Zu einseitig präsentiert
5. November 2023
Eine Ausstellung in Berlin zu jüdischem Leben in der DDR
Die Ausstellung habe ich mit Sehnsucht erwartet und war gleichzeitig in großer Sorge, wie man dieses schwierige Thema unserer Geschichte – die bewusste Entscheidung der überlebenden Jüdinnen und Juden, ein anderes antifaschistisches Deutschland aufzubauen – bewältigt. Die Chance, die Vielfalt und Widersprüchlichkeit, eben das »andere Jüdische« zu zeigen, wurde leider vertan.
Die Ausstellung ist aus der Sicht Westdeutscher unter dem Blick des Scheiterns der DDR, des Widerstandes oder der Schwierigkeiten des jüdischen Lebens in der DDR kuratiert. Das, was das »andere« war, was die Überlebenden, die Remigranten gerade in die DDR zog und sie am Aufbau dieses anderen Deutschlands fesselte, abstieß oder anspornte und sie nicht vor den Widersprüchen weglaufen ließ, wird nicht deutlich. Die Mehrzahl der in der Ausstellung Porträtierten hatte die DDR verlassen. Porträts jüdischer DDR-Persönlichkeiten und Familien, die beides in sich vereinten, Jüdisches und Engagement in der DDR-Politik, sind nicht zu entdecken.
Meine Eltern beispielsweise heirateten am 17. März 1945 in London. Sie hatten sich in der dortigen FDJ kennengelernt. Mein Vater war im Internierungslager in Kanada politisiert worden und kam zu der Überzeugung: »Die Nazis dürfen es nicht geschafft haben, Deutschland judenfrei zu machen.« Deshalb war das Jawort meiner Mutter mit der Zustimmung verbunden, sich von ihrer einzigen überlebenden Verwandten, ihrer Schwester in England, zu trennen und nach Deutschland zu gehen. Sie landeten 1946 in Hamburg. Beim NWDR begann mein Vater seine Rundfunkkarriere und wurde gekündigt, weil er in Reportagen fragte: »Was haben Sie oder Ihre Eltern in der Nazizeit gemacht?« Das durfte man in der Bundesrepublik nicht fragen, aber in der DDR, in die er dann zog.
Welche Vorstellungen hatten die Remigranten und Überlebenden vom anderen Deutschland, vom Antifaschismus, der Aufklärung über die Verbrechen der Nazis, vom Leben ohne Antisemitismus und Rassismus und dem Aufbau eines neuen sozialistischen Deutschlands? Unerwähnt bleibt auch, wie viele es deshalb in die DDR zog – obwohl es dazu Publikationen und Archive, beispielsweise der VVN oder des Komitees der Widerstandskämpfer, gibt. Eine wichtige Frage, die auch nicht geklärt wird, ist, warum sich so wenige in der Jüdischen Gemeinde engagierten. Warum wurden denn für die Ausstellung nicht noch lebende jüdische Aktivisten in der Gemeindearbeit befragt? Es leben noch Erzieher und Mitglieder aus den Kinder- und Jugendgruppen oder Juden, die die DDR nicht verließen und die als Zeitzeugen berichten könnten.
Was außerdem unbeantwortet bleibt: Was leisteten diese jüdischen DDR-Bürger für die Suche und Aburteilung der Naziverbrecher, für die Arbeit in den Lagerkomitees, in der internationalen Organisation der Widerstandskämpfer, in der Gedenkstättenarbeit, für das internationale Ansehen Deutschlands? Kurt Julius Goldstein, Überlebender der KZ Auschwitz und Buchenwald und Vizepräsident sowie Ehrenvorsitzender des Internationalen Auschwitz Komitees, ist genausowenig Thema wie Klaus Gysi, der als Minister für Kultur und späterer Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR für die Zusammenarbeit von Staat und Gemeinde zuständig war. Auch Friedrich Karl Kaul mit seinen Prozessen gegen Nazis und seinen Filmen ist nicht zu finden. In der Ausstellung gibt es nur ein Foto von Peter Kirchner, der von 1971 bis 1990 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde von Berlin war. Auch er hätte mit seiner Arbeit porträtiert werden müssen. Oder Albert Norden: Hier wurde lediglich dargestellt, dass er Rabbinersohn war und die nach ihm benannte Straße umbenannt wurde. Warum? Was er für die Suche, Auffindung, Entlassung und Verurteilung von SS- und Naziverbrechern leistete, fehlt.
Ein wirkliches Versäumnis ist die fehlende Darstellung der sozialen Absicherung des Lebens der Verfolgten in der DDR. Sie zahlte monatliche Entschädigungsrenten. Leider – und das muss man hier auch sehr kritisch anmerken – unterteilte sie ideologisch in Verfolgte des Naziregimes und Kämpfer gegen den Faschismus. Dazu kamen jährlich medizinische Untersuchungen und Kuraufenthalte. Die Verfolgten bekamen Wohnungen, Autos und Telefone – ihre Kinder erhielten Stipendien und Wohnungen.
Die Ausstellung gibt außerdem keine Auskunft darüber, wie die jüdischen DDR-Bürger beispielsweise im Rundfunk, im Fernsehen oder in der Presse arbeiteten. Lediglich die Darstellung des Bereiches Film ist gut vertreten. Obwohl mir unverständlich ist, warum heutige Bilder und Filmsequenzen in der Ausstellung das andere jüdische Leben von damals in der DDR bezeugen sollen.
Zu guter Letzt fragt man sich doch, warum sich so viele jüdische DDR-Bürger vor und nach der Wende im Jüdischen Kulturverein engagierten. Die Ausstellung bezog die Protagonisten leider gar nicht ein. Vieles sollen natürlich Interviews, aber vor allem das Begleitprogramm zur Ausstellung leisten. Das ist lobenswert, aber für den Ausstellungsbesucher selbst unbefriedigend, denn auch die Auswahl der Interviewten ist einseitig.
Ellen Händler ist Vorsitzende des Bundes der Antifaschisten Treptow e. V.