10 Schwachstellen der AfD
11. Januar 2024
Blickt man auf die AfD ist das Resümee für 2023 ernst und sind die Aussichten für das Jahr 2024 düster. Insbesondere die absolute Mehrheit der Stimmen bei der Landratswahl im Landkreis Sonneberg im Juni letzten Jahres lösten bei AfD-Gegner*innen Schock, Entsetzen und Lähmung aus. Gegen Ende des Jahres wich die Lähmung zahlreichen unkoordinierten, sich teilweise überschneidenden „Suchbewegungen“ durch Verbände, Organisationen und Zirkeln auf regionaler und bundesweiter Ebene. Ideen für Demos, Kongresse, gar „Bewegungen“ und Kampagnen wurden und werden erörtert. Die es wahlpolitisch eigentlich als erstes anginge, die politischen Parteien SPD, LINKE und Grüne, glänzen dabei weitgehend durch Tatenlosigkeit. Nicht sie, sondern die viel beschworene „Zivilgesellschaft“ mit den Verantwortlichen der KZ-Gedenkstätte Buchenwald-Dora als Kernteam verhinderten im November die Direktwahl eines AfD-Oberbürgermeisters in Nordhausen. Im Dezember gelang das in Pirna schon nicht mehr.
So schwierig und zu Recht besorgniserregend das auch alles ist, lohnt es sich die Dinge einmal andersherum zu betrachten und den Kaninchenblick auf die AfD abzulegen. Was sind eigentlich die Schwächen der AfD? In welchen immanenten Widersprüchen stecken ihre Akteure und ihre Organisation? Generell ist die AfD ein Scheinriese – im Gegensatz zum freundlichen Herrn Tur Tur aus der Augsburger Puppenkiste, der darunter leidet dass alle aus der Entfernung vor ihm Angst haben, allerdings ein bösartiger, der seine übermächtig wirkende Erscheinung absichtlich einsetzt. Kommen wir der AfD also einmal möglichst nahe:
Historisch disqualifiziert
Das wesentliche Problem der AfD ist nach wie vor, dass ihre inhaltliche Nähe zum historischen deutschen Faschismus und seinen Verbrechen den meisten bewusst ist und immer noch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung daraus den Schluss zieht sich von ihr zu distanzieren. Die Wirkung der geschichtspolitische Lektion lässt zwar offenkundig nach, zwingt die AfD aber weiterhin täglich zu Verrenkungen. Man will rechts sein, aber nicht als solches benannt werden. Die von „Aufstehen gegen Rassismus“ durchgesetzte Losung „Björn Höcke ist ein Nazi“ ist eine wahre Aussage gegen die der Betreffende sich sachlich nicht wehren kann. Vor dem juristischen Kampf kneift er und zeigt öffentlich Nerven. Er sah sich sogar erstmalig gezwungen sich öffentlich vom Führer zu distanzieren (Rede auf der PEGIDA-Kundgebung am 6. November). Das wiederum werden ihm seine Radikalisierungspartner wie z.B. Jürgen Elsässer übel nehmen.
Objektiv schädlich
Die AfD hat der überwältigenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung keine konstruktiven und vorwärtsweisenden politischen Alternativen zu bieten. Vor allen tatsächlichen Problemen, insbesondere dem menschheitsgefährdenden Klimawandel, steckt sie den Kopf in den Sand und tut so als gäbe es sie gar nicht. Sie ist deshalb eine Partei gegen die Realität und eine objektive Gefahr selbst für ihre eigenen Wähler*innen. Sie ist nicht einmal im eigentlichen Sinne des Wortes „konservativ“, sondern eine Partei, die Chaos und darauffolgend Umsturz herbeiführen will. Sie bringt Armut, Unglück und ein Leben voller Angst. Dies gilt insbesondere für Arbeitnehmer*innen, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und junge Menschen. Diese objektiven Sachverhalte disqualifizieren die AfD auf einer ganz grundsätzlichen Ebene auch ohne den Werterahmen des Grundgesetzes aufrufen zu müssen. Von diesen objektiven Fakten führt aber leider kein direkter Weg zu Erkenntnis und u.a. (Wahl)-Handlung. Dass Menschen gegen ihre eigenen Interessen handeln und ihre Schlächter selber wählen ist überhaupt nicht neu, sonst hätte es kein 1933 gegeben. Trotzdem sind sie das notwendige Kriterium, um erfolgreich argumentieren zu können.
