Suche an Elbe und Moldau
11. Januar 2024
Bericht einer antifaschistischen Fahrradbildungsreise von Dresden nach Prag
Im Frühherbst 2023 machte sich eine 15köpfige Gruppe interessierter Menschen mit Fahrrädern auf den Weg von Dresden nach Prag, um Spuren des historischen Faschismus und des antifaschistischen Widerstandes entlang der Flüsse Elbe und Moldau zu erkunden. Veranstalter des einwöchigen Bildungsurlaubsangebotes war »Arbeit und Leben Herford e. V.«, ein dem DGB nahestehender Verein, dessen Schwerpunkt seit vielen Jahren in den Bereichen der Demokratieförderung, des Antirassismus und der Stärkung des Antifaschismus liegt. Im Vordergrund der Reise, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Prag, der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) Prag, dem Alternativen Kultur- und Bildungszentrum (AKuBiZ) Pirna sowie einem antifaschistischen Kameraden aus Dresden tatkräftig unterstützt wurde, standen unter anderem Besuche von nationalen Gedenkstätten in Pirna-Sonnenstein, Theresienstadt (Terezín) und Lidice. Die Teilnehmer*innen kamen aus den Bundesländern Berlin, Hessen und NRW. Der größte Teil arbeitet im Öffentlichen Dienst bzw. im kirchlichen Dienst des Gesundheitswesens.
Den Auftakt bildete eine Informationsveranstaltung in Dresden. Ein Impulsreferat eines Dresdner Antifa-Kameraden ging dabei der Frage nach, wie die Region Sachsen–Dresden–Osterzgebirge in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Hotspot von rechten und faschistischen Tendenzen, von PEGIDA, den sogenannten Freien Sachsen, Kameradschaften sowie von NPD und AfD werden konnte. Die Erklärungsmuster – das jahrelange Ignorieren und Versagen der sächsischen Landesregierungen, die verheerenden sozialökonomischen Prozesse der Nachwendezeit und der damit einhergehende Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen – spielten in der anschließenden Diskussion ebenso eine Rolle wie Fragen nach den Reaktionen der Dresdner Stadtgesellschaft auf die großen Neo-naziaufmärsche der jüngeren Vergangenheit. Das leider – nicht nur in dieser Region – aktuell verbreitete gesellschaftliche Klima der Intoleranz zeigte sich am Folgetag in Form von Drohgebärden und unterirdischen Sprüchen, die der Gruppe während des Radelns entgegenschlugen.
Beeindruckend war dann die Besichtigung und Führung in der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein. Die ehemalige Gesundheitseinrichtung, in der etwa 14.000 Menschen, vorwiegend Menschen mit körperlichen und geistigen Handicaps, durch Gas vernichtet wurden, berührte die Gruppe besonders. Viele Teilnehmende arbeiten selbst in einer großen sozialpsychiatrischen Einrichtung in NRW und der Behindertenhilfe. Im Anschluss nahm sich ein Mitarbeiter des AKuBiZ Pirna die Zeit, um über aktuelle Entwicklungen in der Sächsischen Schweiz zu berichten. Anknüpfend an die antifaschistische Tradition der sogenannten Roten Bergsteiger beeindruckte sein Statement: »Solange meine Genoss:innen und ich hier leben, hier sind, solange können Nazis auch in der Region Sächsische Schweiz–Osterzgebirge nicht von einer national befreiten Zone sprechen.«
Nicht minder berührend war die nächste Station der Reise. Ein tschechischer Genosse und Antifaschist begleitete uns durch die nationale KZ-Gedenkstätte Theresienstadt, unweit von Litoměřice an der Elbe und erweiterte das Verständnis dessen, was NS-Terror auch in der Tschechoslowakischen Republik bedeutete. Ein abendlicher Vortrag im Schloss Melnik zur Entstehungsgeschichte, Rolle und Funktion der sogenannten Henlein-Bewegung verdeutlichte anschließend, wie diese von Deutschland aus gesteuerte NS-Bewegung die multikulturelle tschechoslowakische Gesellschaft der 30er Jahre torpedierte und letztlich die Voraussetzung schuf, den Staat zu Fall zu bringen. Die Ereignisse 1938/39, die Besetzung und Auflösung der Tschechoslowakischen Republik durch deutsche Truppen, Polizei- und SS-Einheiten, hatten eine Vorgeschichte …
Bevor die Teilnehmenden abschließend nach Lidice in die dortige Gedenkstätte radelten, wurden verschiedene Punkte in Prag angefahren, die die Geschichte des deutschen Terrors und des tschechoslowakischen Widerstands repräsentieren. Unter sachkundiger Führung von Mitarbeitenden der FES und der RLS besuchten wir beispielsweise den Ort, an dem der tschechoslowakische Widerstand das Attentat auf den sogenannten Reichsprotektor Reinhard Heydrich (der unter anderem die berüchtigte Wannseekonferenz leitete), verübte. Auch eine Führung im Jüdischen Museum und über den Alten Jüdischen Friedhof gehörten zum Bildungsprogramm in Prag. In Lidice beeindruckte am Ende nicht nur die weitläufige Gestaltung dieser nationalen Gedenkstätte, sondern auch die Tatsache, dass dort ein ganzes Dorf als Vergeltungsmaßnahme für das Attentat auf Heydrich vernichtet wurde. Der Ort Lidice wurde planiert, die männlichen Bewohner erschossen, die meisten Frauen und Kinder kamen im KZ ums Leben. Nur wenige Menschen überlebten die Deportationen.
Viele der Teilnehmenden waren nicht nur vom Gesehenen, Gehörten, Erlebten, Besprochenen und Diskutierten sehr angefasst. Klar war, dass die Reise nachhaltig wirken würde und diese Erlebnisse in den Familien, in Freundeskreisen und natürlich am Arbeitsplatz geteilt werden würden.
Bildungsurlaub
Bildungsurlaub ist eine bezahlte Freistellungsmöglichkeit für Arbeitnehmer*innen und umfasst bis zu zehn Tage in zwei Kalenderjahren. Geknüpft ist dieser an einen formalen Antrag beim Arbeitgeber sowie eine als Bildungsurlaub zugelassene Maßnahme. Die genauen Bestimmungen sind in den einzelnen Bundesländern geregelt. In Bayern und Sachsen gibt es keine Bildungsurlaubsgesetze.