Es bleibt eine Schande

geschrieben von Erika Klantz

5. November 2023

Sammelband zum Elend der Traditionspflege in der Bundeswehr

Jakob Knab führt mit seinen Mitautoren eine Auseinandersetzung, die längst gewonnen scheint. Spätestens mit der überarbeiteten Wehrmachtsausstellung ist allen klar, dass es keine »sauberen« staatlichen Institutionen im »Dritten Reich« gegeben hat, schon gar keine »saubere Wehrmacht«. Dies heißt aber nicht, dass es in der Bundeswehr nicht noch Menschen gibt, die die »Ehre« einzelner Wehrmachtsoffiziere nicht noch retten wollen. Gegen diese Traditionspflege wenden sich die Beiträge in »›Helden‹ der Vergangenheit?«.

Im Mittelpunkt steht der weiten Teilen der Bevölkerung eher unbekannte Admiral Rolf Johannesson (1900–1989). Johannesson ist als Sohn eines Studiendirektors einer preußischen Kadettenanstalt mit militaristischen Auffassungen aufgewachsen, die er Zeit seines Lebens nie in Zweifel gezogen hat. Zu diesen Auffassungen gehören die Glorifizierung des Opfertodes für die Nation, der unbedingte militärische Gehorsam und die Nichtachtung von Personen, die dem »nationalen Interesse« in Wort und Tat entgegenstehen. Im spanischen Bürgerkrieg ergaben sich erste Möglichkeiten für eine militärische Karriere. Im Rahmen der Tätigkeit der »Legion Condor« war er zeitweise leitend für die Geheime Feldpolizei tätig. Eine Organisation, die sich hauptsächlich mit der Folterung und Überstellung von deutschen republikanischen Spanienkämpfern beschäftigte. Im Zweiten Weltkrieg hat Johannesson in der Kriegsmarine zu einer Vielzahl von Verbrechen beigetragen. So sicherte er als Zerstörerkommandant Transporte griechischer und nordafrikanischer Juden übers Mittelmeer, wovon die meisten im Anschluss in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden.

Jakob Knab (Hg.): »Helden« der Vergangenheit? Zum Elend der Traditionspflege in der Bundeswehr. Donat Verlag, 2023, 288 Seiten, 19,80 Euro

Jakob Knab (Hg.): »Helden« der Vergangenheit? Zum Elend der Traditionspflege in der Bundeswehr. Donat Verlag, 2023, 288 Seiten, 19,80 Euro

Behandelt werden detailliert Johannessons Aufsicht für die Marinebauten zum Schutz der beabsichtigten fabrikmäßigen Produktion der hochmodernen U-Boote des Typs XXI. Dies beinhaltete die Verantwortung für das Leiden zehntausender und den Tod zigtausender Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bei den Bauarbeiten.

Über die grundsätzliche Verantwortung hinaus geht aber der zweite Vorwurf gegen Johannesson aus der Endkriegszeit. Im April 1945 entschied sich eine Gruppe auf Helgoland zum Widerstand gegen »den Kampf bis zum letzten Blutstropfen«, auch um die völlige Zerstörung der Insel durch alliierte Luftangriffe zu verhindern. Die Gruppe flog auf. Georg Braun, Karl Fnouka, Erich Friedrichs, Kurt Pester und Martin Wachtel wurden in kürzester Zeit ohne Verteidiger zum Tode verurteilt. Rolf Johannesson rechtfertigte und bestätigte das Urteil als zuständiger Offizier. Seine Autobiografie verschweigt seine Beteiligung an NS-Verbrechen entweder gänzlich, oder sie wird schöngeredet. Auch sonst sind öffentliche Äußerungen von Bedauern oder Reue von ihm nicht bekannt.

Nach der Befreiung verband sich Johannesson mit dem ihm verschwägerten Martin Niemöller. Niemöller als U-Boot-Fahrer im Ersten Weltkrieg bekannt, war nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Kirchlichen Außenamt der Evangelischen Kirche befasst. Zusammen begeisterten sie sich zu dieser Zeit für Wiederbewaffnungsabsichten und unterstützten die »Reinwaschung« der Wehrmacht. Niemöllers Widerstand sicherte ihnen in der Nachkriegszeit eine besondere Stellung. Erst als Niemöller sich Mitte der fünfziger Jahre gegen die atomare Aufrüstung und zum Pazifismus wandte, gingen er und Johannesson getrennte Wege. Johannesson ging zur neu errichteten Bundeswehr und wurde ab 1. Januar 1957 – trotz erheblicher Bedenken des Personalgutachterausschusses –  zum Befehlshaber der Flotte berufen. Dort versuchte er die Marine aus den Fesseln der Alliierten-Kontrolle zu befreien. Er gründete hierzu unter anderem die Historisch-Taktische-Tagung.

Weniger Raum nehmen die anderen beiden »Helden« der Vergangenheit ein, die der Sammelband bespricht. Deutlich mehr Menschen als bei Johannesson ist bekannt, dass weder Paul von Hindenburg noch Erwin Rommel als Vorbilder in einer offenen Demokratie gelten können. Weder hat Paul von Hindenburg die Weimarer Demokratie jahrelang vor den Nazis bewahrt, noch stand Erwin Rommel im Widerstand gegen Adolf Hitler. Dass Kasernen nach ihnen benannt werden oder aktive Soldaten sie ehren, bleibt eine Schande.

Anlass für die intensive Beschäftigung mit Johannesson ist, dass seit 2017 seine Büste in der Aula der Flensburger Marineschule Mürwik neben der Büste des Widerstandskämpfers Alfred Kranzfelder steht. Doch meines Erachtens ist der Widerstand gegen die Entfernung der Büste nicht damit zu begründen, dass die Verteidiger Johannessons die NS-Kriegsmarine als traditionsbildend für die Bundeswehr sehen wollen. Reingewaschen werden soll die Bundeswehr. Der Mythos, dass die ehemaligen Wehrmachtsoffiziere, die die Bundeswehr aufgebaut haben, nach 1949 für Demokratie, Rechtsstaat und pluralistische Gesellschaft standen, darf nicht angekratzt werden. Waren die ehemaligen Vertreter des »Dritten Reiches« auch nach 1949 keine Demokraten, war die junge Bundesrepublik vielleicht gar nicht der lupenreine demokratische Rechtsstaat, als den ihn die heutige Politik gerne sieht und braucht.