Gegen den gesellschaftlichen Trend
Das Gesellschafts- und Menschheitsbild der AfD (und ähnliche Formationen weltweit) ist rückwärtsgewandt und steht im Gegensatz zur stürmischen Entwicklung des Selbstverständnisses eines erheblichen Teiles der globalen jungen Generation. Diese begreift sich, ohne politische Ideologeme bemühen zu müssen, aufgrund ihrer Lebensrealität längst als nicht-national. Für den (zugegeben zu optimistischen) indischen Globaltheoretiker Parag Khanna beispielsweise ist Nationalismus deshalb per se eine zum Scheitern verurteilte Ideologie, die für das Leben der mittlerweile global dieselben Werte, Ideen und Ziele teilenden gut ausgebildeten jungen Arbeitnehmer*innenschaft nichts mehr zu bieten hat. Sie flüchten denn auch zu Hunderttausenden vor den Zumutungen, die ihnen nationalistisch-autoritäre Regime wie bspw. in Venezuela, Eritrea oder Russland auferlegen wollen. Sie fühlen sich in Mumbai, Singapur oder Berlin genauso zuhause wie in ihrem Ursprungsland. Khanna schreibt: “Nationalismus leistet einen tollen Beitrag dazu, junge Menschen aus den Staaten wegzutreiben auf die sie doch stolz sein sollen.“
Das Kapital nicht gewonnen
Unmittelbar damit zusammen hängt der besorgt-abschätzige Blick der deutschen Wirtschaft auf die AfD. Das arbeitgeberfinanzierte „Institut der deutschen Wirtschaft (IW)“ führte kürzlich zu diesem Thema eine Befragung unter Hauptgeschäftsführern von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden durch. Die FAZ berichtete darüber auf einer ganzen Seite (5.12.23). Die Autoren kennzeichnen deren Wirtschaftsprogramm zwar als „liberal“, also im Prinzip kompatibel mit den Wirtschaftsinteressen. Das nutzt der Partei im politischen Kontakt aber nicht. „Der wichtigste Befund …lautet, dass die AfD mehr als politisches denn als ökonomisches Risiko angesehen wird… als langfristige wirtschaftliche Risiken werden am häufigsten die Fachkräftesicherung sowie der Bestand des Euro und der EU genannt“. Selbst da wo inhaltliche Überschneidungen gesehen werden, überwiegt die Furcht vor den Schäden. Zusammengefasst heißt es im Bericht: „Die verfasste Wirtschaft wiederum meidet die AfD nicht nur, sondern grenzt sie regelrecht aus.“ Das schließt individuelle Unternehmerunterstützung für die AfD nicht aus. So bewahrheiteten sich kürzlich lange währende Gerüchte um den Molkerei-Milliardär Theo Müller und es sagt auch nichts darüber aus wie sich das Verhältnis in anderen Situationen gestalten würde. Bis auf weiteres ist die Höcke-AfD aber für das Kapital klar keine politische Option.
Dass obiger Befund ausgerechnet im wichtigsten Blatt des deutschen Konservatismus erscheint und zwar nicht als Ausnahme, sondern als einer unter vielen kritischen Beiträgen ist für sich genommen bereits ein erhebliches Problem für die AfD. Zum Zehnjährigen der Partei titelte die FAZ am 6.2.23 offenherzig: „So war das nicht geplant“. Ursprünglich durchaus mit Sympathien und letztens mit eher wieder zunehmenden inhaltlichen Schnittmengen (Migration, Kernkraft) hat man sich trotzdem längst von der Krawallpartei distanziert.
