Entrechtung nach Plan
11. Januar 2024
Flucht und Asyl: GEAS-Reform geht die grundsätzlichen Probleme nicht an
Im August schon hatten sich die Innenminister der EU-Staaten auf eine drastische Verschärfung des »Gemeinsamen Europäischen Asylsystems« (GEAS) verständigt. Am 20. Dezember haben sich die Mitgliedstaaten nun auch mit dem Europäischen Parlament darauf geeinigt.
Demnach sollen die meisten Schutzsuchenden daran gehindert werden, in der Europäischen Union einen Asylantrag zu stellen. Fernando Grande-Marlaska Gómez erklärte stellvertretend für die EU-Staaten: »Die Bürger der EU verlangen von ihren Regierungen, mit der Herausforderung der Migration umzugehen, und der heutige Tag markiert einen großen Schritt in diese Richtung«.
Was auf der griechischen Mittelmeerinsel Lampedusa schon faktisch seit Jahren passiert, die Internierung von Geflüchteten unter inhumanen Bedingungen, soll legalisiert werden und überall stattfinden. Das bedeutet: größere Internierungslager an den EU-Außengrenzen mit unzureichender medizinischer Versorgung und fehlender rechtlicher wie psychologischer Unterstützung.
Es geht bei GEAS gerade nicht um faire Verfahren, sondern um Isolation und Druck, fern von öffentlicher Wahrnehmbarkeit. Auch Familien und Kinder wurden von der Internierung nicht ausgenommen – was einen Bruch der Kinderrechtskonvention darstellt. Um überhaupt ohne Straftat inhaftieren zu können, hilft die Idee der »Nicht-Einreise«. Solange Menschen in die EU noch nicht eingereist sind, kann in Schnellverfahren (maximal zwölf Wochen) über einen Asylantrag entschieden werden. Diese Grenzverfahren, die nicht mit den herkömmlichen Asylverfahren vergleichbar sind, werden auch schon länger unter haftähnlichen Bedingungen an deutschen Flughäfen durchgeführt. Die beschleunigten Verfahren sollen an den Außengrenzen zur Anwendung kommen, wenn die Flucht über angeblich »sichere Drittstaaten« erfolgte, wenn statistisch nur 20 Prozent der Geflüchteten aus dem jeweiligen Herkunftsland anerkannt werden, wenn den Asylsuchenden vorgeworfen wird, wichtige Reisedokumente vernichtet zu haben, oder wenn von ihnen vermeintlich eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung ausgeht.
Seit Jahren bereitet die Formulierung »sicherer Drittstaat« bei Abschiebungen den Gerichten Kopfzerbrechen. Die nun erzielte Einigung macht klar, dass weder die Genfer Flüchtlingskonvention gelten noch das ganze Land als sicher gelten muss, um dahin zurückzuschieben. Entscheidend ist, ob eine Vereinbarung zwischen der EU und dem jeweiligen Transitland vorliegt und daraufhin die Sicherheit angenommen werden kann. Der EU-Deal mit der Türkei stand hier Pate. Das Ziel ist klar: Sobald die EU von »sicheren Drittstaaten« umgeben ist, wird kein reguläres Asylverfahren mehr stattfinden müssen, sofern die Staaten die Menschen zurücknehmen. Hier wird die sogenannte Migrationsdiplomatie eine große Rolle spielen.
Zunächst sollen europaweit jährlich 30.000 Grenzverfahren stattfinden. Allerdings soll es in Krisenzeiten möglich sein, die Zahl drastisch zu erhöhen und die Schutzsuchenden zum Beispiel länger zu inhaftieren. Hier hat die EU eine vermeintliche Destabilisierung durch die »Instrumentalisierung von Migrant*innen« beispielsweise durch Belarus 2021 vor Augen. Bisher illegale Zurückweisungen (sogenannte Pushbacks) werden damit für »Ausnahmezustände« legalisiert.
Das eigentliche Problem der europäischen Verteilung von Asylsuchenden (das sogenannte Dublin-Verfahren), das die Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen durch die Kontrolle und Versorgung von Schutzsuchenden besonders belastet, wird hingegen nicht angetastet. In der neuen »Verordnung für ein Asyl- und Migrationsmanagement« steht lediglich, dass die außerplanmäßige Übernahme von Asylsuchenden als »Solidaritätsmaßnahme« möglich ist und nicht verbindlichen Regeln der Verteilung folgt. Am Zuständigkeitsprinzip ändert sich nichts.
Da Deutschland bekanntlich an keiner EU-Außengrenze liegt und umgeben ist von Ländern, die mit Migration an ihren Grenzen umgehen müssen, begrüßt die deutsche Politik die Einigung. Bundeskanzler Olaf Scholz lobte, dass damit »irreguläre Migration« endlich begrenzt werde. Richtig ist zu konstatieren, dass reguläre Migration weiter erschwert wird und an den Außengrenzen Haftlager entstehen, in denen die humanitäre Lage nur durch Hilfsorganisationen auf einem gewissen Level gehalten werden kann.
Nach der Einigung zwischen Mitgliedsländern, EU-Kommission und EU-Parlament, stehen nun noch die formalen Beschlüsse aus. Pro Asyl geht davon aus, dass die Regeln erst ab 2026 in Kraft treten werden. Bis dahin werden sich die unterschiedlichen menschenrechts- und Hilfsorganisationen verständigen müssen, wie sie die Rechtsberatung in den Lagern möglich machen und die Situation für die Öffentlichkeit dokumentieren.