Klar ist: Wer die AfD wählt, wählt Nazis

11. Januar 2024

Antifaschistische Basisarbeit und Gegenstrategien am Beispiel Brandenburgs in Zeiten des gesellschaftlichen Rechtsrucks. Ein Gespräch mit Nils Weigt

antifa: Euer Schwerpunkt als VVN-BdA-Kreisvereinigung Märkisch-Oderland ist, die Erinnerung an die Verbrechen des Naziregimes sowie den Widerstand dagegen wachzuhalten. Magst Du einen Einblick in eure Erinnerungsarbeit geben?

Nils Weigt: Das ist ein sehr umfangreiches Feld. Das ist aber auch nötig, einfach, weil viele Verfolgungs- und Widerstandsgeschichten gerade im ländlichen Raum noch nicht erzählt sind. Insofern wird uns das in den kommenden Jahren noch intensiv beschäftigen. Verändert hat sich die Erweiterung der Perspektiven, nämlich auch auf Gruppen und Individuen, die bis dato in der VVN keine oder nur eine marginale Rolle gespielt haben: Rom:nja und Sinti:ezz:e, Opfer der NS-Krankenmorde, als »asozial« Stigmatisierte oder Jüdinnen und Juden. Diese Gruppen versuchen wir an den »traditionellen« Gedenktagen, wie dem Tag der Opfer des Faschismus, ebenso zu würdigen.

Dabei verlieren wir den kommunistischen Widerstand und das Erbe der DDR-Gedenkkultur natürlich nicht aus dem Blick, sondern erweitern ihn. Bei der Erforschung eines Außenlagers des Ghettos Theresienstadt sind wir beispielsweise auf einen damals jungen Mann gestoßen. Dieser war in Wien in der illegalen KPÖ sowie in einer Widerstandsgruppe aktiv, der »Wiener Mischlingsliga«. Er wurde als Jude nach Theresienstadt verschleppt und fand sich im Sommer 1944 nun in der brandenburgischen Provinz wieder.

Seine Geschichte und die vieler anderer erzählen wir aber auch außerhalb der Gedenktage in einem Format, zu dem uns die Sentieri Partigiani (regelmäßige Gedenkwanderung des Instituts Istoreco aus Reggio Emilia auf Partisan:innenwegen im italienischen Apennin, die Redaktion) und die Genoss:innen des AKuBiZ e. V. aus Pirna mit ihren Touren auf »Spuren der Roten Bergsteiger:innen« inspiriert haben. So organisierten wir Gedenkwanderungen und Wanderseminare, gemeinsam mit unseren Partner:innen zum Teil als Bildungsreisen auch nach Tschechien und Österreich. Gute Erfahrungen machen wir auch mit unseren Gedenkstättenfahrten zu Brandenburger KZ-Gedenkstätten oder in die Gedenkstätte Auschwitz. Bei allen diesen Formaten haben wir in der Regel eine mittlere bis sehr hohe Nachfrage.

Hervorzuheben ist auch unsere Antifakonferenz, die im September 2023 in Potsdam stattfand (siehe antifa-Ausgabe November/Dezember), und Theorie und Praxis gelungen miteinander verbunden hat. Unter anderem referierten dort Thomas Willms, VVN-BdA-Bundesgeschäftsführer zur Frage, wie viel NSDAP in der AfD steckt, sowie Annika Neubert, die über antifaschistische Gedenkstättenpädagogik sprach. Hier konnten wir neue Energie und Motivation für unsere weitere Arbeit bekommen.

antifa: Die VVN-BdA besteht aus 16 Landesverbänden, unzähligen Kreisvereinigungen sowie vielen Mitgliedsorganisationen wie den Lagergemeinschaften. Mit fast 9.000 Mitgliedern ist sie die älteste und größte antifaschistische Organisation in der BRD und wird fast ausschließlich ehrenamtlich getragen. Brandenburg gehört eher zu den kleineren Gliederungen in diesem Verband. Wie schafft ihr das alles zu managen?