Respektabilitätsproblem
Für die zentrale Leserschaft der FAZ ist das auch ein klares Signal, dass man weiterhin Probleme mit der Respektabilität bekommt, wenn man öffentlich als AfD-Mann wahrgenommen wird. Das gilt insbesondere für gesellschaftlich-berufliche „Eliten“ wie Notar*innen, Schulleiter*innen usw., deren beruflicher Erfolg von ihren Kontakten abhängt . Besonders intensiv müssen sich ferner Beamt*innen dieser Frage stellen, die zumindest in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen damit leben müssen behördlich als Angehörige einer „gesichert rechtsextremen Partei“ da zu stehen. Zwar ist die Bereitschaft sich zur AfD zu bekennen insgesamt gestiegen, ist aber bislang „nur“ in den östlichen Bundesländern in den Bereich der Normalität gerückt. Angst vor Repressionen, die Diskussion über ein Betätigungsverbot für Höcke (GG Art. 18) oder über ein Parteiverbot (GG Art 21,2) sollten hier besonders stark wirken.
Systematische Probleme mit der Wählerschaft
Die neuen Bundesländer und damit kommt man zum nächsten Problembereich der AfD, stellen nur eine Minderheit der Gesamtwählerschaft. Auf die Ebene des „Reiches“ kommt es Höcke und Konsorten aber eigentlich nur an. So desaströs Wahlprognosen von 30 und mehr Prozentpunkten und so schrecklich eine Million AfD-Wähler*erinnenstimmen bei den bayrischen Landtagswahlen am 8. Oktober auch sind, systematisch und zukünftig steht die Partei vor großen Problemen, denn die AfD grenzt mit ihrem Rassismus von vornherein erhebliche Teile des Elektorats aus, ja will sie sogar letztlich aus der deutschen Gesellschaft ausschließen und vertreiben. Migrantische Milieus mit Staatsbürgerschaft werden deshalb im wesentlichen von der AfD abgeschreckt mit Ausnahme des von der AfD umworbenen russlanddeutschen Milieus. Ganz übel wird es entsprechend, sollte es zu einer Einbürgerungswelle ukrainische Geflüchteter kommen. Unter diesen ist die AfD geradezu verhasst. Zwar ist der „große Austausch“ ein faschistisches Hirngespinst, der demographische Wandel aber nicht. Die Vereinfachung der Einbürgerungen gereicht ihr mittelfristig systematisch zum Nachteil. Zumindest kurzfristig Sorgen muss sich die AfD außerdem über die entstehende Konkurrenzpartei BSW (oder wie immer sie heißen wird) machen. Aufgrund deutlicher programmatischer Überschneidungen könnte sie wichtige Prozentpunkte auf dem Weg zu absoluten Mehrheiten kosten. Ob sie aber zur Alternative zur Alternative oder nur ihrem Durchlauferhitzer wird, ist offen.
Auf die Füße fällt der AfD aber auch ihre massive Frauenfeindlichkeit. Wenn Höcke bei PEGIDA sagt „Seit Jahrzehnten werden zu wenig Kinder in unserem Land geboren, zu wenig deutsche Kinder. Millionen Kinder sind abgetrieben worden… Unsere Wehrfähigkeit existiert nicht mehr.“ liefert er nicht nur auf drei Zeilen offene Nazi-Ideologie ab, sondern versucht etwas durchzusetzen, was der Hälfte der Bevölkerung unmittelbar schaden würde. Jahrzehnte der Liberalisierung lassen sich aber nicht einfach umdrehen. Es hat sich eine Studie der Uni Köln zufolge ein deutlicher Gender-Gap aufgetan. Männer wählen etwa doppelt so häufig AfD als Frauen. Politische Konfrontationen am Küchentisch nehmen damit erheblich zu.
