Patriarchalen Hass stoppen
5. November 2023
Zwei aktuelle Bücher fordern ein Ende der Gewalt
Alle drei Minuten misshandelt ein Mann in Deutschland seine (Ex-)Partnerin, jeden Tag versucht ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag gelingt dies. Ich wiederhole: Jeden dritten Tag wird eine Frau ermordet, und der gesellschaftliche Aufschrei darüber fehlt. Christina Clemm fordert diesen Aufschrei ein und macht die Gewalttaten gegen Frauen und nicht-binäre Personen in ihrer Brutalität und gesellschaftlichen Bagatellisierung sichtbar.
In ihrem Buch »Akteneinsicht« hat die Rechtsanwältin für Straf- und Familienrecht die breite Palette an Gewalt gegen Frauen (trans* Frauen sind Frauen!) und nicht-binäre Personen anhand von Strafverfahren, die sie selbst begleitet hat, aufgezeigt. Nun legt sie mit »Gegen Frauenhass« eine umfangreiche Analyse des staatlichen und gesellschaftlichen Versagens vor. Unter Frauenhass versteht Clemm keine individuelle Emotion, sondern eine Geisteshaltung, die sich aus strukturellen Gegebenheiten ergibt und mit Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Klassismus und Queerfeindlichkeit verknüpft ist. Sie analysiert, wie dieser patriarchale Hass sich auswirkt, was für Formen er annimmt und wie sich ihm entgegengestellt werden kann. Das Buch folgt dabei der Geschichte von Lisa, die sich in Mirko verliebt und neben gemeinsamen Kindern Erniedrigung und Blutergüsse von ihm erhält. Ein Strudel aus Kontrolle, Abwertung und Gewalt, der hinter verschlossenen Türen stattfindet, bis Lisa in ein Frauenhaus flieht. Später kehrt Lisa zu ihm zurück, ihren Kindern zuliebe. Erneut kommt es zu Gewalt, Lisa flieht mit den Kindern in eine andere Stadt, Mirko findet heraus, wohin – und tötet Lisa auf offener Straße.
Christina Clemm schreibt nicht nur aus ihrer Erfahrung als Rechtsanwältin, sondern zieht weitläufig Literatur und Studien heran. Sie zeigt auf, dass viel zu häufig bei Morden und rechten Terroranschlägen kein Zusammenhang hergestellt wird zwischen sexistischen Positionen und vorheriger sexualisierter Gewalt gegen Partnerinnen. Auch von der Polizei wird das Tatmotiv Frauenhass häufig nicht gesehen und unter »Beziehungsdrama« verharmlost, sodass es zu mangelhaften Risikoeinschätzungen kommt und Frauen, die bereits Anzeigen wegen vorheriger Gewalttaten gestellt haben, getötet werden. Gerade bei gemeinsamen Kindern kommt es oft dazu, dass gewalttätige Männer Umgang mit den Kindern beim Familiengericht beantragen und diesem Umgang stattgegeben wird. So haben Frauen, die vor Gewalt in ein Frauenhaus geflohen sind, wenig Zeit, sich auf Interviews mit dem Verfahrensbeistand oder die Anhörungen im Familiengericht vorzubereiten, wo sie erneut den Gewalttätern gegenüberstehen, die sich als besorgte und liebende Väter darstellen. Bei den Übergaben der Kinder in die Obhut der Väter kommt es dann häufig erneut zu Bedrohungen und Gewalt – bis hin zu Mordversuchen.
Asha Hedayati, Anwältin für Familienrecht, geht in ihrem Buch »Die stille Gewalt« auf die institutionelle Gewalt durch Familiengerichte und Verfahrensbeistände bei Partnerschaftsgewalt ein und zeigt auf, wie Betroffene hier unzureichend geschützt werden. Sie betont vor allem den mangelnden Schutz von Frauen, die arm sind oder nur eingeschränkte Deutschkenntnisse haben.
»Sogar wenn die Täter verurteilt werden, bleibt ihnen oft Solidarität sicher«, schreibt Clemm in Bezug auf Männer, die in der Öffentlichkeit stehen und sexualisierte Gewalt ausüben. Ob Präsident, Professor oder Rockstar – die Taten werden relativiert, und es findet eine Schuldumkehr statt. Menschen mit Macht schützen Menschen in Machtpositionen. Die Folge ist, dass Betroffene zum Schweigen gebracht und im schlimmsten Fall selbst mit Klagen überzogen werden. Clemm gelingt es, die besonderen Verletzlichkeiten innerhalb der Gruppe der gewaltbetroffenen Personen aufzuzeigen, sei es die ökonomische Gewalt gegen illegalisierte Frauen, Gewalt im medizinischen Bereich gegen trans* Personen oder schwangere Frauen, die Gewalt bei der Geburt erfahren oder eine Schwangerschaft abbrechen möchten.
Clemm und Hedayati sind zu Recht wütend. Es macht fassungslos und tut weh, ihre Bücher zu lesen, denn sie zeigen das Desinteresse der Gesellschaft und des Staates auf, gegen geschlechtsbezogene Gewalt angemessen vorzugehen. Dafür braucht es unter anderem mehr Unterstützung und Finanzierung von Beratungsstellen und Frauenhäusern, Pflichtfortbildungen für Richter*innen, Verfahrensbeistände, Ermittlungsbeamt*innen sowie kostenlosen Zugang zur Rechtsvertretung. Notwendig ist vor allem ein gesellschaftliches Anerkennen und Umdenken, Solidarität mit Betroffenen – und lautstarke feministische Kämpfe auf allen gesellschaftlichen Ebenen.