N. W.: Ja, wir sind eher eine kleinere Gliederung, gleichzeitig ist Brandenburg ein Flächenland. Der Landkreis Märkisch-Oderland zum Beispiel reicht vom östlichen Berliner Stadtrand bis an die polnische Grenze. In Berlin-Nähe und Potsdam sind wir ganz gut aufgestellt, je weiter von Berlin entfernt – mit der Ausnahme Prignitz und Uckermark – desto weniger sind wir vertreten. So ist der Brandenburger Süden zum großen Teil ein schwarzer Fleck auf der VVN-Landkarte. Angesichts der dortigen im Brandenburg-Vergleich noch höheren AfD-Wahlergebnisse ist das ein großes Problem, das wir aktuell durch die Neugründung eines Kreisverbands angehen wollen. Dann gibt es Kreisverbände, die eher ihr eigenes Ding machen und/oder gar nicht Teil des Landesverbands sind. Das ist für Neumitglieder und selbst langjährig Aktive manchmal etwas unübersichtlich.

Auch in Brandenburg sind wir ein strömungsübergreifender Verband, das heißt, wir streiten auch schon mal kontrovers. Angesichts der weltweiten Krisen und Konflikte, wo aktuell der russische Überfall auf die Ukraine sowie der Israel-Gaza-Krieg in Reaktion auf den Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 hervorstechen, muss die Devise aber sein: weniger Weltgeschehen, mehr antifaschistische Intervention vor Ort und hier in Brandenburg. Das ist unser Kerngeschäft, und darauf müssen wir uns besinnen. Das bekommen wir bisher eigentlich auch ganz gut hin.

Seit der letzten Landesdelegiertenkonferenz konnten wir unseren Landesvorstand auf neun Mitglieder erweitern, um die Generationen, Strömungen und Regionen noch besser zu vertreten. Mit unserer Bundesvereinigung sind wir vernetzt, indem wir regelmäßig einen Delegierten in den Bundesausschuss entsenden und auch durch die Nähe zu Berlin halten wir Kontakte.

Nichtvorstandsmitglieder aus den brandenburgischen Kreisverbänden können im Landesausschuss mitdiskutieren. Hier werden auch unsere Budgets verabschiedet. Bisher fanden die Treffen dieses Gremiums rotierend in den Räumen eines unserer aktiven Kreisverbände statt, aber die Beteiligung könnte besser sein. Um dies zu verbessern, planen wir im kommenden Jahr, die Arbeitsweise des Landesausschusses zu überarbeiten und Sitzungen zukünftig in Berlin durchzuführen, damit sie von überall in Brandenburg in etwa gleich gut zu erreichen sind.

antifa: Brandenburg steht im nächsten Jahr vor besonderen Herausforderungen. Im Juni werden – parallel zum Europaparlament – die Kreistage, Gemeindevertretungen und ehrenamtlichen Bürgermeister*innen gewählt, zugleich wurde das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt. Im September gibt es dann noch die Landtagswahlen. Aktuell steht die AfD in Umfragen auch in Brandenburg bei 32 Prozent. Womit rechnet ihr im Wahlkampf, und wie bereitet ihr euch vor?

N. W.: Es wird vermehrt Veranstaltungen der AfD geben, denen wir uns entgegenstellen werden. Hinzu werden zahlreiche blaue Wahlkampfstände auf den unzähligen am Wochenende zumeist wie ausgestorben wirkenden Brandenburger Marktplätzen zu finden sein, vereinzelt auch von extrem rechten Kleinstparteien wie »Die Heimat« und »Dritter Weg«. Wir müssen eine völlige Normalisierung von AfD-Positionen auf Podien und bei Stadtfesten beobachten. Das wird auch bedeuten, dass unser Verhältnis zu den demokratischen Parteien konfliktbeladener werden wird, da sie zu dieser Normalisierung weiter beitragen werden. Unter diesen Bedingungen wird es schwer möglich sein, AfD-Personal und -Positionen zu skandalisieren, sondern wir werden uns gemeinsam mit unseren Bündnispartner:innen andere Strategien überlegen, um Aufklärungsarbeit zu leisten – angelehnt beispielsweise an die #AfDnee-Kampagne. Dabei geht es darum, denjenigen AfD-Wähler:innen, die noch kein geschlossen extrem rechtes Weltbild haben, zu zeigen, dass sie oftmals gegen ihre Interessen stimmen und dass die Antwort auf unsoziale Politik niemals von rechts kommen kann. All das wird uns viel Kraft abverlangen. Wir brauchen einen langen Atem, um  von der ersten bis zur letzten Wahl durchzuhalten.

