Vergessene Widerstandskämpferin
11. Januar 2024
Die Frauenrechtlerin Käthe Kern und der 20. Juli 1944
Schon in seiner letzten Publikation »Die Konspirateure« (2019) beschäftigte sich der Darmstädter Journalist und Autor Ludger Fittkau mit dem Thema des 20. Juli. Zusammen mit Marie-Christine Werner analysierte er die Strukturen des zivilen Widerstands hinter dem Attentat auf Hitler. In dieser Gruppe befand sich – jahrelang von der Geschichtswissenschaft geleugnet oder übersehen – eine ganze Reihe von Frauen unterschiedlicher politischer Couleur.
Widerstandskämpferin gegen Hitler
Fittkau erwähnt in seinem neuen Buch zum Beispiel die christliche Gewerkschafterin Elfriede Nebgen, aber im Mittelpunkt steht die aus Darmstadt stammende Katharina (Käthe) Kern. Für Fittkau ist sie »die wohl wichtigste hessische Widerstandskämpferin gegen Hitler«. Gestützt auf umfangreiches Aktenmaterial aus verschiedenen Archiven sowie die Erinnerungen ihres Neffen Hans Joachim Landzettel entfaltet Fittkau das Leben dieser aktiven Sozialdemokratin. Er geht auch der Frage nach, warum sich Kern nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst dazu entschied, in der DDR zu leben und sich dort politisch zu betätigen.
Käthe Kern, geboren im Jahr 1900 in Darmstadt, stammte aus einem sozialdemokratischen Elternhaus. Sie absolvierte eine Lehre als kaufmännische Angestellte und besuchte einen Weiterbildungslehrgang an der Akademie für Arbeit in Frankfurt am Main. In der Öffentlichkeit wurde sie als NS-Gegnerin bekannt, als sie 1932 eine kritische Broschüre gegen Hitler herausgab, die sich vor allem an Frauen richtete. Wenige Wochen nach Beginn der NS-Herrschaft wurde sie deshalb auch von der Gestapo verhaftet. Nach ihrer Entlassung arbeitete sie – aus Sicherheitsgründen – offiziell für die Firma Preussag, inoffiziell unterstützte sie als politische Mitarbeiterin Wilhelm Leuschner seit 1934 bei seinen antifaschistischen Aktivitäten gegen das NS-Regime. Sie tippte Texte für die Widerständler auf ihrer Dienstschreibmaschine, sie protokollierte Gespräche über die politische Zukunft Deutschlands nach Hitler und arbeitete als Kurierin für Leuschner. Sie führte seine Korrespondenz mit Kontaktpersonen im gesamten Reich und wäre wohl die Büroleiterin Leuschners als Vizekanzler nach einem geglückten Attentat auf Hitler geworden. Doch dazu kam es bekanntlich nicht. Nach dem Attentat auf Hitler wurde Wilhelm Leuschner am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Käthe Kern hatte Glück, sie wurde nicht von der Gestapo verhört, überlebte in den Berliner U-Bahn-Schächten und übernahm im Oktober 1945 die Leitung des Frauensekretariats in der wiedergegründeten SPD in Berlin.
Einheit der Arbeiterbewegung
Sie engagierte sich zunächst im Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) und wurde 1946 Mitglied in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Dies, so meinte sie, sei ganz im Sinne Leuschners, der sich immer für die Einheit der Arbeiterbewegung ausgesprochen habe. Sie glaubte zudem, so Fittkau, »dass sie mit einer starken linken Einheitspartei frauenpolitisch in Ostdeutschland mehr durchsetzen kann als die Frauen im Westen«. Als Mitarbeiterin im Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen kurbelte sie den Bau von Kinderkrippen an. Frauen sollte es ermöglicht werden, Kinder zu bekommen und gleichzeitig zu arbeiten. Die DDR brauchte Arbeitskräfte. Wichtig war ihr stets die Mitarbeit an frauenpolitisch relevanten Gesetzen, zum Beispiel beim Familiengesetzbuch, in dem das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« festgeschrieben wurde. Doch die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Zum einen musste sie erkennen, dass sie als Sozialdemokratin mehr und mehr ins politische Abseits manövriert wurde und sich mit ihren frauenpolitischen Themen zunehmend schwerer durchsetzen konnte. Zum anderen kritisierte sie mehrmals die Einschätzung des Widerstandskämpfers Wilhelm Leuschner in der Geschichtsschreibung der DDR. Noch 1964 hieß es in einer offiziellen Darstellung: »Leuschner gehörte zu den rechten Führern der SPD, die das imperialistische Programm Goerdelers unterstützten.« Es sollte bis zum Jahr 1977 (!) dauern, ehe durch mehrere Interventionen von Käthe Kern in der DDR die Leistung von Leuschner als Sozialist und Antifaschist anerkannt wurde.
Dass man noch gebraucht wird
Trotz vieler politischer Rückschläge gab sie nie auf und zog schon früh (1948) eine Lebensbilanz, die auch den Satz enthält, der zum Titel von Fittkaus höchst verdienstvollem Buch wurde: »Manchmal legt man sich die Frage nach dem Sinn des Lebens vor, aber wenn man dann wieder einmal Menschen helfen konnte, dann kommt man doch wieder zu der Auffassung, dass man noch gebraucht wird, und man lebt ja nicht um seiner selbst willen, sondern es ist schon so, dass man lebt, um seine Pflicht zu tun.« Käthe Kern starb am 16. April 1985, ihr Grab befindet sich in der »Gedenkstätte der Sozialisten« in Berlin-Friedrichsfelde.