Mobilisieren? Ignorieren?

5. November 2023

Notizen zum Podiumsgespräch »Wie stoppen wir die AfD in Ostdeutschland?«

Bei den 2024 in allen ostdeutschen Flächenländern anstehenden Wahlen droht die AfD zur -stärksten Kraft zu werden. Doch der extrem rechten Vormacht über viele Köpfe entspricht oft keine Vormacht auf der Straße. Noch bekommt die AfD selbst in vielen kleineren Städten »enormen Widerspruch, wenn sie sich auf die Straße traut« (Samuel Signer). Aber mancherorts tritt die extreme Rechte nahezu wöchentlich auf. Dagegen jedes Mal sichtbaren Protest zu organisieren, kann auf Dauer zu viel Kraft kosten – vor allem, wenn sich nur die immer gleichen Leute mobilisieren lassen. Die regionalen antifaschistischen Kräfte müssen also gemeinsam entscheiden: Wann mobilisieren wir? Was ignorieren wir?

Für »antifaschistische Unhöflichkeit«

»Wer ist der Bürgermeister, der Unternehmer, der Polizist?« (Lukas Wanke) – die lokalen Machtpositionen sind überwiegend noch nicht in extrem rechter Hand. Aber die lokal Mächtigen betreiben viel zu häufig die Normalisierung der AfD. Dabei spielen auch Routinen und Rituale des Umgangs eine Rolle. Die VVN-BdA sollte eine »antifaschistische Unhöflichkeit« (Samuel Signer) vorleben. Die mutigen demokratischen Politiker*innen, die AfD-Leuten den Händedruck verweigern oder ihnen die Blumen vor die Füße werfen (wie 2020 Susanne Hennig-Wellsow von der Linkspartei gegenüber dem mit AfD-Hilfe zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählten FDPler Thomas Kemmerich) brauchen Lob und Rückendeckung von uns!

Der Text basiert auf Äußerungen von Eckhard Brickenkamp (Sprecher der VVN-BdA Rostock/Mecklenburg-Vorpommern), Kolja Quensel (VVN-BdA Halle/Sachsen-Anhalt), Samuel Signer (VVN-BdA Märkisch-Oderland/Brandenburg) und Lukas Wanke (Vorstand der VVN-BdA Sachsen-Anhalt) bei einem Podiumsgespräch am 10. September 2023 anlässlich des Tags der Erinnerung und Mahnung in Berlin. Siehe tag-der-mahnung.vvn-bda.deFoto: Berliner VVN-BdA

Der Text basiert auf Äußerungen von Eckhard Brickenkamp (Sprecher der VVN-BdA Rostock/Mecklenburg-Vorpommern), Kolja Quensel (VVN-BdA Halle/Sachsen-Anhalt), Samuel Signer (VVN-BdA Märkisch-Oderland/Brandenburg) und Lukas Wanke (Vorstand der VVN-BdA Sachsen-Anhalt) bei einem Podiumsgespräch am 10. September 2023 anlässlich des Tags der Erinnerung und Mahnung in Berlin. Siehe tag-der-mahnung.vvn-bda.de
Foto: Berliner VVN-BdA

»Wir müssen die Menschen dazu kriegen, den Arsch hochzukriegen!« (Eckhard Brickenkamp) – und zwar diejenigen, die etwas gegen die AfD haben, aber bisher schweigen. Wer schon aktiv ist oder es werden will, braucht Anlaufstellen und Angebote. Nach Jahrzehnten neoliberaler Individualisierung fällt unter Umständen der VVN-BdA die Rolle eines lokalen »Veranstalters von Gesellschaft« (Kolja Quensel) zu. Nicht nur Proteste, sondern auch Infostände, Stammtische, Stadtrundgänge und Gedenkwanderungen können lokale Kristallisationskerne werden.

Die überregionalen Strukturen der VVN-BdA sind vor allem gefragt, Material und Praxiswissen bereitzustellen. Die Kampagne »Höcke ist ein Nazi« bringt die Art von klarer Ansage, die gebraucht wird. Es entlastet ungemein, sich um Banner, Flugblätter, Transparente und so weiter nicht selber kümmern zu müssen. Gut wäre ein Schulungsangebot für Engagierte, etwa zum Thema: »Wie melde ich eine Versammlung an, was muss ich bei der Durchführung beachten, was sind meine Rechte als Anmelder*in und Versammlungsleiter*in?«

Antifaschistisch reisen!

Wir sollten uns fragen: »Wo stören wir die AfD besonders? Wo machen 20 bis 50 Leute mehr wirklich einen Unterschied?« (Lukas Wanke). Insbesondere in kleinen Orten kann eine Bus- oder Kleinbusladung zusätzlicher Protestteilnehmer*innen aus der nächsten Großstadt oder einem benachbarten Bundesland kleine Wunder bewirken. Wenn etwa gegen die faschistische »Neue« Rechte in Schnellroda oder das »Compact-Sommerfest« in Stößen statt 30 Protestierenden 50 oder 100 stehen, dann macht das schnell zahlenmäßig überlegen und kann den antifaschistischen Kräften vor Ort zu einem nachhaltigen Erfolgs- und Ermutigungserlebnis verhelfen.

Bei etwaigen überregionalen Unterstützungsleistungen ist zweierlei zu beachten: Erstens braucht es Zuverlässigkeit sowie klare und kurze Kommunikationskanäle. Städte, Regionen und Landesverbände könnten sich verbindlich einander zuordnen und Ansprechpersonen benennen. Zweitens muss jeder Eindruck, hier werde aus dem Westen oder aus der Großstadt heraus »Entwicklungshilfe mit Buschzulage« (Eckhard Brickenkamp) für den Osten geleistet, vermieden werden. Alles ist eng mit den jeweiligen handelnden Personen vor Ort abzustimmen.

Das alles, und noch viel mehr …

Die VVN-BdA wird voraussichtlich ihren nächsten Bundeskongress in einer Stadt des Ostens abhalten – auch das ein Zeichen der Unterstützung. Können wir auch auf Bundesebene ein Team organisieren, das Unterstützungsbedarf von der Basis aufnimmt und in Absprache mit den lokal Aktiven von Ort zu Ort fährt, Infostände und Proteste unterstützt oder etwa eine Tournee durch die verstreuten linksalternativen Jugendzentren macht, um Material zu verteilen und Vernetzungsgespräche zu führen?

Die VVN-BdA führt nie selbst Wahlkampf. Sie kann aber als antifaschistisches Korrektiv wirken. Statt »Worthülsen von Vielfalt und Demokratie« (Kolja Quensel) sollten wir eine mögliche politische Alternative sowohl zur extremen Rechten als auch zum hegemonialen (Regierungs-) Block formulieren – so wie mit der Kampagne »Stoppt das Töten in der Ukraine«.

Ausgewählt und zusammengefasst von

Mathias Wörsching (Berlin)