antifa: Die VVN-BdA vereint sehr unterschiedlich politische Hintergründe und Taktiken, die sich unter dem Banner des Antifaschismus zusammenfinden. Mit dem gleichen Verständnis treten wir auf Bündnispartner zu und gehen auch Kompromisse ein. Wie sehr ist die Arbeit in Brandenburg davon geprägt? Welche Kompetenzen werden eingebracht? Worauf könnt ihr euch im nächsten Jahr verlassen?

N. W.: Zuerst einmal gilt: Wer gegen extrem Rechte kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen. Gerade wir als VVN-BdA haben die Aufgabe, auszusprechen, was die lokalen Mandatsträger:innen der demokratischen Parteien aus verschiedenen Gründen oftmals nicht können oder wollen. Klar ist: Wer die AfD wählt, wählt Nazis. Wir werden die beständige Mahnung an die demokratischen Parteien sein, keine Normalisierung dieser Partei und ihrer Positionen zuzulassen. Auch wenn wir ein kleiner Verband in Brandenburg sind, steht das Vermächtnis der Widerstandskämpfer:innen, deren Verband wir sind, auf unserer Seite. Da müssen wir uns manchmal auch aufplustern, um mit der moralischen Kraft eines Opferverbands Druck auf Demokrat:innen aufzubauen, sich gegen die AfD zu positionieren. Wir können außerdem eine Scharnierfunktion zwischen den demokratischen Parteien und der außerparlamentarischen Opposition, der Zivilgesellschaft, übernehmen. Herausfordernd ist aktuell, dass es viele Bündnisse gibt, die aktiv werden wollen, aber nicht viel Kontakt untereinander haben. Gerade aus Berlin gibt es umfangreich Unterstützungsangebote, über die wir uns freuen, die aber eben auch gut durchdacht sein müssen, damit sie einen Effekt haben. Da braucht es Anleitungen, wo und wie konkret gehandelt werden kann. Wir sind selbst bereits in Bündnissen wie »Kein Acker der AfD« aktiv und arbeiten aktuell an einer brandenburgweiten Kampagne zu den Wahlen.

antifa: Sachsen und Thüringen stehen vor ähnlichen Fragen. Auch hier greift die AfD auf allen Ebenen nach der Macht. Diese Aussicht verleitet zum ohnmächtig werden. Die VVN-BdA muss also auch ein Anker für viele sein, die geneigt sind, den Kopf in den Sand zu stecken. Habt ihr motivierende Hinweise und Vorschläge?

N. W.: Macht schöne Veranstaltungen, die euch selbst Spaß machen und aus denen ihr Kraft und Mut schöpfen könnt. Das können Aktivitäten sein, bei denen ihr als Organisierende Zuspruch und Dankbarkeit erfahrt, wie bei unseren Gedenkwanderungen und der Antifakonferenz. Und dann gibt es einen reichhaltigen Fundus in der Widerstandsgeschichte, aus dem ihr schöpfen könnt: Singt zum Beispiel gemeinsam Lieder des antifaschistischen Widerstands. Motivierend ist es außerdem, von den eigenen Aktionen in der Zeitung zu lesen. Jede gelungene Aktion sollte als solche auch ausgewertet und an die Presse kommuniziert werden. Und zu guter Letzt: Bedankt euch bei Bündnispartner:innen für ihr Engagement. Sie freuen sich, und es etabliert sich eine Kultur der Wertschätzung – und genau die brauchen wir angesichts der vielen Herausforderungen in 2024.

An diesen Projekten der digitalen Erinnerungskultur ist der VVN-BdA-Landesverband Brandenburg maßgeblich beteiligt:

erinnerungsorte-brandenburg.de

erinnerungsort-wulkow.de (Ab April 2024)

Nils Weigt ist Mitglied im Landesvorstand Brandenburg sowie im Kreisvorstand Märkisch-Oderland

Das Gespräch führte Nils Becker