hatte, wurde er zu den Weltjugendfestspielen in Warschau (1955, d. Red.) eingeladen, wo er auf einen ostdeutschen Verleger traf. Der bemerkte seinen deutschen Nachnamen und fragte ihn, ob er nicht wieder in Deutschland Fuß fassen wolle. Offenkundig hatte er Sehnsucht gehabt zurückzukehren, trotz allem. Er fuhr dann zuerst nach Duisburg, traf dort zufällig Schulkameraden, die sich erschreckten, ihn zu sehen. Er klopfte an die Tür des Elternhauses, das enteignet und Nazis übergeben worden war, die immer noch darin hockten und Walter demütigten. So fasste er den Entschluss, es in der DDR zu probieren, weil das für ihn der bessere deutsche Staat war.
antifa: Wie erging es ihm in der DDR?
D. S.: Walter Kaufmann hat ein außergewöhnliches Leben in der DDR geführt. Er war zwar kein Oppositioneller, aber auch kein blinder Mitläufer. Er war sehr produktiv und schrieb viel. Seiner großen Leidenschaft, dem Reisen, blieb er treu und veröffentlichte viele Reportagen. Das konnte er, weil er nie in die SED eintrat und seinen australischen Pass behielt. Dieser war gleichzeitig seine Lebensversicherung für den Fall, dass die Nazis wieder an die Macht kämen. Den Mauerbau erlebte er auf Kuba und konnte es nicht fassen. Das einzige, was Kaufmann nicht ertragen konnte, waren Mauern und Maschendrahtzäune. Er verschwendete nie einen Gedanken daran, nicht in die DDR zurückzukehren, auch wegen seiner geliebten Frau Angela Brunner.
antifa: Welche Stationen gab es noch in Walter Kaufmanns Leben?
D. S.: In den 60ern und 70ern verbrachte Kaufmann viel Zeit in den USA und begleitete dort die schwarze Bürgerrechtsbewegung, insbesondere den Prozess von Angela Davis. Gegen Mitte der 70er verbrachte er einige Zeit in Belfast und dokumentierte den Konflikt in Irland. In den 80ern dann unternahm er einige Reisen nach Israel/Palästina und beschäftigte sich kritisch mit der israelischen Besatzungspolitik. Eine Frage war dabei aber immer außer Zweifel: das Existenzrecht Israels, das Eintreten für eine Zweistaatenlösung.
antifa: Was bewegte ihn nach der Wende?
D. S.: Durch zunehmendes Alter musste er sich in der Wendezeit neu finden. Es war nicht nur Überlebenskampf eines im Westen relativ unbekannten Autors, sondern der Zusammenbruch seiner Welt. Gleichzeitig muss man sagen, er hat so ein langes Leben geführt, die DDR war nur ein Teil davon. Er prangerte die Widersprüche der Wiedervereinigung an und war gleichzeitig froh über sie, weil er es als furchtbare Strafe für die Menschen in der DDR empfand, nicht reisen zu dürfen. Er mischte sich politisch ein und gründete die Brandenburger VVN mit. Die rechtsextremen Morde in Hanau haben ihn zuletzt besonders betroffen, als Greis wäre er gerne noch mal auf die Barrikaden gegangen: »Das nie wieder, das nie wieder!«
antifa: Wie kam euch die Idee zum Film? Erzählt uns gern auch etwas zu seiner Entstehung.
D. S.: Kaufmann schrieb im Jahr 2000 eine Rezension zu einem unserer Filme. Wir waren schwer beeindruckt damals schon, recherchierten, nahmen Kontakt auf und trafen ihn über die Jahre immer wieder. Die Idee zum Film kam früh auf, er war aber lange skeptisch. Als er dann endlich einwilligte, war es fast zu spät. Erst ließ die Finanzierung auf sich warten, dann kam Corona. Glücklicherweise haben wir Kamerakolleginnen in all den Ländern, die Kaufmann bereist hatte, gefunden, die dann vor Ort gedreht haben, während wir aus Berlin per Smartphone dirigierten. Hoch lebe die internationale Solidarität! Ohne diese Menschen würde es den Film nicht geben.
Das Gespräch führte Kristin Caspary.
Karin Kaper und Dirk Szuszies sind unabhängige Filmemacher_innen mit Sitz in Berlin, mit Dirk haben wir gesprochen. Den Rest des Jahres sind beide noch bundesweit mit dem Film »Walter Kaufmann: Welch ein Leben!« (Dokumentarfilm, 101 Minuten) im Gepäck unterwegs und dann ab April wieder für mögliche Veranstaltungen über die Homepage walterkaufmannfilm.de erreichbar.