Kadermangel
Die Frauenfeindschaft ist auch ein bedeutender Hemmschuh in der Parteientwicklung im engeren Sinn. Mit einer insgesamt leicht anziehenden Mitgliederschaft von 35.000 ist die AfD zwar die bislang größte neofaschistische Partei in der Bundesrepublik, aber trotzdem noch erheblich kleiner als alle anderen Bundestagsparteien. Von einem stürmischen Aufschwung der Mitgliedschaft wie sie zum Selbstbild faschistischer Bewegungsparteien gehört, kann keine Rede sein. Die systematische Verächtlichmachung von weiblichen Parlamentar*innen durch AfD-Abgeordnete, insbesondere wenn sie jung und von den Grünen sind, macht in der eigenen Organisation nicht Halt. Wer sich ihre Veranstaltungen ansieht, kann leicht erkennen, dass Frauen hier quasi nichts zu sagen haben, insbesondere in den höheren Rängen. Frau Weidel ist die Regel bestätigende Ausnahme. Die AfD leidet unter einem eklatanten Kadermangel. Ihre kommunalpolitischen Erfolge in Sonneberg und Raguhn-Jaßnitz konnte sie nur dadurch erreichen, dass sie Landtagsabgeordnete für diese Aufgaben „opferte“. In Thüringen hat die Partei nicht mehr als 1.500 Mitglieder, sodass Kommunalwahlen in 624 Gemeinden und 17 Landkreisen offensichtlich eine Nummer zu groß sind.
Organisationsschwäche
Der Kadermangel geht mit einer Organisationsschwäche einher. Zwar schwimmt die AfD mit ca. 25 Millionen Euro Einnahmen pro Jahr im Geld, kann dies aber nicht adequat umsetzen. Der Apparat ist ineffizent und kaum in der Lage aus sich heraus politische Kampagnen zu führen. Man ist stark darauf angewiesen, dass ihr nahestehende Milieus – wie die Coronaleugner-Szene – für sie Themen auf die Straße bringt, woran man dann anschließen kann. Das hat zwar gut funktioniert, ist aber mit Risiken verbunden sollten geweckte Erwartungen im Unterstützungs-Milieu nicht gedeckt werden können. Die AfD ist qua Selbstverständnis als unaufhaltsam vorwärtsschreitende Volksbewegung „gegen die da oben“ nicht gut in der Niederlage. Für Höcke gibt es nur Sieg oder Niederlage, die politische Realität ist aber bekanntlich meist dazwischen.
Mangelnde Fähigkeit zur Gewalt
Zwischen der Umsturz- und Gewaltrhetorik der AfD und der tatsächlichen Fähigkeit selbst Gewalt zu organisieren besteht eine große Lücke. Höcke verfügt zwar über die „Junge Alternative“, die nicht selten auf die Anmutung eines faschistischen Kampfbundes anspielt und es gibt auch mehr oder weniger offenen Beziehungen in gewaltbereite Gruppen, aber eine richtige SA hat er nicht zur Verfügung. Das ist ein Problem für ihn, denn seine Ziele lassen sich im System der Bundesrepublik nicht erreichen, sondern setzen deren Zerstörung voraus. An irgendeinem Punkt ist der Schritt zur Gewalt unumgänglich, aber die will vorbereitet sein. Die juristische und politische Toleranz gegenüber dem Aufbau eines Wehrverbandes ist aber anders als in den 1920er Jahren bis auf weiteres nicht gegeben.
Unsere Stärken – ihr Problem
Die bisher genannten Punkte sind überwiegend Widersprüche in der Welt der AfD selbst, bzw. Folge des ersten Anlaufs zur Weltherrschaft des deutschen Faschismus. Es sind bedeutende Hindernisse, die aber, sollte sich die Situation schwerwiegend verschlechtern, im Prinzip überwindbar sind. Insbesondere die Qualität behördlichen bzw. staatlichen Einschreitens steht nicht in Stein gemeißelt da, Grundgesetz hin oder her. Sie hängt mindestens mittelbar mit dem gesellschaftlichen Druck zusammen, der gegen die AfD entwickelt werden kann. Die letztlich entscheidende Schwäche der AfD ist die Stärke der – weit gedachten – antifaschistischen Bewegung. Dass z.B. die Bundesparteitage nicht in den Metropolen, sondern in Riesa und Magdeburg stattfinden, ist zwar für diejenigen, die die Gegenproteste organisieren ein praktisches Beschwernis, andererseits aber Ausdruck davon, dass die Partei sich nicht zutraut was sie eigentlich möchte. Die AfD ist verwundbar, sie kann ihre erreichten „Räume“ auch wieder verlieren. Der Kampf dafür findet parallel auf fünf Ebenen statt: juristisch, wahlpolitisch, auf der Straße, diskurspolitisch und im sozialen Nahfeld.